Seit 2005 kamen 60 neue Gesetze, 46 Verordnungen und 106 Verwaltungsvorschriften hinzu. Die FDP will gegensteuern.
Hamburg. "In den Jahrgangsstufen 7 bis 10 der Stadtteilschule beziehen sich die Noten entweder auf die erste Anforderungsebene der Bildungspläne (Grundlegende Noten - G-Noten) oder auf die obere Anforderungsebene der Bildungspläne (Erweiterte Noten - E-Noten). Die Note "ausreichend", bezogen auf die erste Anforderungsebene (G 4), wird erteilt, wenn die Mindestanforderungen der ersten Anforderungsebene erfüllt sind. Die Note ,gut', bezogen auf die erste Anforderungsebene (G 2), wird erteilt ..."
Wer nach unverständlichem Behördendeutsch in Gesetzen und Verordnungen sucht, hat es derzeit leicht - denn der eingangs zitierte neue "Bildungsplan" der Schulbehörde ist wegen der Neuregelung zur Schreibschrift in aller Munde. In diesem Fall handelt es sich um eine Rechtsverordnung, die eine andere ersetzt. Doch im vermeintlichen Paragrafendschungel wächst nicht nur für jeden absterbenden Baum in der Regel ein neuer - es wird darüber hinaus auch weiter fleißig angepflanzt.
So sind in den vergangenen sechs Jahren 108 Landesgesetze neu in Kraft, aber nur 48 außer Kraft getreten - ein Plus von 60 Gesetzen. 236 neuen Rechtsverordnungen seit 2005 stehen nur 190 gegenüber, die nicht mehr gelten - ein Anstieg um 46 Verordnungen. Und die Zahl der Verwaltungsvorschriften stieg per Saldo gar um 106 - 180 kamen seit 2005 hinzu, nur 74 wurden außer Kraft gesetzt.
Die Zahlen gehen aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage von Katja Suding, FDP-Fraktionschefin in der Bürgerschaft, hervor. Sie verweist darauf, dass mit dem von ihrer Partei angeschobenen "Gesetz zur Deregulierung des Landesrechts" im Jahr 2005 acht Gesetze und 17 Rechtsverordnungen aufgehoben worden waren, und schließt aus den aktuellen Zahlen: "Seit dieser Zeit scheint das Thema nicht mehr im Vordergrund von Politik und Verwaltung in Hamburg zu stehen."
Zwar lässt sich die Entwicklung nicht direkt ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Gesetze und Verordnungen setzen, da Suding diese nicht abgefragt hat. Im September 2010 lag die Zahl der Gesetze bei 366. Alle anderen absoluten Daten stammen vom Januar 2008. Damals gab es 671 Rechtsverordnungen, 608 Verwaltungsvorschriften und 46 Globalrichtlinien. Dennoch ist der Anstieg seit 2005 offensichtlich - allein bei den Gesetzen liegt er bei 20 bis 25 Prozent. Und Suding ist überzeugt, dass das unterm Strich Geld kostet: "Bürokratie und Überregulierung verursachen nach Berechnung des Statistischen Bundesamts bundesweit Kosten von gut 47 Milliarden Euro." Auch sie höre von Unternehmern oft Klagen über einen Wust an Gesetzen.
Vor diesem Hintergrund will sich die FDP-Fraktion dafür einsetzen, Gesetze und Verordnungen mit einem Verfallsdatum zu versehen. Suding: "Das Parlament bekäme die Gesetze nach Ablauf des Verfallsdatums automatisch auf Wiedervorlage und müsste überprüfen, ob die Grundlage, auf der das Gesetz beschlossen wurde, weiter besteht, ob die Regelungen erfolgreich waren oder ob das Gesetz besser außer Kraft tritt." Als Beispiel nennt sie das Bauwagengesetz, das diese Lebensform untersagt. Den Antrag der Liberalen, Bauwagenplätze in Hamburg zu legalisieren, hatte die SPD-Mehrheit in der Bürgerschaft jüngst abgelehnt.
Aus der Justizbehörde heißt es, dass die steigende Zahl der Gesetze vielfach auf neue Vorgaben auf EU-Ebene zurückzuführen sei oder auf die Föderalismusreform. Damals seien Zuständigkeiten etwa im Straf- und im Gaststättenrecht vom Bund auf die Länder übergegangen. Im Übrigen begreife die Behörde das Thema Deregulierung seit 2005 als "ständige Aufgabe", sagte Sprecher Thomas Baehr. SPD-Justizexperte Urs Tabbert plädiert für eine differenzierte Betrachtung. "Deregulierung ist kein Selbstzweck. Nicht jedes Gesetz ist per se gut oder schlecht." Er möchte zunächst analysieren, worauf die steigende Zahl von Regeln beruht.
Auch Rüdiger Nebelsieck, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Kanzlei Mohr, sieht nicht allein die steigende Zahl von Gesetzen kritisch. "Das Problem ist eher, dass viele Gesetze wie das das Atomausstiegsgesetz der Bundesregierung zu hastig verabschiedet werden und nur Flickwerk sind." Auch in Hamburg gebe es solche Fälle, beispielsweise, als die CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft 2007 ein Kinderlärm-Gesetz verabschiedete, das Kitas vor Ärger mit Nachbarn schützen sollte. "Das war nur Lyrik und politisch motiviert", sagte Nebelsieck. Die Gesetzgebungskompetenz habe beim Bund gelegen - und erst der habe die Sache im Juni dieses Jahres durch ein neues Gesetz geregelt. Nebelsieck, der in viele Hamburger Großprojekte wie die Airbus-Erweiterung als Anwalt involviert war, sieht es als generelles Problem, dass die Politik sich lieber mit Gesetzesinitiativen profiliere, anstatt für ausreichend Personal in der Verwaltung zu sorgen, das sich mit den Gesetzen auskenne.
CDU-Rechtsexperte André Trepoll hatte in der Debatte um die steigende Zahl von Gesetzen auf ein Bonmot des französischen Philosophen Montesquieu verwiesen: "Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen."