In angesagten Stadtteilen sind Räume zu günstigen Mieten kaum noch zu finden
Hamburg. Die Gustav-Falke-Straße liegt nur einen Steinwurf vom U-Bahn-Kreuz Schlump entfernt und wirkt an diesem trüben Märztag noch abweisender als sonst. Die Baumreihen, die die Fahrbahn teilen, stehen winterkahl da. An der Doppelkreuzung, wo der Ellenbogen in die Gustav-Falke-Straße mündet, fällt den Vorüberhastenden ein weißer Zettel auf. Mit zwei roten, einer blauen und einer weißen Pin-Nadel ist er an einem Baum befestigt. Franziska von Oppen hat auf diesem Zettel ihre Wunschwohnung aufgemalt: ein Zimmer zum Wohnen, eines zum Wohlfühlen, eines zum "Wachsen" für ihr Kind und eines zum "Wickeln & Wirken" für - vielleicht - ein zweites Kind.
Die junge Mutter hat wie so viele junge Familien in Hamburg bei der Suche nach einer Wohnung eher schlechte Erfahrungen gemacht. Dreieinhalb bis fünf Zimmer und ein Balkon - das alles für eine Warmmiete in Höhe von 1300 Euro - seien schwer zu finden, erzählt sie. Vor allem in so angesagten Stadtteilen wie Eimsbüttel, Harvestehude, Lokstedt oder Rotherbaum.
Die angespannte Lage auf Hamburgs Wohnungsmarkt lässt derzeit für Suchende in der Tat wenig Hoffnung zu. "Solche Zettel tauchen immer in Stadtteilen auf, die sehr begehrt sind", sagt Siegmund Chychla, Leiter der Rechtsabteilung des Mietervereins zu Hamburg. Damit seien diese auch ein Zeichen von Wohnungsknappheit. Und manchmal ein Zeichen von Verzweiflung, wie bei dem Zettel, mit dem inAlsterdorf eine Familie 3000 Euro für die Vermittlung eines Hauses bietet.
Chychla verdeutlicht die Problematik für junge Familien mit einem einfachen Rechenbeispiel. Bei Vermietern gelte die Regel, eine Familie müsse rund einen Wochenlohn für die Warmmiete aufbringen können. Bei einer neu vermieteten 90-Quadratmeter-Wohnung bedeute das eine Warmmiete von 1300 Euro. Lege man jetzt die Regel der Vermieter zugrunde, müsste eine Familie dafür über ein Nettoeinkommen in Höhe von 5400 Euro verfügen. Das sei illusorisch, sagt Chychla. Schließlich verfügten in Hamburg zwei Drittel der Haushalte nur über ein Nettoeinkommen von unter 3000 Euro.
Bis zu 40 000 Wohnungen fehlten derzeit in Hamburg, sagt der Mieterverein. Dieses Fehlen trifft nicht allein die Familien. Bei den Einpersonenhaushalten - in Hamburg machten diese mehr als 50 Prozent aus - sei die Situation zum Teil noch gravierender. "Gut sortierte Makler haben Wartelisten", sagt Chychla. Auf diesen rückten Bewerber wahrscheinlich nur an die Spitze, wenn sie prominent seien. Mit ironischem Unterton fügt er hinzu: "Ich warte nur noch darauf, dass attraktive Wohnungen versteigert werden."
Angesichts dieser Situation bleibt vielen Wohnungssuchenden nichts anderes übrig, als auch über Handzettel ihr Glück zu versuchen. Christine Hassinger wird im Mai in Hamburg in ihren Lehrerberuf starten und hat mehr als 200 Zettel geklebt. Nur fünf Antworten habe sie bekommen, sagt die Oldenburgerin. Dabei würde sie 700 Euro für zwei Zimmer zahlen. Selbst bei Besichtigungsterminen habe sie den Eindruck gewonnen, "dass nach Kriterien gefragt wird, die man gerade nicht erfüllt".
Sven Lüdeke hält überhaupt nichts von Wohnungsbesichtigungen, die durch Makler organisiert werden. "Unter den 30 oder 40 Leuten, die da warten, ist immer einer, der mehr Geld verdient." Der 39-Jährige vertraut auf die "Zettelwirtschaft", die ihm in den vergangenen Jahren wiederholt zu einer Wohnung verholfen hat. "Wenn man 100 bis 200 Zettel klebt, hat man eigentlich eine gute Chance, ein Angebot zu bekommen." An Kreuzungen mit Fußgängerampeln seien die Erfolgsaussichten gut. "Die Menschen warten bei Rot und überbrücken die Zeit oft mit dem Lesen der Zettel." An solchen "Hotspots" konkurrieren Wohnungssuchende daher nicht selten mit Anbietern von Pilateskursen, mit Nachhilfelehrern oder freien Handwerkern.
Sven Lüdeke ist davon überzeugt, dass mit Handzetteln Kontakt zu Menschen hergestellt werden könne, die einen Nachmieter suchen. "Oftmals wollen die Leute schnell aus ihrer Wohnung raus und nicht zwei oder gar drei Monate doppelt Miete zahlen." Aber auch Sven Lüdeke bemerkte dieses Mal bei seiner Suche in Eimsbüttel, dass die Lage sich erheblich verschärft hat. In guten Vierteln gingen die meisten Wohnungen "unter der Hand" weg.
Axel E. Kloth, Vorstandschef des Immobilienverbandes in Hamburg, plädiert für eine differenzierte Sicht auf Hamburgs Wohnungsmarkt. In "angesagten Stadtteilen" wie Ottensen, der Schanze, Eimsbüttel oder Winterhude sei die Lage sicher schwierig. "Aber Ottensen ist ja nicht überall." In Rahlstedt, Lurup oder Schnelsen sehe die Wohnungssituation anders aus. Ihm falle auf, dass die interessanten Stadtteile sehr urban seien. "Vielleicht müssen wir uns die Frage stellen, ob es in Hamburg nicht zu wenig attraktive Stadtteile gibt", sagt Kloth. Die Immobilienpreise jedenfalls hätten heute erst wieder das Niveau von Mitte der 90er-Jahre erreicht, fügt er hinzu und widerspricht der Annahme, die Preise lägen auf Rekordniveau.
Das will Siegmund Chychla vom Mieterverein so nicht stehen lassen. Dass die Wohnungssituation nicht noch angespannter ist, liege am großen Anteil städtischer und genossenschaftlicher Wohnungen. Von den rund 700 000 Mietwohnungen in Hamburg gehörten 130 000 der Saga/GWG und 130 000 Baugenossenschaften. "Hier sind Mieten einigermaßen im Lot und liegen zwischen sechs und zehn Euro."
Franziska von Oppen hofft, über ihre Art der Wohnungssuche "Gleichgesinnte" zu treffen. "Vielleicht erwischen wir ja Eltern, die selber schon mal in so einer Situation wie wir waren." Eine neue Art von Solidarität unter Familien.