Ein 51-Jähriger soll mit seinem Golf einen anderen Wagen gerammt haben, dann aber einfach davongefahren sein, als hätte er nichts bemerkt – obwohl der Geschädigte noch an seine Scheibe klopfte.

Neustadt . Eigentlich bringt ihn wohl nichts so schnell aus der Ruhe. Ein bedächtiger, ausgeglichener Mann, so scheint es, der sorgfältig abwägt und vorsichtig formuliert. Doch angesichts der Erlebnisse, die ihm vor einigen Monaten im Straßenverkehr widerfahren sind, lässt sich Jochen E. (alle Namen geändert) doch zu einer Bemerkung hinreißen, die seine Fassungslosigkeit widerspiegelt. „Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein“, empört sich der 62-Jährige. Es mag in der Tat reichlich dreist gewesen sein, was sich sein Unfallgegner geleistet hat: einfach wegzufahren, obwohl er doch neben seinem Fahrzeug stand und bei ihm an die Scheibe klopfte! Immer vorausgesetzt natürlich, der andere hat ihn und die Kollision bemerkt.

Dies ist die Kernfrage in diesem Prozess vor dem Landgericht, in dem sich ein langjähriger Autofahrer wegen Unfallflucht verantworten muss. Oliver A. sei im dichten Verkehr beim Versuch, die Fahrbahn zu wechseln, mit seinem Golf gegen einen anderen Wagen gestoßen, wirft die Staatsanwaltschaft dem 51-Jährigen vor. Anschließend habe der Fahrer des gegnerischen Autos versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Obwohl er Unfall und auch den anderen Autofahrer bemerkte, habe er einfach Gas gegeben und sei weitergefahren, heißt es in der Anklage weiter. Gegen ein Urteil des Amtsgerichts, das deshalb 1600 Euro Geldstrafe wegen Unfallflucht sowie drei Monaten Fahrverbot gegen Oliver A. verhängte, legte der Hamburger Berufung ein. Darüber wird jetzt in zweiter Instanz vor dem Landgericht verhandelt.

Der Angeklagte, ein blasser Mann im dunklen Anzug, schweigt zu den Vorwürfen. In entspannter Haltung lauscht er aufmerksam den Zeugenaussagen. „Er fuhr gegen meinen Wagen, ich lenkte daraufhin auf den Fußweg“, erinnert sich das Unfallopfer. Als der andere Autofahrer wenige Meter weiter an einer roten Ampel hielt, habe er an dessen Wagen auf der Beifahrerseite gegen die Scheibe geklopft, um auf sich aufmerksam zu machen. „Ich meine, er hätte mich kurz angesehen, anschließend guckte er stur geradeaus“, erzählt der Zeuge. „Dann wurde die Ampel grün, und er fuhr los. Ich war fassungslos.“

Seine Interpretation dieses Verhaltens sei, dass „der Fahrer weiß, dass etwas nicht in Ordnung war, das aber nicht wahrhaben will“. Er habe den Anstoß des anderen Fahrzeugs „gesehen, gehört und auch im Lenkrad gespürt“. Ein weiterer Zeuge, der hinter den beiden Wagen fuhr, erinnert sich, wie der Golf „kurz an das andere Auto ranfuhr, dann zog er zurück“. Er sei „überrascht gewesen“, als der Fahrer während der Grünphase plötzlich wegfuhr. „Meiner Ansicht nach muss er den Anstoß bemerkt haben. Da war der Knall des Aufpralls und ein Widerstand.“

Ein Polizeibeamter sagt, er habe den Halter des Wagens an jenem Abend zu Hause aufgesucht. „Er sagte, er sei zur Tatzeit mit dem Auto unterwegs gewesen“, berichtet der Polizist. „Dann habe ich ihn als Beschuldigten belehrt. Da wollte er nichts mehr sagen.“ Allerdings habe er an dem Fahrzeug „frische Lackspuren festgestellt“. Und der Mann habe ihm mitgeteilt, er könne sich „an keine Kollision erinnern“.

Ein Gutachter berichtet von Versuchen, in denen Unfälle wie das geschilderte Geschehen analysiert wurden. Von einem „streifenden Geräusch, das sich durch den Hohlkörper in der Tür noch verstärkt“, ist die Rede. Nach Überzeugung des Sachverständigen war der Unfall für den Fahrer des Golf zwar nicht optisch zu bemerken, auch müsse er ihn nicht unbedingt gespürt haben. „Aber eine akustische Bemerkbarkeit liegt vor“, stellt er fest.

Der Verteidiger ist indes nicht von einer Straftat überzeugt. Es bestehe keine Unfallflucht, weil nicht nachgewiesen sei, dass Oliver A. die Kollision realisiert habe, argumentiert der Anwalt. Die Staatsanwaltschaft hält indes die Unfallflucht für erwiesen und fordert, den Angeklagten zu verurteilen. Entsprechend lautet auch das Urteil des Gerichts: Eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 40 Euro verhängt die Kammer für Oliver A. Zudem wird für drei Monate ein Fahrverbot ausgesprochen.