Egal, ob Sielbau, Busbeschleunigung oder Sanierung: 23 große Baustellen machen Autofahren zur Geduldprobe, 40 neue sind geplant. ADAC warnt vor „Aggressivität“
Hamburg. Mehr als eine Minute lang ist die Rotphase am Heidenkampsweg/Ecke Anckelmannsplatz. Zeit genug für den Fahrer eines VW Polo, auszusteigen, zum Kofferraum zu gehen und sich in Ruhe eine Schale Weintrauben und eine Flasche Wasser zu holen. Wenn man eines benötigt auf diesem Teil der B75, dann ist es Geduld. Wegen Sielbauarbeiten ist die Fahrbahn auf zwei Spuren verengt – zu wenig, um die vielen Autos zügig an der Baustelle vorbei zu führen.
„Eine Katastrophe ist das hier“, sagt die blonde Fahrerin eines alten Opels. Jeden Tag muss sie über den Heidenkampsweg zur Arbeit fahren – und abends wieder zurück. „Ich plane locker zehn Minuten zusätzlich pro Fahrt ein, seitdem hier gebaut wird.“ In ihrem Gesicht zeigt sich ebenso wie wie bei vielen Leidtragenden der Frust, aber auch Hilfslosigkeit. Viele scheinen sich einfach damit abgefunden zu haben, dass es hier nun einmal nicht vorangeht. Mindestens bis Oktober 2014 soll es noch so weitergehen. An der Straße wirbt Hamburg Wasser, der Bauträger, auf einem Plakat für ihren Leitungsbau: „Läuft alles nach Plan, läuft es auch bei Ihnen."
Noch allerdings läuft es nicht: Mindestens 23 große Baustellen wegen Sielarbeiten, Fahrbahnerneuerung oder anderen Arbeiten plagen allein zum Ende dieser Woche die Autofahrer. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Wie die Stadt bereits angekündigt hatte, sollen bis Ende dieses Jahres mehr als 40 neue Baustellen entstehen. Ein Ende des Dauerstaus ist also nicht in Sicht.
Auch auf der Hudtwalckerstraße in Winterhude haben sich die Autofahrer daran gewöhnt, zu warten. Ab dem Eppendorfer Marktplatz schlängeln sich die Fahrzeuge nur langsam in Richtung Barmbeker Straße. Von Stau im engeren Sinn des Wortes ist allerdings noch nichts zu sehen. Erst auf der Barmbeker Straße selbst heißt es: stehenbleiben und allenfalls im Schritttempo weiter. „Der ganz normale Wahnsinn“, spottet ein an der Fußgängerampel wartender Anwohner.
Allerdings ist der Grund für diesen Stau für jedermann ersichtlich; zu dem ohnehin erhöhten Verkehrsaufkommen am frühen Feierabend gesellt sich seit Anfang der Woche eine Baustelle an der Kreuzung Krohnskamp/Ecke Wiesendamm. Linksabbiegen ist an dieser Stelle – voraussichtlich bis zum kommenden Montag – nicht mehr gestattet. Man ist hier also besser beraten, zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs zu sein. So lässt sich das alltägliche Treiben in unmittelbarer Nähe zum Stadtpark jedenfalls besser ertragen.
Nahe dem Siemersplatz, der vom ADAC als einer der am stärksten von Stau betroffenen Verkehrsknotenpunkte benannt wurde, prangt auf einem Parkplatz ein großes Plakat. „Leuchten und Leuchtmittel Seidler“ wirbt mit „Baustellen-Rabatt mit Kaffee“. Man hofft so, trotz Baustelle, Kunden anzulocken. Ein Mitarbeiter klagt über starke Umsatzeinbußen seit Juni. Der Feinkostladen gegenüber habe bereits schließen müssen. Und: Durch die Baustelle können die Autos, die von der Julius-Vosseler-Straße kommen, nicht mehr rechts abbiegen. „Einige tun es trotzdem, dann kracht es schon mal.“
Auf der Beschwerdeliste des ADAC stehen neben dem Siemersplatz in Lokstedt, wo die Busbeschleunigung voraussichtlich noch bis zum 14.Oktober ausgebaut wird, auch die Kreuzung Heidenkampsweg/Anckelmannsplatz, wo wegen Sielarbeiten die Straße verengt wurde. Außerdem: die Kreuzung Kieler Straße/Stellinger Steindamm, wo noch bis zum 4. Oktober gebaut wird, die Meiendorfer Straße zwischen Saseler Straße und Schierhornstieg (Asphaltarbeiten bis zum 8. September) und die Hammer Landstraße zwischen Horner Landstraße und Schurzallee-Nord in Hamm (Arbeiten am Stromnetz, bis zum 29. November).
Der lange Winter hat viele Bauprojekte verzögert, aber im Sommer lief es gut
Nicht zu vergessen die kilometerlangen Staus auf der A7 zwischen Moorburg und Waltershof in Fahrtrichtung Norden. Auch in diesem Bereich ist der nächste Stau-Ärger programmiert. Von November an wird die Brücke über der B73 saniert und für den Schwerlastverkehr teilweise gesperrt. Ein Jahr lang sollen die Arbeiten dauern. „Da wird es wohl sehr oft, sehr lange Staus geben“, sagt ADAC-Hansa-Sprecher Christian Hieff. Autofahrern rät er, sich mit der Situation zu arrangieren, sich frühzeitig über Sperrungen zu informieren und viel Zeit einzuplanen. „Sonst gerät man in Stress, und damit steigt die Aggressivität.“
Susanne Meinecke, Sprecherin der Verkehrsbehörde begründet die aktuelle Baustellendichte so: „Durch den langen Winter 2012/2013, der bis in den April dauerte, konnten nicht alle Projekte so früh begonnen werden, wie geplant. Das bedeutet, dass der Zeitraum für alle geplanten Baumaßnahmen im Jahr 2013 geschrumpft ist.“ Die geplanten Projekte seien bisher aber reibungslos gelaufen. Meinecke: „Durch die lange trockene Sommerzeit konnten die Projekte nach Plan umgesetzt werden.“