Die Hansestadt erhält erstmals seit 1994 Geld aus dem Länderfinanzausgleich, obwohl sie die mit Abstand wirtschaftsstärkste Region Deutschlands ist. SPD und Opposition finden unterschiedliche Gründe.
Hamburg. Mitte Januar brach für Roland Heintze eine Welt zusammen, jedenfalls wenn man ihn beim Wort nahm. Der Finanzexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion hatte wie so oft als einer der Ersten Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium registriert, und da stand es schwarz auf weiß: Hamburg wird Nehmerland im Länderfinanzausgleich, zum ersten Mal seit 1994. Statt fleißig einzuzahlen, bekommt der Stadtstaat für 2013 aus dem Säckel 87 Millionen Euro. „Das ist schockierend für unsere Stadt“, bebte Heintze. „Hamburg fällt im Wettbewerb der Länder endgültig zurück.“
Wenige Tage später hatte der CDU-Politiker, der im Mai ins Europaparlament gewählt werden möchte, die nächste Hiobsbotschaft aufgespürt: Zusätzlich zum Länderfinanzausgleich erhalte Hamburg für 2013 nun auch noch zum ersten Mal „Bundesergänzungszuweisungen“ in Höhe von 42Millionen Euro. „Hamburg wird mehr und mehr zum Transferempfänger von Hilfsgeldern anderer Bundesländer“, zeigte sich Heintze betroffen. „Das muss alle Hamburger mit Sorge erfüllen.“
Grundsätzlich galt in beiden Fällen: Die Zahlen stimmen. Aber gilt das auch für die Analyse? Hat der SPD-Senat das einst so stolze, reiche Hamburg wirklich so heruntergewirtschaftet, dass es nun von anderen Bundesländern mit durchgefüttert werden muss?
Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) weist diese Darstellung zurück. „Hamburg ist eine der wirtschaftsstärksten Regionen in Europa“, sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt. „Unser Bruttoinlandsprodukt und das Steueraufkommen pro Einwohner sind das höchste in ganz Deutschland.“ Er präsentiert dazu eine ganze Reihe Zahlen , die belegen: Auch diese Aussage ist richtig. Allerdings wirft das die Frage auf: Wenn Hamburg so reich und stark ist, warum erhält es dann Almosen?
Wer darauf eine Antwort sucht, muss sich mit etwas beschäftigen, das für die meisten Menschen noch undurchschaubarer ist als ihre eigene Steuererklärung: dem Länderfinanzausgleich. In diesem etablierten, aber umstrittenen System ist die Umverteilung von reichen zu armen Bundesländern zwar die bekannteste, aber nur eine und vom Umfang her die kleinste Stufe. Die großen Brocken werden schon vorher umgeschichtet, und kein Bundesland wird dabei so zur Kasse gebeten wie Hamburg.
Zwischen 45 und 49 Milliarden Euro pro Jahr hat der Stadtstaat in den vergangenen Jahren an Steuern eingenommen. Das waren acht bis neun Prozent des gesamten Steueraufkommens von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland – obwohl Hamburg nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung stellt. Eine erste Zahl, die Hamburgs enorme Wirtschaftskraft aufzeigt.
In der ersten Stufe des Finanzausgleichs müssen alle Länder große Teile ihres Steueraufkommens an den Bund abgeben. Dabei handelt es sich um Bundessteuern wie die Tabak-, die Energie- und Versicherungssteuer sowie um feste Anteile an Lohn-, Körperschafts-, Umsatz- und Gemeindesteuern. Für Hamburg bedeutete das 2012 (die 2013-Zahlen liegen noch nicht alle vor): Von 48,4 Milliarden Euro Einnahmen gingen 36,2 Milliarden an den Bund. Das verdeutlicht, warum noch jeder Senat die jeweilige Bundesregierung daran erinnerte, dass sie sich aus eigenem Interesse an Investitionen in Hamburg, beispielsweise im Hafen, beteiligen sollte. Doch damit nicht genug.
Es folgt die zweite Stufe des Finanzausgleich, auch „horizontale Verteilung“ oder „Zerlegung“ genannt. Nun werden innerhalb der 16 Bundesländer die Anteile, die ihnen an der Lohn-, Körperschafts- und Abgeltungssteuer geblieben sind, noch einmal zerlegt. Ziel ist es, dass jedes Land auch die Steuern erhält, die seine Bewohner entrichtet haben. Dieses „Prinzip des örtlichen Aufkommens“ ist aus Hamburger Sicht ein großes Ärgernis, denn die Stadt muss für Hunderttausende Pendler aus dem Umland zwar Infrastruktur wie Straßen, Busse und Bahnen bereit stellen, aber die Steuern der Pendler fließen an die Nachbarländer.
An dieser Stelle lohnt ein Vergleich mit Berlin: Die Bundeshauptstadt hat wegen ihrer isolierten Lage in der früheren DDR keine Metropolregion wie Hamburg, aus der Pendler in die Stadt strömen. Wer in Berlin arbeitet, wohnt in der Regel auch dort. Doch obwohl die Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern doppelt so groß ist wie Hamburg, nimmt sie weniger Lohnsteuer ein: 7,4zu 8,3 Milliarden Euro.
