Erster Doppelhaushalt nach unternehmerischen Grundsätzen legt Kassenlage schonungslos offen
Hamburg. Finanzpolitisch beginnt in Hamburg eine neue Zeitrechnung. Mit dem Doppelhaushalt 2015/2016 und der Finanzplanung bis 2018 hat der SPD-geführte Senat nicht nur erstmals einen Etat vorgelegt, der nach unternehmerischen, und damit völlig anderen Grundsätzen funktioniert als das bisherige kamerale System, sondern er will auch die über Jahrzehnte gepflegte Verschuldung beenden und im günstigsten Fall 2017 mit der Tilgung der Verbindlichkeiten in Höhe von knapp 25 Milliarden Euro beginnen.
„Anstrengend und ehrgeizig“ sei das Ziel des Senats, sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei der Vorstellung des Etats: „Wir wollen mit dem Geld auskommen, das uns die Steuerzahler zur Verfügung stellen.“ Sollte Hamburg das 2017 gelingen, wäre das Land drei Jahre früher am Ziel als es die 2020 greifende gesetzliche Schuldenbremse vorschreibt und zwei Jahre vor dem selbst gesteckten Ziel 2019. Voraussetzung dafür sei aber, dass es bei hohen Steuereinnahmen und historisch niedrigen Zinsen bleibe, betonten Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD), der sich darauf aber nicht festlegen wollte. „Ich würde lieber Wetten auf den Ausgang der Fußball-WM abschließen als auf die Konjunktur“, so Tschentscher. Eine etwas schlechtere Entwicklung würde das Ziel indes nicht gefährden, denn wie gehabt wurden „Vorsichtsabschläge“ eingepreist: Von den extrem positiven Vorhersagen der Steuerschätzer zieht der Senat jedes Jahr eine dreistellige Millionensumme ab – sprudeln die Steuern dann nicht wie prognostiziert, haut das den Haushalt nicht um, fließen sie doch, hat man Spielräume.
Der Haushalt 2015/2016 ist der erste, der komplett nach den unternehmerischen Regeln der Doppik aufgestellt wird. Wertverluste von Immobilien, Straßen oder Fahrzeugen müssen in Form von Abschreibungen berücksichtigt werden – die liegen 2015 bei 695 und 2016 bei 730 Millionen Euro. Und für künftige Verpflichtungen, etwa Beamtenpensionen, müssen Rückstellungen gebildet werden. Sie belaufen sich auf rund 550 Millionen Euro im Jahr.
Die Umstellung, die Hamburg erst als zweites Bundesland nach Hessen vornimmt, erschwert eine Vergleichbarkeit mit früheren Etats. So steigen die Ausgaben von 11.890 Milliarden Euro in 2014 zwar um 3,1 Prozent auf 12.268 Milliarden in 2015 und damit deutlich stärker als die vom Senat versprochene maximale Erhöhung um 0,9Prozent. Das wird aber damit erklärt, dass es keine „Leertitel“ mehr gibt. Solche mit null veranschlagten Titel waren etwa für Gebühren oder Strafzettel eingerichtet worden, von denen man naturgemäß schwer vorhersagen kann, was sie einbringen werden. Sie werden durch realistische Veranschlagungen ersetzt, was den Haushalt insgesamt erhöht. Von 2015 zu 2016 beträgt die Steigerung dann wieder 0,9 Prozent.
Verwirrung auf den ersten Blick löst auch der extreme Rückgang der Investitionen von 856 Millionen Euro in diesem Jahr auf nur noch 626 Millionen Euro aus. Grund ist die strengere Interpretation des Begriffs: Als „Investition“ darf künftig nur noch deklariert werden, was auch tatsächlich einen neuen Wert schafft. Das Flicken einer Straße zählt nicht mehr dazu.
Die Doppik legt auch die desaströse Finanzlage Hamburgs schonungsloser offen. Während nach alter, kameraler Rechnung das Defizit in diesem Jahr nur noch 359 Millionen Euro beträgt, in 2015 (231 Millionen) und 2016 (112) dann abschmilzt und 2017 bereits ein kleiner Überschuss von 16 Millionen Euro im Plan steht, ist der Etat nach doppischer Rechnung in 2015 noch mit 1,4 Milliarden Euro im Minus. „Wir haben noch eine Aufgabe vor uns“, betonte Scholz. „Eine hemmungslose Ausweitung der Zahl der Beamten“ könne man sich zum Beispiel nicht mehr leisten. Für die gesetzliche Schuldenbremse gilt zwar das kamerale Defizit. Die neue Landeshaushaltsordnung schreibt dem Senat aber vor, auch das doppische Defizit jährlich um 180 Millionen Euro zu reduzieren. Demnach wäre der Haushalt nicht 2017 saniert, sondern erst 2024.
Welche Behörden wirklich Gewinner oder Verlierer dieses Etats sind, wird sich vermutlich erst herausstellen, wenn die Bürgerschaft nach den Ferien Plan für Plan durchgeht – im Dezember soll der Haushalt verabschiedet werden. Zwei Beispiele: Die Kulturbehörde verliert zwar fast ein Viertel ihres Etats, was aber nur daran liegt, dass 2014 eine sehr große Rechnung für die Elbphilharmonie bezahlt werden musste und 2015 nicht. Und die Wirtschaftsbehörde gewinnt nur deswegen mehr als zehn Prozent hinzu, weil die Hafeninvestitionen von 100 Millionen Euro jährlich jetzt aus ihrem Etat bezahlt werden statt aus dem Verkauf der HHLA-Aktien („HHLA-Milliarde“).
Dass dieser Haushalt keine politische Vision beinhalte, wies der Bürgermeister zurück. Der Schwerpunkt liege im Bereich Bildung mit der Abschaffung von Kita- und Studiengebühren, dem Ausbau des Ganztagsschulangebots, kleineren Klassen und Milliardenausgaben für Schul- und Universitätsgebäude. Scholz: „Wir setzen große Prioritäten bei der Entwicklung derjenigen, die in unserer Stadt aufwachsen.“