Obdachlose, Unternehmer und sozial Schwache – Falko Droßmann muss als Bezirksamtschef Mitte an vielen Fronten kämpfen. Halt und Rückzug findet der Christ seit Jahren im Glauben und in der Kirchengemeinde
Drei- bis viermal die Woche ist Falko Droßmann hier, sitzt still betend auf der Bank gleich an der zweiten Säule hinten links. Meistens verweilt der Chef des Bezirksamts Mitte nur für ein paar Minuten in der Hauptkirche St. Jacobi, zwischen den Terminen im Rathaus und seiner Arbeit im Büro. „Diese ruhigen Momente sind mir wichtig. Ich brauche die Kirche als Rückzugsort“, sagt der 44-Jährige. Es sind Minuten der Besinnung in seiner anstrengenden Woche. Letztes Jahr hatte er vier Tage Urlaub, sagt er – ohne sich jedoch zu beklagen. Nur klingt das nicht nach jemandem, der sehr auf sich und seinen Freizeitausgleich achtet. Doch Falko Droßmann will alles verstehen, und als Verwaltungschef des Bezirks mit 19 Stadtteilen hat er ein riesiges Themenfeld zu beackern. Zudem muss er viele verschiedene Gruppierungen mit ihren unterschiedlichen Interessen – die sozial Schwachen in den Stadtteilen wie Horn und Billstedt, die Unternehmer im Industriegebiet Billbrook und die Kaufmannschaft in der Innenstadt – unter einen Hut bringen. „Als Bezirksamtschef kann ich es niemandem recht machen.“
Doch er liebt die Herausforderung – auch wenn es zu Konflikten kommt, wie zum Beispiel beim Umgang mit Obdachlosen vor Geschäften und unter Brücken. Ihm liegt dieses Thema besonders am Herzen, Droßmann will nicht wegschauen, sondern lösen. „Und manchmal habe ich bei dem Thema auch echt ethische Konflikte mit mir auszutragen. Aber ich frage mich auch: Wie viele Obdachlose verträgt Hamburg?“ Falko Droßmann ist kein Sheriff, sondern er sieht sich eher als ein Kümmerer. Er mag entscheiden, mitbestimmen und verändern – das ist sein Lebensmotto.
Und er spricht gern über sich und was er tut – das ist so gar nicht hanseatisch. Es mag daran liegen, dass er kein Hanseat ist, sondern in einer Kleinstadt bei Köln aufwuchs. Der Vater ist Busfahrer, die Mutter Putzfrau. „Ich hatte eine tolle Kindheit trotz aller wirtschaftlichen Mängel, die wir zu Hause hatten.“ Die Familie ist protestantisch, er wird, wie auf dem Land üblich, getauft und konfirmiert. „Aber die Nähe zur Kirche habe ich mir selber gesucht.“ Während Schulkameraden reiten, segeln und Urlaub machen, sucht er die Abenteuer bei den katholischen Pfadfindern, spielt mehr als zehn Jahre Flöte in der evangelischen Ortskirche, besucht dadurch viele Gottesdienste und findet in der Glaubensgemeinschaft Halt und Geborgenheit. Er überlegt sogar, Theologie zu studieren. „Pastor war mein erster Berufswunsch.“
Stattdessen erfüllt er zunächst die Erwartungen seiner Eltern, geht nach der mittleren Reife vom Gymnasium ab und wird Polizist im mittleren Dienst. „Außer einer Cousine hat keiner in meiner Familie Abitur, es gab damals auch kein Verständnis dafür, wozu man es braucht.“ Doch der junge Mann hasst es bald, als „Dorfpolizist nur funktionieren zu müssen und nichts entscheiden zu dürfen“. Nach zweieinhalb Jahren Polizeiausbildung entschließt Droßmann sich, sein Abitur nachzuholen – weit weg von seiner Familie und auf sich allein gestellt. Er zieht nach Südhessen, geht auf ein berufliches Gymnasium und verdient sich seinen Unterhalt als Kellner. „Schüler-BAföG gab es noch nicht, und ich musste zudem rund 15.000 Mark für meine Ausbildung zurückzahlen. Der Gerichtsvollzieher stand oft vor der Tür“, sagt er.
Schon damals hat er einen Mann als Lebenspartner – in seiner Familie war dies bis vor Kurzem ein Tabuthema. Genauso anfangs bei der Bundeswehr, zu der er nach dem Abitur eingezogen wird. Gegen seinen Willen, er will verweigern, „doch als der Ausschuss erfuhr, dass ich Dorfschützenkönig war, hatte ich keine Chance“, sagt er lachend. Zum Glück für ihn, denn die Bundeswehr wird für die nächsten 20 Jahre sein Arbeitgeber. Er wird Offizier, studiert an der Bundeswehruniversität in Hamburg Geschichte und hat dort zuletzt als Leiter eines Studentenfachbereichs mehr als 1000 Soldaten unter sich.
Gleichzeitig engagiert Falko Droßmann sich in einem Spielhaus und in der Timotheusgemeinde in Horn, wo er lange wohnt, kämpft später als Kirchenvorstand um den Erhalt der diakonisch orientierten Gemeinde. „Ich bin gern Teil einer Kirche, weil ich da nicht funktionieren muss, sondern einfach sein kann, wie ich bin.“ Als 2001 im Hamburger Rathaus eine Koalition aus CDU, FDP und der Schill-Partei die Regierung übernimmt, tritt Droßmann in die SPD ein. „Ich wollte nicht nur pöbeln, sondern mich politisch engagieren. Ich empfand diese Stadtregierung als eine Katastrophe für die Armen in der Stadt.“
Eloquent und dynamisch, wie er ist, macht er schnell eine Politikkarriere im Osten und der Mitte der Stadt, bis er Anfang 2016 zum Bezirksamtsleiter als Nachfolger von Andy Grote (SPD), derzeit Innensenator, gewählt wird. Als Soldat ist Droßmann beurlaubt. „Ich kann jederzeit zurück, das finde ich sehr beruhigend, und ich fühle mich dadurch auch unabhängiger.“ Unabhängiger, um unbequeme Entscheidungen zu treffen, er will das Amt intern neu strukturieren, Institutionen und Ressourcen in Stadtteilen bündeln – eben entscheiden und verändern.
Für ein Privatleben bleibt da wenig Zeit. „Mein Mann und ich müssen uns verabreden, damit wir uns sehen.“ Dabei ist er frisch verheiratet, am 1. Oktober ließ das Paar sich in St. Jacobi trauen. Hier ist Droßmann seit diesem Jahr Mitglied. „Die Kirche ist einfach näher an meinem Arbeitsplatz und der Wohnung in St. Georg. Und ich mag ihr Engagement für Obdachlose.“ Als er nach dem Gespräch aus der Kirche tritt, liegt direkt neben dem Eingang ein Wohnungsloser. Er hat dünne Schuhe an und schläft unter einem Pappkarton. Falko Droßmann ist sichtlich erschüttert. Wegschauen, das kann er einfach nicht.