Der SPD-Senat sowie CDU und FDP lehnen den Rückkauf der Versorgungsnetze ab, Linke, Grüne und Umweltschützer sind dafür. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Hamburg. Am 22. September 2013 entscheiden die Hamburger nicht nur darüber, wer sie im neuen Bundestag vertreten soll. Sie stimmen in einem Volksentscheid auch darüber ab, ob die Stadt die Energienetze zu 100 Prozent zurückkaufen soll.
Worum geht es genau?
Die Volksinitiative „Unser Hamburg - unser Netz“ will, dass die Stadt die Strom-, Gas- und Fernwärmeleitungen vollständig von den Energieversorgern Vattenfall und E.on zurückkauft. Das Stromnetz umfasst etwa 27.500 Kilometer an Leitungen, das Erdgasnetz hat eine Länge von 7300, das Fernwärme von 800 Kilometern. Die Netze waren Ende 1990er-Jahre privatisiert worden.
Wie begründet die Initiative den geplanten Rückkauf?
Im Wesentlichen werden zwei Argumente für den Rückkauf genannt. Erstens bekomme Hamburg nur bei einem vollständigen Rückkauf genügend Einfluss, um die Energiewende voranzutreiben. Zweitens könne mit den Netzen viel Geld verdient werden. „Mit den Strom- und Gasnetzen und der Fernwärmeversorgung machen die Konzerne jährliche Umsätze von über 1 Milliarde Euro“, schreibt die Initiative auf ihrer Internetseite. „Die Renditen im Netzbetrieb sind solide. Wir wollen, dass dieses Geld künftig in Hamburg bleibt.“
Wer steckt hinter der Initiative?
Gegründet wurde sie von sechs Organisationen: Attac, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Diakonie und Bildung des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises, Initiative Moorburgtrasse stoppen, Robin Wood und Verbraucherzentrale Hamburg. Mittlerweile wird sie auch von zahlreichen anderen Organisationen unterstützt.
Wie begründet die Verbraucherzentrale ihr Engagement?
Die Verbraucher hätten zum einen ein Interesse am Klimaschutz, zum anderen aber auch am Wettbewerb im Energiesektor, erklärte Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale, seinerzeit. Wenn der Netzbetreiber gleichzeitig Energieerzeuger sei, gefährde dies den Wettbewerb. Er erhoffe sich vom Rückkauf der Netze, dass durch mehr Wettbewerb die Preise für die Verbraucher sinken.
Wie begründet die evangelische Kirche ihr Engagement?
Die Kirche evangelisch-lutherische Kirche in Norddeutschland wies darauf hin, dass die Unterstützung der Initiative eine autonome Entscheidung des Fachbereichs Diakonie und Bildung des Kirchenkreises Hamburg-Ost gewesen sei. Grundsätzlich setze sich die Kirche für die Bewahrung der Schöpfung, für Klimaschutz und Energiewende ein.
Wie ist die Position des SPD-Senates?
Der Senat und die SPD-Mehrheit in der Bürgerschaft haben den Rückkauf eines Anteils von 25,1 Prozent an den Netzen für 543 Millionen Euro beschlossen. Diese Minderheitenbeteiligung reiche, um Einfluss auf die Energiepolitik zu nehmen, so Bürgermeister Olaf Scholz. Die Energiewende könne nur gemeinsam mit den Energieversorgern gelingen, nicht gegen sie. Zudem sei ein vollständiger Rückkauf nicht, der um die zwei Milliarden Euro kosten könne, nicht bezahlbar.
Was sagen die anderen Parteien?
Grüne und Linke unterstützen die Initiative, FDP und CDU sind gegen einen vollständigen Rückkauf.
Was passiert, wenn die Initiative sich durchsetzt?
Das ist nicht ganz klar. Ein Problem wäre: Hamburg hat gar nicht das Personal und die Kompetenz, die Netze zu betreiben. Die Initiative hofft, dass die für den Netzbetrieb zuständigen Mitarbeiter der Energieversorger zur Stadt wechseln würden. Ein weiteres Problem: Die Konzession für die Stromnetze wird 2014 neu vergeben. Den Zuschlag muss laut Gesetzeslage der Bewerber bekommen, der die besten Voraussetzungen für den Netzbetrieb mitbringt. Es ist also keinesfalls sicher, dass die Stadt Hamburg die Konzession erhält. Die Rückabwicklung gibt den Energieversorgern die Möglichkeit, von den zugesagten 1,6-Milliarden-Euro-Investitionen zurückzutreten.
Wie lauten die Umfragen zum Rückkauf der Netze?
Bei einer Umfrage der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg im Juni stimmten 58 Prozent der Befragten für den Rückkauf gestimmt. Im Februar waren es laut einer repräsentativen Abendblatt-Umfrage noch 64 Prozent.
Wie viele Stimmen braucht die Initiative für einen Sieg beim Volksentscheid?
Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Volksentscheid zugunsten der Initiative ausgeht. Erstens muss eine Mehrheit der gültig Abstimmenden sich für die Vorlage der Initiative aussprechen. Da die Abstimmung am Tag der Bundestagswahl stattfindet, muss sie zweitens mindestens die Zahl an Stimmen erhalten, „die der Mehrheit der in dem gleichzeitig gewählten Parlament repräsentierten Hamburger Stimmen entspricht“. Ein Beispiel: Bei der Bundestagswahl werden eine Million Stimmen abgegeben, von denen sich aber nur 900.000 sich niederschlagen, weil 100.000 Stimmen für Parteien abgegeben werden, die unter der Fünf-Prozent-Hürde gelandet sind. Dann reichen der Initiative 450.001 Stimmen zum Sieg - also die Hälfte von 900.000 plus eins.