Geplantes Hebebrandquartier bedeutet Aus für etwa 330 Kleingärten. Dafür könnten 1400 Wohnungen entstehen.
Hamburg. Liebevoll angelegte Blumenbeete, akkurat gemähte Rasenflächen und alter Baumbestand. Kleine Teiche, in denen sich unter Seerosen die Goldfische tummeln, und verschmitzt lächelnde Gartenzwerge: Diese Idylle herrscht im Barmbeker Kleingartenverein Heimat unweit der Hebebrandstraße. Doch die Stimmung ist getrübt. Denn wenn es nach den Plänen des Bezirksamts Nord geht, könnten hier anstatt von Gartenbänken und Rosenhecken schon bald Wohnhäuser stehen.
Das würde das Aus für rund 330 Kleingärten bedeuten. Diese erstrecken sich auf dem rund 39 Hektar großen Areal zwischen der U-Bahn-Station Sengelmannstraße im Norden und der S-Bahn-Station Alte Wöhr im Süden. Mehrere Kleingartenvereine und Tausende Schreber wären davon betroffen.
Hier soll das neue Hebebrandquartier entstehen, bis zu 1400 preisgünstige Wohnungen sind geplant. Für Wohnungssuchende eine Verheißung, für Harald Schmidt ein "Horrorszenario". Der 63-Jährige lebt seit 43 Jahren in seinem Häuschen im Kleingartenverein Heimat. Er zählt zu den Gartenfreunden, die schon vor Jahrzehnten von der Stadt die Erlaubnis bekommen haben, hier "dauerhaft" zu wohnen: "Ich könnte mir gar nicht vorstellen, in eine Wohnung umzuziehen", sagt Schmidt.
Die rund 500 Quadratmeter große Parzelle sei sein Leben. Schmidt gibt sich kämpferisch: "Ich lasse mich nicht einfach so vertreiben." Wenige Meter weiter steht Helga Göller an ihrer Gartenpforte und sagt: "Ich bin traurig. Denn das hier ist meine kleine Oase." Die Rentnerin hat zwar eine Wohnung, aber zumindest im Sommer verbringt sie ihre Tage im Garten: "Wir sind mitten in der Stadt, und doch ist das hier eine Welt für sich."
Erst vor wenigen Tagen haben die Kleingärtner erfahren, dass ihr Gelände mal wieder für ein Bauprojekt im Gespräch ist. Es gab bereits zwei Informationsveranstaltungen, zu denen jeweils etwa 150 Menschen kamen. Das Bezirksamt Nord hatte in die Alte Küche auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Alsterdorf eingeladen.
"Aber dabei ist nicht viel rausgekommen", sagt Wolfgang Herbst. Er ist der Zweite Vorsitzende von Heimat und will auch nicht so schnell aufgeben: "Der Name unseres Vereins trifft es genau", sagt Herbst. "Für uns ist das hier ein Stück Heimat. Und das lassen wir uns von der Stadt nicht einfach kaputt machen."
Schon als kleiner Junge hat Manfred Gunter hier gespielt. Es war 1949, als er mit seinen Eltern in das kleine weiße Haus mit den schwarzen Fenstergittern eingezogen ist. Bis heute ist Gunter hier geblieben, hier in der "Heimat". Jetzt spielt schon die Enkeltochter im Gras. Der 69-Jährige sitzt auf der Gartenbank, neben ihm hat es sich Dackelmischling Emma bequem gemacht. Er wirkt nachdenklich: "Dieser Garten, dieses Haus. Da stecken so viele persönliche Erinnerungen drin." An einen Abschied möchte Gunter gar nicht denken: "Das würde schon wehtun. Denn wir sind hier eine große Gemeinschaft, kennen uns seit Jahrzehnten."
Ein paar Hundert Meter weiter dieselbe Angst. Wenn die Wohnungen kommen, müssten auch die Kleingärtner in der Kolonie "Barmbeker Schweiz" ihre Parzellen räumen. Für Heidi Spehr, die hier bereits seit 68 Jahren lebt, nicht auszudenken: "Mein Mann Horst und ich wollen hier bleiben. Das ist unser Zuhause." Da passt es, dass Gartenzwerg Charly kämpferisch die Faust ballt.
Aber es gibt hier nicht nur die "alten Hasen". Eine neue Nachbarin ist Stavaroula Gavgalidou. Die junge Frau hat sich den Garten erst vor wenigen Wochen "gesichert". Ihre kleine Tochter Lou Melina soll hier "im Gras krabbeln. Jeder Tag im Garten ist wie ein Kurzurlaub", sagt Gavgalidou. Und genau damit könnte es bald vorbei sein. Die Stadt hat nicht nur die Idylle im Blick, sondern auch die Wohnungssuchenden: Es gibt das ehrgeizige Ziel, bis zu 6000 neue Wohnungen pro Jahr in Hamburg zu bauen, die Flächen sind knapp. Deshalb ist das Areal der Gartenfreunde begehrt. Gute Lage unweit der Innenstadt, beste Verkehrsanbindung, der Stadtpark liegt um die Ecke.
Für Kleingartenromantik ist bei den Planern im Bezirk Nord wenig Platz. Sprecher Peter Hansen erklärt knapp: "Das Gelände ist laut dem Flächennutzungsplan für den Wohnungsbau vorgesehen." Bevor dieser realisiert werden kann, muss jedoch ein Bebauungsplan aufgestellt werden. Bis die ersten Bagger anrücken, wird es noch dauern: "Eine Umsetzung wird nicht vor 2014 zu erwarten sein", so Hansen.
Aber was wird aus den Kleingärtnern? 150 neue Parzellen sollen am Rande des neuen Wohnquartiers entstehen, 180 würden wegfallen, so Hansen. Für die müsste es dann Ausweichflächen geben. Heimat-Vereinsvorstand Wolfgang Herbst ist wenig zuversichtlich: "Wo sollen die herkommen? Ein Paradies wie hier gibt es in Hamburg nicht noch einmal."