Berlin. Die von Deutschland aufgenommenen ehemaligen Guantánamo-Gefangenen brauchen nach Einschätzung des Psychiaters Ferdinand Haenel vor allem Ruhe. Nach den Jahren in dem Gefangenenlager kämen die beiden Männer nun in Deutschland in eine ganz andere Welt. Ihre Situation sei vergleichbar mit der eines „Marsmenschen, der plötzlich vom Himmel auf die Erde fällt“, sagte Haenel. Er leitet eine Tagesklinik des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin.

In ihrer Zeit in Guantánamo hätten die beiden Männer keinen Bezug zur Außenwelt gehabt. Wahrscheinlich seien sie auch gefoltert worden. „Wenn sie Menschen begegnen, ist mit einer sehr großen Zurückhaltung, Misstrauen und Kontrollbedürfnis zu rechnen“, sagte Haenel. Es sei wichtig, ihnen nicht nur einmal, sondern wiederholt zu versichern, dass ihnen in Deutschland nichts passiere. Ebenso bräuchten sie Orientierungshilfen, um sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden.

Körperliche und psychologische Untersuchungen müssten sehr behutsam geschehen, erklärte der Facharzt. Jede intensive Befragung könnte von den beiden Männern mit den Verhören der Amerikaner in Verbindung gebracht werden und eine Abwehrhaltung hervorrufen. Haenel riet, vielleicht einen Mentor bereitzustellen, der Gesprächsbereitschaft signalisiere. Später könne man dann konkrete Integrationsangebote machen wie das Erlernen der deutschen Sprache.

Es sei nicht zwangsläufig, dass Menschen, die äußerst belastende Situationen wie im Lager Guantánamo erlebten, psychisch damit zu kämpfen hätten. „Jeder Mensch ist anders“, sagte Haenel. Aber die Mehrzahl leide unter posttraumatischen Störungen. Dazu gehörten wiederkehrende Alpträume, die chronische Schlafstörungen zur Folge haben könnten. Aus Angst, dann in die Psychiatrie gesteckt zu werden, erzählten die Betroffenen häufig zunächst nichts davon.

„Wenn Patienten zu uns kommen, sagen sie oft am Anfang: Ich will so werden wie ich früher war“, sagte Haenel. „Aber das geht nicht. Denn das würde ja bedeuten, dass man langjährige Erfahrungen wie in Guantánamo aus dem Gehirn löschen könnte wie eine Datei im Computer.“ Therapien verfolgten das Ziel, die Symptome wie Alpträume zu lindern, damit die Betroffenen ihren Alltag in den Griff bekämen. „Dann können sie auch wieder in einem Beruf arbeiten und Lebensfreude entwickeln."