Schock über SPD-Mehrheit. Grüner Galgenhumor am Millerntor
St. Pauli. Es hatte etwas Flehendes: Auf den Knien verfolgte Christian Schmid, Mitarbeiter der Landesgeschäftsstelle der Grünen, die erste Prognose. Ein harter, kurzer Wahlkampf lag hinter ihm. Hier, im Ballsaal des Millerntor-Stadions, zwischen Kickertisch, Astra, 200 Parteianhängern und grünen Devotionalien, sollte die Ernte eingefahren werden. Die Stimmung: heiter.
Doch das Flehende in Christian Schmids Geste kam nicht von ungefähr. Denn wie sich zeigen sollte, nahm der Abend einen ungünstigen Verlauf für die Grünen. Zwar trieb das schwache CDU-Ergebnis vielen Wahlparty-Besuchern noch ein hämisches Lachen auf die Lippen. Sekunden später jedoch blieb den Grünen der Atem weg: absolute Mehrheit für die SPD, die GAL bei 11,2 Prozent. Nicht nur in Christian Schmids Gesicht wich die Zuversicht der Enttäuschung. Trotz eines Zugewinns um 1,6 Prozentpunkte standen plötzlich Kommentare wie "O nein" und "Scheiße" im Raum.
Während die Landesvorsitzende Katharina Fegebank im Fernsehen erklärte, sie sei in der Bewertung des Ergebnisses noch vorsichtig, fasste Grünen-Sympathisantin Ute Brümmer die Lage in der Südtribüne so zusammen: "Nach den Umfragen bin ich einfach nur ernüchtert." Dabei sei es nicht das grüne Abschneiden allein, vielmehr sei die Osdorferin von der absoluten Mehrheit der SPD geschockt. "Es ist schlecht für die Stadt, und ich weiß nicht, ob die SPD darauf vorbereitet ist." Ja, das wurde deutlich, die Grünen hätten gern mitregiert. Dementsprechend verbreiteten Landesvize Anjes Tjarks und der Bundesvorsitzende Cem Özdemir auf der Wahlparty Zweckoptimismus. Tjarks: "Es ist ein ordentliches, aber kein berauschendes Ergebnis." Pflichtapplaus. Özdemir: "Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Aber wenn man ehrlich ist, hatten wir uns mehr erhofft."
Im Laufe des Abends avancierte das Wort "ordentlich" dann auch zur Lieblingsvokabel des grünen Spitzenpersonals. Ex-Justizsenator Till Steffen, geknickt mit einem Bier am Tresen stehend, redete von einem "ordentlichen Ergebnis". Auch Ex-Schulsenatorin Christa Goetsch bemühte das Adjektiv, um das Abschneiden der GAL, immerhin das drittbeste bei Bürgerschaftswahlen, in Worte zu fassen. Spitzenkandidatin Anja Hajduk sagte, dass die Grünen ein hohes Risiko eingegangen seien, aber dass es "richtig war, aus der Koalition mit der CDU auszusteigen".
Einige GAL-Anhänger übten sich in Galgenhumor. Angesichts der Lokalität fassten sie den Abend mit einem FC-St.-Pauli-Schlachtruf zusammen: "Niemand siegt am Millerntor."