Hamburg wird Vorreiter bei der Versorgung mit kabellosem Internet. Größtes Hemmnis beim Ausbau ist die eigentümliche deutsche Rechtsprechung
Hamburg. Deutschland ist ein Entwicklungsland, was öffentlich zugängliches Internet angeht. Wer aus Asien, aus den USA, aus London, Athen oder Tallin zurückkehrt, der fühlt sich in eine graue netzpolitische Vorzeit versetzt. Während in vielen Städten dieser Welt kostenloses WLAN in Cafés, Restaurants, Einkaufszentren oder auf öffentlichen Plätzen längst eine Selbstverständlichkeit ist, wird hierzulande noch immer mehrheitlich auf 3G- oder Edge-Niveau gesurft. Für Einheimische ist das nur lästig – für Touristen aufgrund der Roaming-Kosten meist auch noch teuer. Aber das soll sich nun bald ändern. Hamburg soll zur deutschen Vorzeigestadt in Sachen WLAN werden.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass Deutschland in Sachen kabelloses Internet von der Welt abgehängt wurde, liegt in der eigenwilligen deutschen Rechtsprechung, die eine sogenannte Störerhaftung festgelegt hat. Danach haftet ein privater WLAN-Anbieter, wie etwa ein Restaurantbesitzer, der seine Gäste über seinen Router surfen lässt, für möglichen Missbrauch. Lädt sich ein Kunde über seinen Anschluss etwa einen Spielfilm von einer illegalen Seite herunter, dann ist der Gastwirt persönlich haftbar. Nur große kommerzielle Anbieter, die Provider, sind von dieser Haftung ausgenommen. Unter solchen Bedingungen öffnet natürlich bisher kaum ein Café- oder Ladenbetreiber sein WLAN für die Kundschaft.
Der Senat hat bereits in der vergangenen Bundestagswahlperiode eine Bundesratsinitiative gestartet, um die zum Standortnachteil gewordene Rechtsprechung aus der Welt zu schaffen – ohne Erfolg. Hamburg aber will nicht mehr warten und hat jetzt eine große WLAN-Initiative gestartet. Zusammen mit privaten Anbietern, mit Hochbahn und öffentlichen Einrichtungen wie den Kundenzentren soll zügig ein flächendeckendes WLAN-Netz entstehen. Der Anfang ist bereits gemacht. Schon jetzt ist Hamburg laut Senat zumindest innerhalb des rückständigen Deutschland führend, was die Abdeckung mit WLAN-Zugängen in der Innenstadt angeht.
Das kleinere Hamburger Unternehmen willy.tel will nun gleich die gesamte City flächendeckend mit WLAN versorgen – und zwar kostenlos für alle rund um die Uhr. Der Provider will mehrere Millionen Euro investieren und rund 7000 sogenannte Access-Points in der Innenstadt errichten.
Bereits seit 2011 habe er das Thema immer wieder angestoßen, sagt SPD-Netzpolitiker Hansjörg Schmidt. „Damals gab es in Hamburg so gut wie nichts, und ich wurde oft belächelt. Jetzt ist Hamburg die Hotspot-Hauptstadt Nummer eins.“ Auch die Wirtschaft freut sich. „Hamburg muss sich besser für internationale Gäste aufstellen“, sagt City-Managerin Brigitte Engler. „Da gehört eine gute WLAN-Abdeckung dazu. Im Ausland ist das gang und gäbe.“ Deswegen sei die Initiative für die Stadt eine sehr gute Sache.
Neben kommerziellen Anbietern sollen öffentliche Einrichtungen eine Rolle bei der Versorgung spielen. Schon jetzt bieten die Hamburger Bücherhallen freies WLAN an. Bald könnten mehr Schulen und Hochschulen hinzukommen, ebenso wie Kundenzentren in den Stadtteilen. Die Hochbahn verhandelt bereits mit dem Norderstedter Unternehmen Wilhelm Tell, das mit dem eigenständigen Unternehmen willy.tel kooperiert, über eine WLAN-Versorgung der U-Bahn-Haltestellen.
Als weiterer nicht kommerzieller Anbieter etabliert sich derzeit der aus Berlin stammende „Freifunk“ in Hamburg. Die private Initiative, an der auch der Chaos Computer Club (CCC) beteiligt ist, widmet sich Aufbau und Betrieb selbstverwalteter lokaler Netzwerke. Dazu wird über private Router ein Netz aufgebaut – das auch den Zugang zum Internet ermöglicht. Derzeit gibt es mehr als 600 Freifunk-Knotenpunkte in Hamburg (hamburg.freifunk.net).
Zwar begrüßen die Freifunker den Ausbau von WLAN in Hamburg – zugleich begegnen sie den kommerziellen Anbietern mit Skepsis. „Wir kennen das von Google und Co.“, sagt Michael Hirdes vom Chaos Computer Club. „Wenn du etwas umsonst bekommst, dann bist du am Ende selbst das Produkt.“ Freifunk dagegen baue „ein freies, offenes Netz in Bürgerhand“. Auch die Bürgerschaft forderte, „die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Initiativen wie Freifunk als Partner der WLAN-Strategie der Stadt zu prüfen und beim Aufbau des Netzwerks zu unterstützen“.
Ein Knackpunkt für den Ausbau bleibt die Rechtslage. Die ursprünglich durch eine richterliche Auslegung des Telemediengesetzes entstandene Störerhaftung ist das größte Hindernis. „Für private Anbieter ist es wichtig, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt sind“, sagt Carsten Brosda, Leiter des Medienamts. „Die Bundesregierung ist dabei, das umzusetzen. Dann wird es auch für Cafés oder Hotels einfacher, ihr WLAN zu öffnen.“
Am Freitag allerdings lehnten CDU und SPD im Bundestag die von Grünen und Linken vorgeschlagene Abschaffung der Störerhaftung ab. Das ist für Netzpolitiker und Freifunker das falsche Signal. „Es gibt sonst kaum ein Land mit dieser Regelung“, sagt CCC-Mann Michael Hirdes. „Wenn wir nicht abgehängt werden wollen, gibt es nur eins: Die Störerhaftung muss weg.“
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