Haltung zeigen, für andere einstehen, mutig sein. Zeig dich – der Schwerpunkt im neuen Magazin Himmel & Elbe.
Immer wieder lesen wir in den Medien davon, dass Menschen in gefährlichen Situationen eingreifen: wenn Verwirrte andere Menschen mit Waffen bedrohen, wenn Frauen in der S-Bahn belästigt oder Menschen auf der Straße rassistisch beschimpft werden. Das ist mutig, es kann das Leben von anderen Menschen retten, aber auch das eigene gefährden. Nicht jeder hat das Zeug zu einem Helden oder einer Heldin, und das verlangt auch keiner.
Keine Option ist allerdings, nichts zu tun. Wer Zeuge einer Straftat wird, kann den Notruf 110 wählen oder gemeinsam mit anderen dagegen vorgehen. Das nennt man Zivilcourage und Haltung zeigen. Menschen, die sich aus der Deckung wagen, für andere einstehen, sind wichtig für unsere Gesellschaft. Denn sie stechen aus einer oft schweigenden Mehrheit hervor, auch wenn zum Beispiel eine kleine, aber oft sehr aktive Minderheit Lügen und Beleidigungen verbreitet.
Christiane Wagner, Kriminalhauptkommissarin im Bereich Kriminalprävention bei der Hamburger Polizei, klärt auf zum Thema Hasskriminalität, Zivilcourage und Opferschutz.
Was bedeutet für Sie Zivilcourage?
Zivilcourage bedeutet, dass ich mich für andere einsetze, mit offenen Augen durch die Welt gehe. Man kann im Privaten, also in der Familie, im Verein, in der Schule oder im öffentlichen Raum mutig sein. Zivilcourage ist eine Frage der inneren Haltung.
Wenn ich ein eher ängstlicher Mensch bin, kann ich Zivilcourage lernen?
Man kann sich in diesem Bereich fit machen, indem man sich informiert, zum Beispiel über die Internetseite der Polizei. Wenn ich weiß, wie ich mich in brenzligen Situationen verhalten sollte, bin ich handlungssicherer und kann besser reagieren. Es hilft, Situationen durchzuspielen. Man kann das üben, indem man zum Beispiel aufrecht vor einem Spiegel steht und das eigene Spiegelbild anschreit. Die eigene Stimme ist die natürlichste Waffe, die wir haben. Aber wir sind es nicht gewohnt, in der Öffentlichkeit laut zu werden.
Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich mitbekomme, dass ein Mensch von einer Gruppe angegriffen wird?
Über allem steht: Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen! Es erwartet keiner Heldentaten von mir. Aber wichtig ist, dass ich überhaupt etwas tue. Jeder kann die 110 anrufen. Außerdem sollte man die Situation beobachten, um später als Zeuge zu berichten. Ich kann aber auch andere aktiv auffordern, etwas mit mir gemeinsam gegen den Angreifenden zu tun. Oft stehen in so einer Situation viele Menschen herum und keiner unternimmt etwas, weil alle auf eine Reaktion aus der Runde warten – diesen Impuls kann ich setzen. Wenn man sich einmischt, dann immer, ohne zu provozieren, und man sollte beim Sie bleiben. Beleidigungen können die Situation verschärfen. Man kann auch das Opfer ansprechen und fragen, ob es Unterstützung benötigt.
Wann wird aus Mut Leichtsinn?
Wenn ich mich selber überschätze. Wenn jemand mit einem Messer vor mir steht und ich unbewaffnet bin, sollte ich lieber nicht in die Situation eingreifen. Aber wenn wir den aktuellen Fall des Messerstechers im Regionalzug von Kiel nach Hamburg nehmen, gab es Menschen, die eingegriffen haben, obwohl der Täter bewaffnet war. Für unsere Gesellschaft ist es ein großartiges Signal, wenn es immer wieder Menschen gibt, die beherzt eingreifen, aber wir können nicht erwarten, dass sich Helfer selbst in Gefahr bringen.
Was kann ich tun, wenn ich mitbekomme, dass jemand rassistisch beleidigt wird?
Es ist wichtig, dagegenzuhalten. Zum einen, um dem Opfer zu signalisieren: „Du bist nicht allein!“, und zum anderen, um den Umstehenden klar zu zeigen, das ist jetzt eine Äußerung, die nicht in Ordnung ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die kostenfreie App „KonterBUNT“ hinweisen. Da klickt man sich durch ein Minispiel und wird an verschiedenen Stationen, zum Beispiel am Stammtisch oder auf dem Spielplatz mit diskriminierenden und beleidigenden Parolen konfrontiert.
Es gibt verschiedene Antwortmöglichkeiten, und man sucht sich die aus, die man in dem Moment geben würde. Am Ende jeder Sequenz wird erklärt, ob die Antwort gut oder eher nicht angebracht war und warum. Das ist eine gute Möglichkeit, sich Argumente anzueignen, die man dann in rassistischen oder ähnlichen Situationen einsetzen kann.
Im Internet gibt es öfters anonyme, sogenannte Hassrede gegen Andersdenkende, andere Kulturen oder Hautfarben – wie kann ich Flagge dagegen zeigen?
Man muss dagegenhalten, denn was im Internet passiert, ist ein Spiegel der Realität, das passiert auch im wahren Leben. Und einiges davon erfüllt Straftatbestände, wie Beleidigung, üble Nachrede oder Bedrohung. Das sollte verfolgt werden. Wenn ich so einen Post sehe, sollte ich mich klar dagegen positionieren, eigene Quellen und Fakten nennen, die anderes als das Genannte belegen, und fragen: Woher nehmen Sie Ihre Informationen?
Auch hier muss man sachlich bleiben. Im Hinterkopf sollte man haben, dass es nicht nur um das Opfer geht, das rassistisch, homophob oder antisemitisch beleidigt wird, sondern auch um die stillen Mitleser, die sich noch keine Meinung gebildet haben. Man darf der kleinen, aber lauten Minderheit nicht das Feld überlassen.
Was kann ich tun, wenn ich selbst im Internet beleidigt werde?
Es gibt einen Viererschritt, den wir empfehlen, wenn es um Hasskommentare geht: melden, sichern und dokumentieren, was passiert ist, den Absender blockieren und versuchen, den öffentlichen Schriftwechsel zu löschen. Melden kann man solche Vorfälle der Internetbeschwerdestelle, den Plattformen direkt oder auch der Polizei und dann Anzeige erstatten. Man sollte immer etwas tun, denn dann fühlt man sich weniger als Opfer, weniger hilflos ausgeliefert.
Wie reagiere ich, wenn ich Mobbing erlebe, zum Beispiel am Arbeitsplatz?
Ich kann mich mit dem Opfer solidarisieren und ihm sagen, ich stehe auf deiner Seite. Ich kann mich direkt mit dem Mobber auseinandersetzen. Ich kann mich klar positionieren und sagen: „Ich mache da nicht mit.“ Oder ich wende mich an den Chef und bitte ihn um Klärung. Aber nichts zu tun ist keine Option.
Warum sind couragierte Menschen wichtig für eine Gesellschaft?
Wir brauchen sie, um denen, die Rassismus, Antisemitismus oder homophobe Gedanken verbreiten, entschlossen entgegenzutreten. Um demokratische Werte zu schützen. Die Polizei ist dabei allerdings nur ein Player. Wir geben Tipps, wie man sich wehren kann, unterstützen Opfer, aber allein können wir nicht genug erreichen. Dazu gehört auch politische Bildung. Zivilcourage ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.