Innensenator Michael Neumann (SPD) beharrt darauf, dass die Afrikaner auf St. Pauli ihre Personalien angeben und dann nach Recht und Gesetz behandelt werden

Hamburg. Seit Anfang Juni befinden sich rund 80 Flüchtlinge aus Afrika in der Obhut der St.-Pauli-Kirche. Sie waren zuvor über Italien nach Hamburg gekommen. Während Kirche und Flüchtlingsorganisationen auf ein Bleiberecht pochen, hat der Senat stets betont, dass diese Menschen hier keine Zukunft hätten. Das Abendblatt sprach mit Innensenator Michael Neumann (SPD) über die aktuellen Entwicklungen in der Flüchtlingsfrage.

Hamburger Abendblatt:

Waren Sie selbst schon einmal bei den Flüchtlingen in der St.-Pauli-Kirche?

Michael Neumann:

Nein. Aber ich habe mit den Pastorenund der Kirchenleitung gesprochen, und wir sind im guten Dialog.

Die Aufenthaltstitel der Flüchtlinge dürften mittlerweile abgelaufen sein. Doch die Situation scheint verfahren, auch weil Ihre Behörde kaum in die Kirche hineinmarschieren kann, um die Personalien festzustellen. Wie kann es weitergehen?

Neumann:

Da wir jeden Fall einzeln prüfen müssen, müssen die Menschen auch einzeln sagen, wer sie sind und woher sie kommen. Erst dann kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheiden, ob ein Asylgrund vorliegt. In der vergangenen Woche gab es ein erstes Informationsgespräch für die Flüchtlinge, in dem ihnen die Rechtslage dargestellt wurde. Mit dabei waren auf Einladung der Diakonie für die Innenbehörde Vertreter des Amtes für Verwaltung und des Einwohner-Zentralamts. Es ging dabei um das Thema Rückkehrhilfen, aber auch um mögliche Asylverfahren.

Das ist ein Anfang.

Neumann:

Ja, und ich bin zuversichtlich, dass das Vertrauen in unseren Rechtsstaat bei den Flüchtlingen durch die Arbeit der Kirche, aber auch unsere eigene, wächst. Man muss sich vor Augen führen, dass sie bisher demokratische Rechtsstaatlichkeit kaum kennengelernt und deshalb wenig Vertrauen in staatliche Institutionen haben. Nun sind die Menschen zur Ruhe gekommen. Ich habe die große Hoffnung, dass sie sich nun Schritt für Schritt der Ausländerbehörde gegenüber öffnen und wir dann die Chance erhalten, ihre Fälle individuell zu prüfen. Dann werden wir sehen, ob es Aufenthaltsperspektiven gibt.

Wie viele Menschen sind denn bisher beraten worden?

Neumann:

Das macht die Kirche. Aber es scheint eine wachsende Zahl zu sein, die langsam realisiert, dass sich die Versprechen und Hoffnungen, die ihnen gemacht wurden, nicht verwirklichen lassen und es richtig ist, sich unter rechtsanwaltlicher Begleitung der Stadt zu offenbaren. Das tun alle anderen Asylbewerber, die wir jeden Tag in Hamburg aufnehmen. Flüchtlinge beispielsweise aus Afghanistan, Tschetschenien oder dem Iran befolgen unsere Gesetze und Regeln. Dies erwarte ich auch von allen anderen Flüchtlingen.

Bisher gab es bei den Männern, die über Libyen und Italien nach Hamburg gekommen sind, wenig Bereitschaft, die Identitäten offenzulegen.

Neumann:

Mein Eindruck ist, dass dies in Bewegung gerät. Den Menschen ist in Teilen fälschlicherweise die Hoffnung gemacht worden, man könne ohne Offenlegung der Identitäten ein Aufenthaltsrecht als Gruppe erlangen. Das gibt unser Recht aber nicht her. Diese Hoffnungen, die von wenig verantwortlicher Seite geschürt wurden, sind nun mit den klaren Ansagen im Beratungsgespräch zerstoben. Es dauert sicher noch einen Augenblick, bis dies realisiert wird. Vielleicht haben die Menschen den falschen Beratern geglaubt.

Wer hat sie denn falsch beraten?

Neumann:

Es gibt einige, die aus meiner Sicht das Schicksal dieser Menschen mit ihren politischen Zielen verbinden. Dieselben die eine individuelle Einzelfallprüfung fordern, aber gleichzeitig ablehnen, dass die Männer sagen, wer sie sind und wo sie herkommen.

Meinen Sie die Flüchtlingsgruppen oder die Kirche?

Neumann:

Wenn einige Hamburger Gruppen fordern, als Voraussetzung für eine Lösung des konkreten Problems dieser Flüchtlinge müsse das Schengen-Abkommen abgeschafft werden, dann missbrauchen sie das Schicksal dieser Menschen für ihre politischen Forderungen. Wer diese Ansicht teilt, was ich nicht tue, kann diese durch die Teilnahme an der Bundestagswahl voranbringen, gewiss aber nicht dadurch, dass man Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, für die eigenen Zwecke instrumentalisiert.

Wie bewerten Sie die Rolle der Kirche?

Neumann:

Die habe ich nicht zu bewerten. Die Kirche hat entschieden, diesen Menschen eine Heimstätte anzubieten. Als Innensenator habe ich die Aufgabe, Recht und Gesetz angemessen durchzusetzen.

War Obdach in der Kirche denn hilfreich oder kontraproduktiv?

Neumann:

Ich empfinde jedenfalls die Gespräche, die wir mit der Gemeinde auf St. Pauli führen, als hilfreich und bin dankbar, dass die Kirche dabei hilft, eine realistische Lageeinschätzung bei den Menschen herbeizuführen, um eben nicht diesen Versprechungen, die von anderer Seite gemacht worden sind, weiter aufzusitzen.

Sollte Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen, weil Länder wie Griechenland, Italien und Spanien mit ihren Wirtschaftsproblemen und ihren Schengen-Außengrenzen überfordert sind? Verhalten wir uns unsolidarisch?

Neumann:

Der Eindruck, Deutschland sei da sehr zurückhaltend, ist völlig falsch. Gut 23 Prozent aller Menschen, die in Europa einen Asylantrag stellen, nimmt Deutschland auf. Das ist einem großen Land auch angemessen. Aber gerade der gern zitierte Vergleich mit Italien ist spannend. Pro eine Million Einwohner nimmt Deutschland 945Asylbewerber auf, Italien hingegen lediglich 260. Man kann also wirklich nicht sagen, Deutschland lasse Italien mit diesem Problem allein. Deutschland und auch Hamburg leisten einen erheblichen Beitrag, aber es darf auch nicht eine weitere Umverteilung „durch die Hintertür“ geben.

Viele Flüchtlingsgruppen kritisieren die Vereinbarungen der EU wie beispielsweise Dublin II als ungerecht. Sie auch?

Neumann:

Die EU ist auf dem Weg zu einem europäischen Asylrecht, das halte ich für einen großen Fortschritt. Ich finde das Schengener Abkommen und die Flüchtlingsvereinbarungen von Dublin II richtig. Wir haben Standards, die festgeschrieben sind. Die Frage, ob diese überall eingehalten werden, obliegt der Überprüfung durch Gerichte. Sollten Regeln nicht eingehalten werden, müssen Brüssel und die Bundesregierung darauf drängen, was im Falle Griechenlands geschieht. Es wird dorthin nicht abgeschoben. Europa ist auch eine Wertegemeinschaft.

Aber die Verhältnisse in manchen Auffanglagern in Südeuropa sind alles andere als ideal. Kann man dahin Menschen guten Gewissens wieder zurückschicken?

Neumann:

Die Beurteilung dieser Frage liegt bei der Bundesregierung. Im Zweifel überprüfen dies deutsche und europäische Gerichte. Wir haben kein Hamburger Asylrecht. Wir können nicht einfach sagen, wir machen das anders als der Bund. Wir wollen und müssen in jedem Einzelfall prüfen, ob die Menschen hier ein berechtigtes Anliegen haben. Dafür müssen sie uns jedoch sagen, wer sie sind. Die Haltung „ich sage nicht, wer ich bin und ich sage auch nicht woher ich komme, möchte aber auf jeden Fall einen Aufenthaltstitel haben, eine Arbeitserlaubnis und womöglich noch eine finanzielle Unterstützung“, ist illusorisch.

Stoßen Sie mit Ihrer Haltung nicht auf Probleme in Ihrer eigenen Partei?

Neumann:

Nein. Im Übrigen habe ich als Senator einen Eid auf die Hamburgische Verfassung abgelegt, nicht auf Parteiprogramme.

Sie fühlen sich Ihrer Partei nicht mehr verpflichtet?

Neumann:

Als Senator fühle ich mich der Stadt verpflichtet. Wir stimmen uns zwischen Senat und Bürgerschaft eng ab und deshalb bin ich sicher, dass der eingeschlagene, rechtstaatliche Weg richtig ist.

Fällt es Ihnen als Sozialdemokrat und Katholik schwer, diese Menschen wieder in die Aufnahmelager zurückzuschicken?

Neumann:

Unabhängig davon, ob ich Sozialdemokrat und Katholik bin, habe ich einen Eid darauf abgelegt, die Gesetze dieser Republik einzuhalten. Das hat mir den Vorwurf eingetragen, ich würde mich hinter Gesetzen verstecken. Dieser Vorwurf ist eher ein Kompliment, denn ein Senator hat sich an Recht und Gesetz zu halten. Noch mal: Wir werden die Einzelfälle individuell prüfen. Einen Blankoscheck – jeder, der will, kann nach Hamburg kommen und bleiben – wird es nicht geben.

Die Flüchtlingszahlen steigen an. Überfordert der Zustrom der Menschen die Stadt?

Neumann:

Die Stadt ist damit nicht überfordert, gerade wenn man die Zahlen mit denen der 90er-Jahre vergleicht, aber wir müssen uns gewaltig anstrengen. Es ist eine große Herausforderung, ausreichend Orte für Flüchtlingseinrichtungen zu finden. Bei der abstrakten Frage der Solidarität gibt es in unserer Stadt breite Unterstützung. Doch wenn es darum geht, in der eigenen Nachbarschaft, im Stadtteil Flüchtlinge aufzunehmen, reagieren Menschen häufig ablehnend. Da müssen wir um Vertrauen werben und gleichzeitig dafür sorgen, dass nicht immer die selben Stadtteile betroffen sind.