Die ersten Teile der legendären „Weißen Haut“, die der Elbphilharmonie ihren Weltklasse-Klang verleihen soll, werden in dieser Woche auf die Baustelle gebracht und montiert.
Hamburg. Der versprochene Weltklasse-Klang wird trocken gelagert und ist bestens verpackt. In diesen Tagen sind die Temperaturen in der Lagerhalle der Firma Fenthols in Billbrook nicht allzu einstellig. Doch das ist den Tausenden Gipsfaserplatten egal, sagen die zwei Hochtief-Mitarbeiter auf dem Weg zum wichtigsten Bestandteil der Elbphilharmonie. Die können das schon ab, sagen sie und klingen sehr entspannt dabei.
Ein Präzisionspuzzle bekommt erstmals Besuch. Rund 8000 Platten, einige wiegen 50 Kilogramm, besonders dicke Dinger können es auch mal auf über 500 Kilo bringen. Jede ein Einzelstück, jede anders. Und es gibt für jede von ihnen nur eine einzige Stelle, an der sie fixiert wird. Jede Platte hat eine individuelle Nummer, damit die Monteure genau wissen, wo ihr Platz ist, wenn das Unikat einmal aus den Lagerkisten befreit wird. Auf einer Kiste steht, nur mal so als Beispiel: Strang F, Bereich 5. Palette Nr. 8085103160. Viel Spaß also demnächst beim Puzzle… Die ersten Kisten werden in diesen Tagen nach gut zweijähriger Wartezeit ihrer Bestimmung hoch über der Elbe näher kommen. Die wichtigste Phase in der Baugeschichte der Elbphilharmonie beginnt, sie soll ein halbes Jahr dauern.
Hier, in einem Gewerbegebiet in Billbrook, lagern etwa drei Viertel der legendären „Weißen Haut“. Die maßgeschneiderte Innenverkleidung soll, wenn alles gut geht, den Großen Saal der Elbphilharmonie vor dem legendären Urteil Leonard Bernsteins bewahren, mit dem der Dirigent einst den Konzertsaal im Münchner Gasteig verfluchte. „Burn it!“, befahl Bernstein. Dieses Todesurteil raste mit Schallgeschwindigkeit durch die Klassik-Welt. München war blamiert. Die Münchner gehorchten allerdings bislang nicht, der Gasteig-Saal ist immer noch da und klingt immer noch berüchtigt lausig.
Sollte sich also der japanische Star-Akustiker Yasuhisa Toyota, der am Münchner Debakel nicht beteiligt war, bei seiner Arbeit für die Elbphilharmonie verrechnet haben, wäre das Herzstück von Hamburgs teuerstem Gebäude nur eine große, mittelprächtig klingende Halle. Etwa in der Gewichtsklasse Alsterdorf und nicht auf Augenhöhe mit Berlin, Luzern, Tokio oder Los Angeles. Alles wäre umsonst, die erhoffte – und sehr, sehr teuer bezahlte – Konzerthaus-Weltklasse wäre für die Musikstadt Hamburg nur ein weiterer schöner Traum gewesen. 15 Millionen Euro Gesamtpreis für die „Weiße Haut“ wären buchstäblich für den Eimer.
So weit ist es noch längst nicht, so weit wird es hoffentlich nie kommen. Die Platten jedenfalls sind längst einsatzbereit. Im Viererpack warten sie auf 2000 Paletten, in bis zu 2,40 Meter langen Kisten. In der Nachbarschaft des Platten-Depots stehen Kisten mit Tofugeschnetzeltem in den Regalen, daneben Industrie-Staubsauger. Hier gibt es tatsächlich nichts, was es nicht gibt. Ein angemessener Ort also, um Weltklasse-Klang zu bunkern, den es so nirgendwo gibt. Die elf Meter hohe Lagerhalle hat 4500 Quadratmeter Fläche, bis zu fünf Kisten hoch sind die Schall-Wellen hier geparkt. Angeliefert wurden sie aus Bayern, eine Spezialfirma hat sie maßgefertigt, millimetergenau natürlich.
Die Hochtief-Mitarbeiter Torsten Steiner und Werner Kuhn kommen aus dem Schwärmen kaum wieder heraus. Klar, das hier ist schon höchst komplex, aber: die Unterkonstruktion erst! Wie virtuos die Platten da angebracht werden, mit welcher Präzision bei der Entwicklung der Halterungen vorgegangen wurde! Schon nach Minuten ist man als Außenstehender versucht zu glauben, eine Hirn-OP wäre im Vergleich mit dieser Hightech-Angelegenheit nur eine dahingestümperte Laubsägearbeit.
Und dann ist, einige Tage vor Weihnachten, Bescherung. Unter dem Deckel einer Kiste, von Folien und der Schutzverpackung befreit, findet sich eine erste Kostprobe. Raffiniert gefräste Wellentäler. Bei manchen Platten seien die leicht geglättet, erklärt Kuhn, mit etwas Verknalltheit in der Stimme. Damit das Publikum beim Berühren der Wellen unbeschadet bleibt. Die größte Überraschung allerdings: Die „Weiße Haut“ ist gar nicht weiß. Sie ist nämlich eher grau. Egal. Hauptsache, sie klingt so toll, wie sie soll.
Am Freitag erscheint im Abendblatt eine 16-Seiten-Dokumentation über die Elbphilharmonie