Zusammen mit einer komplizierten Umverteilung der Umsatzsteuer hat Hamburg in dieser zweiten Stufe des Finanzausgleichs weitere 3,3 Milliarden Euro an andere Länder abgegeben. Von den 48,3 Milliarden Euro Steuereinnahmen blieben der Stadt letztlich nur 8,9 Milliarden zur eigenen Verwendung, sehr zum Verdruss des Finanzsenators. „Es gibt kein anderes Bundesland, aus dem 80 Prozent des Steueraufkommens an andere Länder und den Bund abfließen“, sagt Tschentscher.
Doch selbst nach dieser großen Umverteilung war Hamburg auch 2013 das mit großem Abstand stärkste Bundesland: Das Steueraufkommen pro Einwohner erreichte 147 Prozent des Durchschnittswerts aller Bundesländer. Mit weitem Abstand folgten Bayern (128 Prozent), Hessen (121) und Baden-Württemberg (116). Alle anderen Länder lagen unter 100 Prozent, auch Hamburgs Nachbarn Schleswig-Holstein (93 Prozent), Niedersachsen (87) und Mecklenburg-Vorpommern (54).
Diese Werte erklären aber auch, was sich in der dritten Stufe, dem klassischen Länderfinanzausgleich getan hat. Mit ihm werden die letzten Unterschiede weitgehend nivelliert. Den drei Stadtstaaten wird dabei jeder Einwohner 1,35-fach angerechnet, womit ausgeglichen wird, dass sie viele Einrichtungen wie Kliniken und Universitäten für ihr Umland mit vorhalten. Hamburg hat von 1995 bis 2003 zwischen 157 und 194 Prozent des Länderdurchschnitts an Steuern eingenommen, seitdem sind die Werte rückläufig, wobei sie 2009 im Vergleich zu 2008 einbrachen.
Parallel dazu gingen die Zahlungen in den Finanzausgleich – 2003 mit 656 Millionen Euro auf dem Höhepunkt – zurück. Auch hier gab es den stärksten Einbruch 2009 im Jahr der globalen Finanzkrise. Seitdem steht die Stadt an der Grenze zwischen Geber- und Nehmerland. Zeitgleich holten vor allem die Ostländer auf. Hatte Hamburg vor zehn Jahren noch ein fünf- bis sechsmal so hohes Steueraufkommen wie Sachsen und Thüringen, ist es jetzt nur noch dreimal so hoch. Diese „Schwäche“ und ein komplizierter Berechnungsmechanismus führen dazu, dass Hamburg nur noch eine „Finanzkraftmesszahl“ von 97,72 Prozent aufweist. Daher bekommt die relativ reiche Stadt Geld aus dem Ländertopf.
Die 42 Millionen Euro Bundesergänzungszuweisung (BEZ) sind im Wesentlichen eine Folge davon, denn mit ihnen gleicht der Bund allerletzte Unterschiede aus. Im Osten geht diese Hilfe in die Milliarden, aber auch im Westen treibt sie seltsame Blüten: So erhält Schleswig-Holstein nicht nur 169Millionen Euro aus dem Finanzausgleich sowie eine „Allgemeine“ BEZ von 91 Millionen Euro, sondern dazu noch eine „Sonder-BEZ“ für „Kosten der politischen Führung“ in Höhe von 53 Millionen Euro. In Hamburg schmunzelt daher mancher, wenn Kiel für erfolgreiche Haushaltspolitik gelobt wird.
„Die SPD hat Hamburgs Haushalt nachhaltig geschadet“, sagt dagegen der CDU-Politiker Roland Heintze. Die relative Steuerkraft pro Einwohner sinke, das Bruttoinlandsprodukt wachse nur mittelmäßig, die Zahl der Firmeninsolvenzen steige gegen den Bundestrend stark, und viele Großunternehmen wie Hamburg-Mannheimer und Holsten hätten ihre Zentralen abgezogen. „Hamburg hat an Attraktivität und Leistungsfähigkeit verloren“, sagt der CDU-Abgeordnete.
Finanzsenator Tschentscher spielt den Ball zurück: „Der eigentliche Einbruch hat in den Jahren 2003 bis 2009 stattgefunden.“ Das war die Zeit der CDU-Senate. Außerdem gebe es keinen Zusammenhang zwischen dem Länderfinanzausgleich und der Haushaltspolitik eines Landes. „Er betrachtet nur die Einnahmen und hat mit den Ausgaben nichts zu tun. Im Übrigen haben wir mit weniger als ein Prozent eine der niedrigsten Ausgabesteigerungsraten aller Länder.“ Die exakten Zahlen für 2013 präsentiert Tschentscher am Dienstag.
Ähnlich wie die CDU fordert auch die FDP Maßnahmen zur Stärkung der Einnahmebasis der Stadt. „Mit einer mittelstandsfreundlichen Wirtschaftspolitik kann dies auch gelingen“, sagt Fraktionschefin Katja Suding. Auf ihre schriftliche Kleine Anfrage, was der Senat in dieser Hinsicht zu tun gedenke, bekam sie eine leicht schnippische Antwort: Verwiesen wird auf die nach wie vor hohen Zahlungen Hamburgs an andere Länder. Im Übrigen gehe der Senat davon aus, dass die Mehrheit der Länder auf diese Leistungen Hamburgs weiterhin „angewiesen sein wird“.