Marokkaner 2007 als Terrorhelfer verurteilt. Bundesgerichtshof entscheidet über Wiederaufnahme
Hamburg. Ob einer der spektakulärsten Gerichtsprozesse des vergangenen Jahrzehnts neu aufgerollt wird, muss jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden. Der heute 39 Jahre alte Marokkaner Mounir El-Motassadeq aus dem Umfeld der „Harburger Zelle“ um den 9/11-Attentäter Mohammad Atta war 2007 zu einer 15-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
El-Motassadeq wurde der Beihilfe zum Mord an den 246 Passagieren der am 11. September 2001 abgestürzten Flugzeuge und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen.
El-Motassadeqs Strafverteidiger Udo Jacob hatte, wie berichtet, im Juli dieses Jahres einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, weil sich aus Jacobs Sicht neue Beweise ergeben haben. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hat den Antrag nun abgelehnt, doch der Rechtsanwalt gibt nicht auf. Er hat gegen die Entscheidung des zweiten Senats des OLG Beschwerde eingelegt, über die nun der BGH befinden muss. „Ich sehe weiterhin gute Chancen, dass wir erfolgreich sind“, sagte Jacob dem Abendblatt.
Die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens ist an hohe Hürden geknüpft und kommt daher sehr selten vor. Jacob stützt seinen Antrag in erster Linie auf ein zweiseitiges Schriftstück aus den USA. Darin entlastet Ramzi Binalshibh, der zum engen Kreis der Harburger Gruppe gehörte, El-Motassadeq.
Der 41 Jahre alte Jemenit Binalshibh, der 2002 nach einem Schusswechsel in der pakistanischen Stadt Karatschi festgenommen wurde, sagt unter anderem, dass der Marokkaner „nie etwas mit 9/11 zu tun gehabt“ habe. Das Besondere: Binalshibh sitzt vermutlich seit 2006 im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba. Die Aussage Binalshibhs, die Jacob jetzt in Händen hält, hat der Jemenit freiwillig gegenüber seinen US-Anwälten gemacht.
Diese Freiwilligkeit kann von entscheidender Bedeutung sein. Bereits in den ersten beiden Prozessen gegen El-Motassadeq spielten mögliche entlastende Aussagen Binalshibhs eine Rolle. Doch es wurde damals darüber diskutiert, ob das Material in einem Prozess vor einem deutschen Gericht überhaupt verwertet werden darf. Was Binalshibh damals gegenüber den US-Ermittlern sagte, kam möglicherweise unter Folter zustande. Unter anderem sorgte das sogenannte Waterboarding für heftige Diskussionen. Das Gericht sah 2005 den Foltervorwurf als nicht bestätigt an und ließ die Aussagen des Jemeniten zu – schenkte ihnen aber keinen Glauben.
Rechtsanwalt Jacob glaubt nun, mithilfe von FBI-Dokumenten beweisen zu können, dass die Amerikaner in Guantánamo tatsächlich Folter angewendet haben. Insofern hätte die alte Aussage Binalshibhs nicht Eingang in den Prozess finden dürfen. In diesem Sinn sei die aktuelle, freiwillige Aussage ein neuer Beweis, der die Wiederaufnahme rechtfertige. Das Problem: Beide Aussagen des inhaftierten Jemeniten sind deckungsgleich. Aus diesem Grund ist das OLG offensichtlich Jacobs Argumentation auch nicht gefolgt.
Auch der zweite Grund für die Wiederaufnahme vermochte die Richter nicht zu überzeugen. Jacob konnte einen weiteren Angehörigen des Umfelds der Harburger Gruppe bewegen, erstmals eine Aussage zu machen: den 41 Jahre alten Abdelghani Mzoudi, der vom Vorwurf der Beihilfe an den 9/11-Morden freigesprochen wurde und heute in Marokko lebt. Das OLG glaubt offensichtlich nicht, dass Mzoudi neue Beweise liefern kann.
„Mein Elan ist ungebrochen. Ich bin überzeugt davon, dass der Spruch gegen El-Motassadeq ein Fehlurteil war“, sagt Jacob. Der Marokkaner verbüßt seine Haftstrafe in Fuhlsbüttel.