13.858 Euro im Monat - Der Juraprofessor Holger Schwemer kritisiert in einem Gutachten die sechsfachen Diäten für CDU-Fraktionsvorsitzende.
Hamburg. Dieser Blick reicht weit zurück. Schon die CDU-Fraktionschefs Jürgen Echternach und Ole von Beust, aber auch Michael Freytag und Bernd Reinert lebten von üppigeren Gehältern als ihre Amtskollegen im Parlament. Moralische Debatten darüber gab es, juristischen Streit jedoch nicht. Das könnte sich nun ändern: Die Praxis der CDU-Fraktion, ihrem Vorsitzenden doppelt so viel zu zahlen wie sämtliche andere Parteien, verstößt laut einem Juraprofessor gegen die Verfassung. "Ich halte einen solchen Fraktionsbeschluss für verfassungswidrig" schreibt Holger Schwemer in einem Gutachten, das dem Abendblatt vorliegt.
Zuletzt hatte der scheidende Fraktionschef Frank Schira monatlich 13.858 Euro erhalten, das entspricht etwa der sechsfachen Diät eines Abgeordneten und dem Lohn des Bürgermeisters. Andere Fraktionschefs erhalten eine dreifache Diät, also höchstens 7368 Euro. Der CDU-Bonus beträgt damit jährlich 85.820 Euro. Neu entzündet hat sich das Thema nach Äußerungen des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Heiko Hecht, der die Zahlungen öffentlich anzweifelte und dafür von Parteifreunden heftig kritisiert wurde. Daher veranlasste Hecht das Gutachten. "Unser desaströses Ergebnis bei den Wahlen muss Anlass sein, Strukturen in unserer Partei und Fraktion zu überdenken", sagt er. Zumal noch nicht beschlossen sei, wie die Fraktion künftig mit den Zahlungen umgehen wolle.
Gelder der Fraktionen sind Steuermittel, sie werden für alle Parteien gleich bemessen. "Das finanzielle Privileg in der Fraktionsspitze gefährdet die Qualität unserer Sacharbeit", sagt Hecht. Folge der üppigen Bezahlung sei, dass die ohnehin geschrumpfte Fraktion auf Mitarbeiter verzichten müsse.
Das ist nur einer von vielen Punkten, die Professor Holger Schwemer für fragwürdig hält. Der 69 Jahre alte Jurist lehrte mehr als 40 Jahre lang öffentliches Recht, ist als Anwalt tätig und betreut Fachzeitschriften. "Werden die ohnehin knappen Mittel in massiver Weise an den Fraktionsvorsitzenden geleitet, muss an anderer Stelle gespart werden, sodass die Fraktion die ihr von Verfassungswegen zukommenden Aufgaben nicht effektiv wahrnehmen kann", schreibt der Experte.
Auch untersage der Grundsatz der Chancengleichheit, durch unterschiedliche Zahlungen an Abgeordnete (monatlich 2456 Euro) Hierarchien zu schaffen. Hamburg hat ein Feierabendparlament, Abgeordnete sind meist erwerbstätig. Die Ausnahme, Fraktionschefs für ihren Vollzeitjob die dreifache Summe zu zahlen, habe "abschließenden Charakter": Bezüge dürften nicht "noch einmal erheblich gesteigert" werden. Das ergebe sich zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus "Sinn und Zweck" der vom Bundesverfassungsgericht definierten Regelungen.
Auch übersteigen die CDU-Zahlungen die des Bürgerschaftspräsidenten, der für das höchste parlamentarische Amt dreifache Diäten erhält. Es widerspreche der "Ausgewogenheit der Zahlungsdynamik", wenn Fraktionschefs gleichgestellt zur Regierungsspitze besoldet würden. Laut CDU ist aber genau das der Sinn: Ihre Fraktionschefs sollen "auf Augenhöhe" mit Senatoren arbeiten, hieß es. Schwemer bemängelt, dass die hohen Zulagen "Abhängigkeiten begründen" sowie "den Wunsch, parlamentarische Funktionen aus ökonomischen Gründen anzustreben". Mit einem freien Mandat sei das "schlechterdings vereinbar". Auch sei die Zahlung undurchsichtig: Sie "verschwinden haushaltsrechtlich im Posten für Zuwendungen für Mitarbeiter", so das Gutachten.
Der scheidende Fraktionschef Schira sagt: "Für mich ist nichts neu geschaffen worden." Er sei in eine jahrzehntelange Regelung eingetreten. "Ich bin immer offen damit umgegangen", so Schira, zumal die Fraktion ihren Haushalt jährlich absegne. Kürzlich habe Schira alle CDU-Abgeordneten gefragt, ob jemand dagegen sei. Gemeldet habe sich niemand. "Jeder hätte jederzeit etwas dagegen sagen können", sagt Frank Schira. Auch der Abgeordnete Heiko Hecht hob seine Hand für die Haushaltspläne: "Da war meine Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen."