Die Grünen beziffern erstmals die Risiken, die der Stadt aus der Elbphilharmonie entstehen. Eine Debatte in der Bürgerschaft.
Hamburg. Kaum noch jemand glaubt, dass die Elbphilharmonie die Stadt nicht mehr als die bislang geltenden 323 Millionen Euro kosten wird. Aber wie viel mehr das am Ende sein wird, das wollte bislang niemand abschätzen. Die Grünen haben nun als erste Fraktion in der Bürgerschaft eine Zahl errechnet, die das Mehrkosten-Risiko beziffert: "175 Millionen Euro plus x". Träte dieser Fall ein, würde das Konzerthaus die Stadt am Ende also eine halbe Milliarde Euro kosten.
"Wir haben mittlerweile eine Dimension erreicht wie vor dem Nachtrag 4", sagte die Finanzexpertin der Grünen, Anja Hajduk. Mit jener vierten Überarbeitung der Verträge Ende 2008 waren die Kosten für Hamburg schon von 114 auf 323 Millionen Euro gestiegen. Hajduk und ihre Kollegin Eva Gümbel, Obfrau der Grünen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Elbphilharmonie, stützen ihre Rechnung auf offizielle und veröffentlichte Angaben des Senats. Demnach wurden Mehrkosten von 25 Millionen Euro schon eingeräumt, hinzu kämen absehbare Forderungen der Architekten und des Baukonzerns Hochtief sowie Kostensteigerungen bei der Stadt von insgesamt 191 Millionen Euro - das macht 216 Millionen. Davon ziehen die Grünen die gut 40 Millionen ab, die die Stadt ihrerseits wegen des Terminverzugs von Hochtief fordert.
Ob diese "175 Millionen plus x" tatsächlich die Stadt bezahlen muss, darauf wollte Gümbel sich zwar auch nicht festlegen. "Wir sind kein Orakel", sagte sie. Aber möglich sei es, denn bislang seien die Hochtief-Forderungen nie ganz unberechtigt gewesen.
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Allerdings haben die Grünen in diese Rechnung auch die ominösen 100 Millionen Euro mit einbezogen, von denen es seit Langem heißt, Hochtief werde sie wegen der längeren Bauzeit von der Stadt fordern. Während der Konzern das offiziell zurückweist, hatte der Senat selbst in einem Sachstandsbericht Ende 2011 geschrieben, mit dieser Forderung sei "zu rechnen".
In der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft gab sich Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) gestern jedoch ahnungslos: "Ich kenne keine 100-Millionen-Forderung." Allerdings räumte sie ein: "Die Elbphilharmonie steht an einem veritablen Wendepunkt." Das bezog sich auf die "Neuordnungsvereinbarung", die der Senat derzeit mit Hochtief verhandelt und die eigentlich längst vorliegen sollte. Über den Stand sagte Kisseler nichts, betonte aber, dass die harte Linie des SPD-Senats das Projekt erst "auf den Weg zu einem erfolgreichen Ende" gebracht habe.
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Die Kultursenatorin hatte vor einem Jahr an gleicher Stelle mit der Ansage "Keine Spielchen mehr" gegenüber Hochtief einen Konfrontationskurs eingeleitet. Daraufhin hatte der Baukonzern die Arbeiten im November 2011 praktisch eingestellt. Nachdem mehrere Anläufe für eine Verständigung gescheitert waren, hatte die Stadt ein Ultimatum gesetzt und mit Kündigung gedroht. Schließlich wurde im Juli doch ein "Eckpunktepapier" unterzeichnet: Hochtief soll künftig gemeinsam mit den Architekten Herzog & de Meuron planen und so der Geburtsfehler des Projekts, dass Planen und Bauen nicht in einer Hand liegen, geheilt werden. Außerdem soll ein Schiedsgericht über alle strittigen Kostenfragen entscheiden - allerdings erst ein Jahr nach Fertigstellung, also wohl nicht vor 2016. Diese Eckpunkte müssen nun in einen Vertrag gegossen werden.
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"Das dauert so lange, wie es dauert", sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Oberste Maßgabe sei dabei, die Steuerzahler zu schonen. SPD-Kulturexpertin Gabi Dobusch sagte, der Senat werde nicht den gleichen Fehler machen wie der schwarz-grüne Vorgänger beim Nachtrag 4: "Diese Steigerung - um wie viele Millionen noch mal? - das passiert mit uns nicht." Eine Aussage, die die SPD noch oft vorgehalten bekommen könnte.
"Das ist dem Ernst der Lage nicht angemessen", zürnte Anja Hajduk. "Zeit ist ein enormer Kostentreiber", und niemand könne heute sagen, wer die Bauzeitverlängerung letztlich bezahlen muss. In diese Kerbe schlug auch CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. "Dieser Senat hat es in 19 Monaten geschafft, dass sich die Bauzeit um 21 Monate verlängert." Schuld sei Kisselers "beispiellose Konfrontationsstrategie". Die SPD habe die Elbphilharmonie nicht mehr im Griff, sagte Wersich, "die Elbphilharmonie hat die SPD im Griff."
Auch Norbert Hackbusch (Linke) nannte es eine "falsche Darstellung gegenüber der Hamburger Bevölkerung", dass Zeit keine Rolle spiele. Der Baustilstand kostet jeden Monat Millionen Euro. Robert Bläsing (FDP) brachte es auf die schlichte Formel: "Egal, welcher Senat die Verantwortung hat, sie kriegen es alle nicht gebacken."