Die Hamburger Bürgerschaft debattierte den Etat 2015/2016. Finanzsenator Peter Tschentscher verteidigte seinen Doppelhaushalt gegen die Kritik der Opposition und sprach von einer „Schuldentilgung“.

Hamburg. Einen „fliegenden Start“ kennt man vor allem aus dem Sport: Bei Rad-, Pferde- oder Autorennen sind Mensch, Tier oder Maschine mitunter bereits in Bewegung, bevor es dann auch offiziell losgeht. In der Politik begegnet man diesem Phänomen hingegen eher selten. Eine Ausnahme war am Mittwoch in der Bürgerschaft zu bestaunen: Während die Beratungen des neuen Doppelhaushalts 2015/2016 in den Fachausschüssen des Parlaments bereits voll im Gange sind, fand die offizielle „Einbringung“ des Etats durch den Finanzsenator, die im Idealfall vor der Beratung stehen sollte, erst mit Verspätung statt.

Das Versehen bei der Terminplanung in der Bürgerschaft änderte aber nichts daran, dass sich SPD-Mehrheit und Opposition unversöhnlich begegneten. Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) und SPD-Haushaltsexperte Jan Quast verteidigten das Zahlenwerk als Fortsetzung der erfolgreichen Konsolidierungspolitik: Seit 2011 würden die Ausgaben konsequent begrenzt werden, die Kreditaufnahme gehe stetig zurück, das Defizit schrumpfe, und von 2018 an würden „strukturelle Überschüsse“ erwirtschaftet werden, also schwarze Zahlen, die nicht auf Zufall wie hohen Steuereinnahmen beruhten. „Wenn die gute Konjunktur anhält, ist eine Schuldentilgung schon früher möglich, 2015 oder vielleicht schon in diesem Jahr“, sagte Tschentscher.

Wie berichtet, hatte die Stadt zum 30. Juni 572 Millionen Euro Überschuss verbucht. Zwar lässt sich das Ergebnis nicht eins zu eins auf das Gesamtjahr hochrechnen, dennoch zeichnet sich bereits ab, dass Hamburg 2014 erstmals seit 2008 wieder ohne Neuverschuldung auskommen wird. Tschentscher und Quast kritisierten, dass die Opposition mitunter in einem Atemzug Mehrausgaben fordert oder Kürzungen kritisiert und im nächsten einen früheren Schuldenstopp fordert. „Heute hü und morgen hott“, das sei nicht seriös, rief Quast in Richtung CDU.

Deren Finanzexperte Roland Heintze hatte zuvor kein gutes Haar an der Finanzpolitik des Senats gelassen: Vom Versprechen „Pay as you go“, wonach neue Ausgaben stets Einsparungen an anderer Stelle auslösen müssen, über den angeblichen „Zinspuffer“ im Haushalt und die Vorgabe, die Ausgaben um nie mehr als 0,88 Prozent zu steigern, bis zur Ansage des Bürgermeisters Olaf Scholz „I want my money back“ zur Beteiligung an der Reederei Hapag-Lloyd – in allen Fällen gelte: „War einmal, ist nicht mehr“, so Heintze. Im Haushalt gebe es keine Schwerpunktsetzung, aber viele Risiken.

In diese Kerbe schlug auch Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan. „Das ist Haushaltsakrobatik ohne Netz und doppelten Boden“, basierend auf historisch niedrigen Zinsausgaben. Hamburg werde irgendwann „hart landen“, sagte Kerstan. 2011, bei Antritt des SPD-Senats, hätten die Ausgaben bei 11,1 Milliarden Euro gelegen, 2015 seien 12,3 Milliarden geplant, rechnete Kerstan vor. Das sei viel mehr als die vom Senat behauptete Steigerung um 0,88 Prozent pro Jahr: „Sie geben das Geld aus, als wenn es kein Morgen gibt.“

Robert Bläsing (FDP) sprach von einem „Wahlkampfhaushalt“. Trete nur ein kleines Risiko ein, werde er zusammenkrachen. Einzig die Linkspartei warf dem Senat eine unsoziale Kürzungspolitik vor. Die Schuldenbremse sei ein schwerer Fehler, der Substanzverlust der öffentlichen Einrichtungen gehe weiter, sagte Norbert Hackbusch.

Der Doppelhaushalt sieht Ausgaben von 12,27 Milliarden Euro im Jahr 2015 und 12,38 Milliarden Euro im Jahr 2016 vor. Den größten Etat verwaltet die Sozialbehörde mit gut 2,7 Milliarden Euro, gefolgt von der Schulbehörde (1,86 Milliarden) und der Wissenschaftsbehörde (960 Millionen). Der Haushalt 2015/2016 ist der erste, der komplett nach kaufmännischen Regeln aufgestellt wird. Wertverluste von Immobilien oder Straßen müssen in Form von Abschreibungen berücksichtigt werden. Und für künftige Verpflichtungen, etwa Beamtenpensionen, müssen Rückstellungen gebildet werden.

Diese Umstellung, die in Hamburg schon zu CDU-Zeiten begann und jetzt vollendet wurde, erschwert eine Vergleichbarkeit mit früheren Etats. Die Opposition warf dem SPD-Senat daher vor, die neuen Regeln trickreich für eine Ausweitung der Ausgaben zu nutzen; diese würden in Wahrheit um drei Prozent steigen. Finanzsenator Tschentscher wies das energisch zurück und hatte kürzlich Rückendeckung vom Rechnungshof bekommen. Die unabhängigen Tugendwächter über Hamburgs Finanzen bescheinigten dem Senat, dass alles mit rechten Dingen zugehe. Allerdings mahnte auch der Rechnungshof, dass im Haushalt kaum noch Luft sei, falls Probleme auftauchen.