Konkurrenz der Standorte wächst. Stimmung zwischen beiden Ländern war unter von Beust und Simonis bestens
Hamburg / Kiel. "Husum war einmal das Woodstock der Windenergie." Der Satz des SPD-Bürgerschafts-Fraktionschefs Andreas Dressel über die Windmesse in der nordfriesischen Kleinstadt war sicherlich anerkennend gemeint. Doch der Vergleich mit dem legendären Musikfestival zeigt schlaglichtartig, was zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein derzeit schiefläuft.
Woodstock ist lange Vergangenheit und für manche sicherlich noch eine schöne Erinnerung. Die weltgrößte Messe rund um die Windenergie in Husum (im September kamen 36 000 Besucher und mehr als 1100 Aussteller) ist dagegen für die strukturschwache Region an der dänischen Grenze höchst gegenwärtig und zukunftsträchtig.
Und bedroht: Die HamburgMesse - zu 100 Prozent im Besitz der Stadt - arbeitet seit Juni 2011 daran, die Ausstellung 2014 nach Hamburg zu holen. Präziser gesagt: Es ist der Versuch einer durchaus unfreundlichen Übernahme - politisch flankiert. Hamburg bestätigt die Vorurteile, die sich im Norden seit Langem halten: Arrogant seien die Hansestädter, in erster Linie am eigenen Vorteil interessiert.
Es gab keine Vorwarnung an die schleswig-holsteinische Landesregierung im Sommer 2011, wohl aber ein Schreiben von Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) an die Unternehmen der Windenergie, in der er für den Standort Hamburg warb. Die Kieler wurden "kalt erwischt".
Wer sich die Geschichte der Beziehungen zwischen Kiel und Hamburg anschaut, dem wird schnell klar, dass es in starkem Maße um Stil und Umgangston, ja auch um Respekt geht. In Kiel stellt sich schnell das Gefühl ein, die Hamburger betrachteten den nördlichen Nachbarn als eine Art Hinterhof ihrer schönen Stadt - und schlagen dann verbal zurück.
Geradezu legendär sind die Auseinandersetzungen zwischen Bürgermeister Henning Voscherau und Ministerpräsidentin Heide Simonis Mitte der 90er-Jahre. Die beiden Sozialdemokraten konnten nicht miteinander und zeigten dies auch öffentlich. Als der Hamburger eine Autobahn-Elbquerung östlich der Stadt befürwortete - Simonis wollte eine westliche Umfahrung Hamburgs - befand die resolute Kielerin bündig: "Voscherau macht den Norden kaputt!" Besser wurde das Verhältnis der beiden Länder, als der zurückhaltende Ortwin Runde Bürgermeister geworden war. Runde erreichte die Zustimmung Schleswig-Holsteins zur damaligen Elbvertiefung und zur Airbus-Werkserweiterung auf Finkenwerder. Als Hochphase der Nord-Kooperation gilt die Ära Simonis/Ole von Beust. Der Christdemokrat erwarb das Vertrauen der Kielerin, weil er "auf Augenhöhe" mit den Nachbarn kommunizierte. In beider Regierungszeit fusionierten die Landesbanken zur HSH Nordbank, entstanden ein gemeinsames Statistikamt, ein Eichamt und eine Datenzentrale. Von Beust gelang es auch, dass gute nachbarschaftliche Verhältnis mit dem gemütlichen Peter Harry Carstensen (CDU) fortzusetzen.
Dass die beiden Länder unterschiedliche Interessen haben, ist naheliegend. Die Standortkonkurrenz wegreden zu wollen, wäre blauäugig. Aber es überwiegen die Gemeinsamkeiten: Schleswig-Holsteiner pendeln zur Arbeit nach Hamburg. Und der Stadtstaat ist nicht nur dann auf Schleswig-Holstein angewiesen, wenn es zum Beispiel um die Zustimmung des Elbanrainers zur Vertiefung der Fahrrinne geht. Hamburg und Schleswig-Holstein haben gemeinsame Interessen zum Beispiel in der Verkehrsinfrastruktur und - ja - auch beim Ausbau der Windenergie wie der Energiewende insgesamt.
So gesehen war es schon ein Politikum, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung nach Amtsantritt kaum auf die norddeutsche Zusammenarbeit einging. Dass er nicht in den Konflikt um die Windmesse eingriff, hat nun zur Folge, dass der Kieler Umweltminister Robert Habeck den schon ausgehandelten Vertrag zur Lagerung von Hafenschlick vor Helgoland erst einmal auf Eis gelegt hat.
Die Zusammenarbeit hakt mittlerweile so sehr zwischen den beiden norddeutschen Ländern, dass CDU-Bürgerschaftsfraktionschef Dietrich Wersich die Idee eines Grundlagenvertrages ins Spiel gebracht hat. "Grundsätze zu vereinbaren, würde ich eher als Rückschritt empfinden", sagt Altbürgermeister von Beust heute. Und Ex-Bürgermeister Runde lehnt einen solchen Vertrag mit dem Hinweis ab, dass im föderalen System die Zusammenarbeit der Länder selbstverständlich sein sollte. Vielleicht gelingt es Scholz ja, mit Ministerpräsident Torsten Albig, seinem Parteifreund, ein neues Vertrauensverhältnis zu begründen. Dass sich ausgerechnet die Nord-Grünen in einer Mitgliederbefragung für den Nordstaat ausgesprochen haben, wirkt angesichts der aktuellen Probleme beinahe kurios. Für die Idee einer Länderfusion, die auf beiden Seiten auch Ängste und Abwehr auslöst, hatte von Beust schon vor Jahren die Losung ausgegeben: "Immer daran denken, nie darüber reden!"