400 Mitarbeiter räumen auf den Straßen auf: Die Laubmenge reicht aus, um rund 300.000 Standard-Mülltonnen zu füllen
Hamburg. Am Morgen nach dem Orkan trifft Arnim Silwar fast der Schlag. Fassungslos steht der Betreiber des traditionsreichen Bootshauses Silwar in Eppendorf vor der Lagerhalle. Eine Birke und eine Eiche liegen auf dem Dach. Zwei mächtige Bäume, von Orkantief „Christian“ komplett entwurzelt, einfach rausgerissen aus dem Erdreich. Rund 120 Ruderboote, Kajaks und Kanus, die in den warmen Monaten für Alsterfahrten vermietet werden, befinden sich in dem Bootshaus. Wie hoch der Schaden ist, kann Silwar nicht sagen. „Aber einige Boote dürften hinüber sein.“
Noch am Nachmittag versuchte die Feuerwehr, die Stämme zu heben. Gleichzeitig wurde auf Beschluss des Bezirks Nord bei einer über dem Gastronomiebereich stehenden Kastanie eine sogenannte Kronensicherung angebracht. Dabei wurde die Baumkrone mit Gurten und Seilen fixiert. Silwar macht die Konstruktion Angst. „Die Kastanie hat 40 Tonnen. Wenn die runterkracht, ist hier alles kaputt.“
Er ist längst nicht das einzige Opfer des Orkans. Der verheerendste Herbststurm seit Jahren hat Hamburg am Montag mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 119 km/h heimgesucht. Reihenweise deckte er Dächer ab, entwurzelte Bäume, legte praktisch den gesamten Verkehr und den Flughafen lahm. Für die Taxifahrer bedeutete der Verkehrskollaps Stress pur: „In 30 Jahren im Taxigeschäft habe ich so einen Tag noch nicht erlebt“, sagte Thomas Lohse, zweiter Vorsitzender von Hansa-Taxi. Mehr als 500 Fahrten absolvierte Hansa-Taxi, um ausfallende Züge der Deutschen Bahn zu ersetzen. Die Feuerkasse, die in Hamburg 200.000 Kunden hat, geht von rund 4000 Orkanschäden und Kosten in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro aus. Ab Windstärke 8 kommt die Wohngebäudeversicherung für Schäden am Gebäude auf. Glücklicherweise kamen Menschen meist mit dem Schrecken davon. In Harburg musste eine Rentnerin ins Krankenhaus, nachdem ihr Baumteile in den Rücken geflogen waren.
Einer der windigsten Orte Hamburgs war am Montag wohl die Hochtief-Baustelle auf dem Dach der Elbphilharmonie: Windgeschwindigkeiten von 33 Metern in der Sekunde wurden dort gemessen, sagte Projektleiter Stephan Deußer. „Wir haben alles, was nicht niet- und nagelfest war, gesichert.“ Neben einem Bauschild und einem kleinen vier Meter hohen Gerüst, die vom Orkan umgeblasen wurden, gab es kaum Beschädigungen. Nur mehrere vier Meter lange Holzbohlen müssen noch aus der Elbe gefischt werden, sie waren vom Dach gepustet worden.
Am Dienstag hat sich die Lage weiter entspannt. Die Feuerwehr musste wetterbedingt weniger als 250-mal ausrücken. Zum Vergleich: Bis sechs Uhr am Dienstagmorgen waren die Retter 2000-mal im Einsatz – meist um Bäume abzutransportieren. Einer der größten Einsätze spielte sich in Rahlstedt ab, wo am Schierenberg eine 25 Meter hohe Tanne den Dachstuhl eines Einfamilienhauses durchschlagen hatte.
400 Mitarbeiter der Stadtreinigung blasen Laub von den Straßen
Unterdessen haben auch die Aufräumarbeiten begonnen. 400 Mitarbeiter der Stadtreinigung pusten mit 113 Elektroblasgeräten das rutschnasse Laub von den Straßen. Insgesamt müssen in den nächsten Wochen 15.000 Tonnen welke Blätter von 250.000 Straßenbäumen beseitigt werden. „Würde man diese Tonnen aufeinanderstellen, wäre der entstandene Turm rund 32-mal so hoch wie der Mount Everest“, sagt Sprecher Reinhard Fiedler. Auch der Nahverkehr läuft seit Dienstagnachmittag weitgehend reibungslos: Gegen 13.30 Uhr verkündete Hochbahn-Sprecherin Maja Weihgold, dass auch die U-1-Strecke zwischen Kellinghusenstraße und Ohlsdorf freigegeben worden sei. Damit fuhren alle U-Bahnen regelmäßig, wenn auch mit Verspätungen. Der S-Bahn-Betrieb hingegen lief nicht störungsfrei: Auf den Linien S2 und S11 verkehrten keine Züge, die S3 endete in Buxtehude. Wer nach Stade wollte, musste in einen Ersatzverkehr mit Bussen und Taxis umsteigen.
Laut eines Sprechers der Deutschen Bahn konnten am Dienstag noch nicht alle Fernverkehrsverbindungen bedient werden. So musste, wer von Hamburg nach Kiel, Flensburg oder Sylt wollte, auf andere Verkehrsmittel wechseln. Seine Aufgabe erfüllt hatte hingegen ein Intercity-Zug, der in der Nacht zu Dienstag im Hauptbahnhof wartende Reisende aufnahm, die es nicht mehr zu ihrem Ziel geschafft hatten. Zahlreiche Reisende sollen den sogenannten Übernachtungszug genutzt haben, der um 5.30 Uhr den Bahnhof wieder verließ, so der Sprecher.
Während in den Wohngebieten weitgehend wieder Normalität herrscht, warnt die Forstverwaltung vor dem Betreten der Waldgebiete. „Umgeknickte, schief stehende und labile Stämme sowie nicht vollständig abgebrochene oder hängen gebliebene Äste stellen immer noch eine akute Gefahr für den Waldbesucher dar“, so die Wirtschaftsbehörde. Die Aufräumarbeiten seien frühestens am Freitag beendet.