Schwaches Bild an den Universitäten: Erstsemester an der Uni erhalten Schulungen, weil ihnen Grundlagen aus der Schule fehlen. Das Lehrpersonal beklagt das dürftige Niveau der Studenten.
Rotherbaum. Noch bevor die Vorlesungen an der Universität Hamburg angefangen haben, ist der große Hörsaal des zoologischen Instituts am Martin-Luther-Platz voll besetzt. Es ist Donnerstagvormittag, etwa 150 Studienanfänger der Fächer Mathematik, Wirtschaftsmathematik und Lehramt Mathematik lernen seit Tagen Grundlagen der Mathematik. Der Vorkurs soll die jungen Leute in knapp zwei Wochen auf ihr Studium vorbereiten.
Es werden vor allem die Grundlagen aus der Schule wiederholt. Vorkurse gibt es mittlerweile an fast allen Hochschulen in Deutschland. In diesen Tagen werden sie auch an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der HafenCity Universität angeboten. Das Ziel: relevante Kenntnisse auffrischen. Denn gerade in Mathematik hapert es häufig.
Die Teilnahme am Vorkurs ist freiwillig. Trotzdem kommt die Hälfte der Erstsemester jeden Tag. „Das Engagement ist herausragend“, sagt Philipp Kunde, der einen der Vorkurse leitet. Vormittags werden theoretische Grundlagen vermittelt, nachmittags wird vertieft. Sechs Stunden Mathematik täglich. Eine gewaltige Umstellung im Vergleich zur Schule. „Drei Jahre Schulmathe werden hier in drei Tagen abgehandelt“, meinen die angehenden Wirtschaftsmathematikstudentinnen Katharina und Anastasia.
Doch warum sind die Vorkurse notwendig? Professor Thomas Schramm von der HafenCity Universität sagt, dass die Mathematikfähigkeiten von Studienanfängern stark abnehmen. „Wenn das so weitergeht, sind die Kenntnisse bald bei null.“ Diese Ansicht teilen seine Kollegen von der Uni Hamburg nicht. Es gebe keine Beweise für das viel diskutierte sinkende Niveau, auch sei bei den Mathematik-Klausuren keine negative Tendenz zu beobachten. Allerdings treten Schwierigkeiten oft bei Stoff aus der Mittelstufe auf.
Ein wenig schmeichelhaftes Urteil erhalten dabei Hamburgs Schüler von Professor Wolfgang Mackens, der viele Jahre die Vorkurse an der Technischen Universität Hamburg-Harburg leitete. Sie schnitten bei einem Orientierungstest 2013 deutlich schlechter ab als ihre Kommilitonen aus anderen Bundesländern. Die Maximalpunktzahl betrug 34 Punkte, davon erreichten Hamburger Studienanfänger im Schnitt 8,5 Punkte. Mit jeweils zwölf Punkten lagen Niedersachsen und Schleswig-Holstein deutlich davor. Auch wer das Abitur an einem Gymnasium absolviert habe, erreiche mit elf beziehungsweise zwölf Punkten (G8/G9) bessere Ergebnisse als diejenigen, die ihre Hochschulreife an einer Stadtteilschule erhielten (6,5 Punkte). Besonders gute Ergebnisse lieferten Nicht-EU-Ausländer mit 17 Punkten. Aber sie seien in ihren Heimatländern häufig extra für das Studium ausgewählt und vorbereitet worden.
Fachbereichsleiter Professor Armin Iske von der Universität Hamburg sieht das etwas anders: Für ihn ist die Qualität der Lehrer ausschlaggebend: „Es gibt starke Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Schulen, nicht aber zwischen Bundesländern“, sagt er. Besonders heterogen sind die Voraussetzungen an der Hochschule für angewandte Wissenschaften, hier haben in der Fakultät „Technik und Informatik“ nur 65 Prozent der Studierenden das Abitur. „Vor allem diejenigen, die zunächst eine Ausbildung absolviert haben, haben viele Inhalte noch nie gehört“, sagt Mathematik-Professorin Karin Landenfeld. Auch für Studenten, bei denen das Abitur bereits länger zurückliege, ist der Vorkurs häufig hilfreich.
Die 31 Jahre alte Olja hat nach ihrem Abitur am Emil-Krause-Gymnasium in Dulsberg schon vier Semester Biologie studiert. Dieses Studium habe sie abgebrochen, da es sich nicht mehr mit ihrer Arbeit vereinbaren ließ. Nun beginnt sie ein BWL-Studium. „Mathe ist mir in der Schule immer leicht gefallen, trotzdem hatte ich Angst, dass ich nicht mehr genug kann“, sagt sie. Der Vorkurs habe sie jedoch beruhigt, da sie gut mitgekommen sei. Andere aber hätten erhebliche Schwierigkeiten.
Vorkurse sollen das Niveau angleichen, Defizite aufdecken und die Anforderungen der Universität verdeutlichen. Deutschlandweit werde derzeit an einem Online-Mathematik-Brückenkurs gearbeitet. Die Technische Universität entwickelt mit ViaMint ein eigenes Konzept. „Mit dem Online-Brückenkurs wollen wir die Lücke zwischen Abitur und Studium schließen“, sagt Mackens. „Wir müssen da Hand in Hand gehen“, meint Professor Thomas Schramm. Es sei wichtig, bereits früh zu vermitteln, was von den Hochschulen erwartet werde.