Nach den sieben Bezirksamtsleitern schreibt heute im letzten Teil der Abendblatt-Serie der Erste Bürgermeister Hamburgs Olaf Scholz.
Hamburg. Hamburg im Jahr 2030. Was wird sich verändert haben? In der Abendblatt- Serie schreibt heute der Bürgermeister
Den Blick über 18 Jahre in die Zukunft schweifen zu lassen ist angesichts des rasanten Wandels unserer Gegenwart ein kühnes, ja tollkühnes Unternehmen. Wie schnelllebig unsere Zeit ist, mag man sich am besten dadurch vor Augen führen, dass man 18 Jahre zurückblickt. Dann wären wir wieder im Jahr 1994. Das Internet wäre Zukunftsmusik, die Elbphilharmonie ein Kakaospeicher, die Speicherstadt das Ende der City nach Süden. In unseren Portemonnaies würden D-Mark-Stücke liegen, und wir würden uns immer noch nicht so recht an die fünfstelligen Postleitzahlen gewöhnt haben. Manchmal dreht sich die Welt schneller, als wir es selber wahrnehmen. Und vieles spricht dafür, dass es in den kommenden Jahren in ungebrochener Rasanz so weitergehen wird.
Welche Innovationen allerdings vor uns liegen, was die Menschheit noch entdecken wird - all das wissen wir heute nicht. Aber wir entscheiden über die Richtung, die wir einschlagen. Unsere aktuellen Entscheidungen bestimmen darüber, wie Hamburg im Jahr 2030 aussehen wird. Und so betrachtet ist die Frage nach der Zukunft auf einmal viel weniger visionär einschüchternd und viel mehr pragmatisch ermutigend.
Auch im Jahr 2030 wird die Zukunft der Menschheit in den Städten entschieden. Wenn wir es klug anstellen, dann wird Hamburg bis dahin in einer Liga spielen mit jenen Metropolen, die vielleicht nicht an Größe, aber an Wirtschaftskraft, Kreativität und kultureller Relevanz weltweit in einem Atemzug genannt werden. Ob San Francisco oder Sydney, Barcelona oder Johannesburg, Tel Aviv, São Paulo, St. Petersburg oder Shanghai - welche Städte es genau sein werden, wissen wir heute nicht. Aber Hamburg hat alle Chancen, dabei zu sein. Deutschland wird sich bis dahin in seiner neuen, wiedervereinigten Größe eingerichtet haben, Berlin wird die Gelassenheit einer Hauptstadt entwickelt haben und gemeinsam mit Hamburg ein starkes politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum im Herzen Europas bilden.
Als prosperierendes Zentrum im Norden Deutschlands werden wir auch in 20 Jahren viele anziehen, die hier eine Ausbildung, ein Studium oder einen Arbeitsplatz suchen und auch finden. Das Talent sammelt sich in den Städten. In Hamburg werden an die 1,9 Millionen Einwohner leben, und mein Nachnachfolger wird vielleicht in einem Folgeartikel für 2050 prognostizieren können, dass Hamburg eine Zwei-Millionen-Stadt werden wird.
Wir werden bis dahin wichtige Probleme der Stadt gelöst haben: Wohnraum wird ausreichend und bezahlbar vorhanden sein. Wir werden ein oder zwei Geschosse höher bauen, und die Sonne wird trotzdem in unseren Straßen scheinen. Wir werden jedem Kind gute Betreuung in der Kita anbieten können. Und jedem pflegebedürftigen Menschen eine Infrastruktur, die ein Leben in Würde und Gemeinschaft ermöglicht. Längst leben und arbeiten Frauen und Männer gleichberechtigt. Die Firmen in unserer Stadt werden sich mit intelligenten Modellen zur Vereinbarung von Familie und Beruf um die gut ausgebildeten jungen Nachwuchskräfte reißen. Und in nationalen wie internationalen Bildungstests schneiden Hamburger Schülerinnen und Schüler aufgrund kleiner Klassen und erstklassiger Lehrer schon seit Jahren im Spitzenbereich ab.
Die HafenCity und die Neue Mitte Altona gelten 2030 als Vorzeigebeispiele der Jahrtausendwende-Moderne, erbaut kurz bevor neue Baustoffe und Dämmtechniken das Bild unserer Neubauten grundlegend veränderten. In der Stadt gibt es jedenfalls immer noch Debatten über die dünne Fotovoltaik-Schicht auf den Fassaden der letzten drei, vier Jahre, mit denen - erheblich gefördert durch die Bundesregierung - der Strombedarf eines Hauses vollständig gedeckt werden kann. Das Hamburger Pilotprojekt ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Stadt 2031 zum dritten Mal in diesem Jahrtausend zur Umwelthauptstadt ernannt wurde.
Ein weiterer ist die Energie-Infrastruktur, die bereits bis 2020 aufgebaut wurde und die den Grundstein dafür legte, dass Hamburg seit nunmehr 15 Jahren um eines der sichersten und saubersten Energienetze aller europäischen Großstädte beneidet wird. Grund dafür sind vor allem die stets ausgebauten Kapazitäten zur Speicherung von Wind- und Solarstrom. In den Straßen Hamburgs fahren seit gut zehn Jahren die modernsten Busse Europas - komplett emissionsfrei und reibungslos verzahnt mit einem weiter verdichteten S- und U-Bahn-Netz.
Die Verkehrsadern der Stadt pulsieren. Der Hafen schlägt nach wie vor als kräftiges Herz der Hamburger Wirtschaft. Nach der notwendigen Elbvertiefung ist Hamburg hinsichtlich der umgeschlagenen Bruttoregistertonnen immer näher an Rotterdam herangerückt und hat sich als zweitwichtigster Hafen Europas behauptet. Beste Voraussetzungen, um auch die industrielle Produktion zum Beispiel im Flugzeug- oder Windanlagenbau auf hohem Niveau zu halten.
Eine Grundlage dieser Wettbewerbsfähigkeit sind die vor mehr als 15 Jahren eingerichteten Innovationszentren, in denen sich die wissenschaftlichen Einrichtungen gemeinsam mit den Unternehmen der Stadt um die Entwicklung künftiger Produkte und Dienstleistungen kümmern und Grundlagen neuer Geschäftsmodelle entwickeln. Die Universität Hamburg, mittlerweile in den Klub der Exzellenz-Universitäten aufgenommen, begleitet diese Entwicklung in einem Sonderforschungsbereich "Prospering Cities".
Hamburg strahlt auch 2030 über seine Grenzen hinaus: Mehrere Millionen Menschen kommen jedes Jahr. Insbesondere für Besucher aus dem Norden und aus dem Westen Europas hat es sich als Hauptanziehungspunkt in Deutschland entwickelt. Dazu tragen die Musical-Theater ebenso bei wie die florierenden Museen, Bühnen und Konzertsäle und die großen Freizeitveranstaltungen vom Hafengeburtstag bis zum Marathon. Die Abendkonzerte in der Elbphilharmonie sind für Monate im Voraus ausverkauft. In den Morgenstunden sorgen Schulklassen für Gewusel im spektakulärsten Hamburger Bau der Moderne.
Die kulturelle Vielfalt Hamburgs profitiert von den jungen Szenequartieren Wilhelmsburg, Hamm und Rothenburgsort, in denen Musiker, Werber, Designer und viele andere Kreative ebenso zusammenkommen wie diejenigen, die an den postvirtuellen Kampagnen und Welten des Social Web 5.0 basteln. In den Redaktionen der Medienmetropole Hamburg, die sich als ruhig-reflektierender Gegenpol zu den Aufgeregtheiten des Regierungssitzes behauptet hat, kann sich an Druckerschwärze kaum noch jemand erinnern, seit es einer Hamburger Technologieschmiede gelungen ist, aus Flüssigkristall faltbare Bildschirme zu produzieren, die sich wie Papier anfühlen und auf die jede neue Ausgabe digital aufgespielt werden kann.
Dort wird man 2030 lesen können, dass Hamburg seit über zehn Jahren keine neuen Schulden mehr macht und auch einen guten Teil des Schuldenberges vergangener Jahre abgebaut hat. Seit in der Stadt wieder Vollbeschäftigung herrscht, reichen die Steuereinnahmen sogar für ein jährliches Plus, das zu gleichen Teilen in die Verbesserung der städtischen Infrastruktur und in die Schuldentilgung gesteckt wird.
Während sich die Kabinette der Nord-Bundesländer zur monatlichen gemeinsamen Sitzung treffen, zieht es die Hamburger derweil ins Stadion: Der HSV spielt mit dem FC St. Pauli im Sommer am 34. Spieltag schon in der zweiten Saison hintereinander um die Meisterschaft ...
So könnte es sein, wenn wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Probleme werden wir natürlich auch haben. Aber die lösen wir dann. Voraussetzung dafür ist, dass wir es schaffen, unsere heutigen Herausforderungen pragmatisch zu meistern. Wie Hamburg 2030 aussieht, entscheidet sich heute!