Die Arche Noah ist das berühmteste Schiff der maritimen Kulturgeschichte, die voller biblischer Begriffe ist. Von Matthias Gretzschel

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laus Störtebeker dürfte ein getaufter Christ gewesen sein, ebenso wie die anderen Likedeeler, denn in der mittelalterlichen Gesellschaft Europas war das gar nicht anders möglich. Christoph Kolumbus benannte das Flaggschiff seiner ersten Expedition 1492 nach der heiligen Gottesmutter, und auch für die anderen europäischen Seefahrer der Frühen Neuzeit war das Christentum eine Selbstverständlichkeit. Wer aufs Meer segelte, setzte sich Gefahren aus, die unkalkulierbar waren. Wenn sich Seeleute in den Häfen von ihren Angehörigen verabschiedeten, mussten sie damit rechnen, dass es ein Abschied für immer sein konnte. Man betete für eine glückliche Heimkehr, und den Männern war bewusst, dass sie sich in Gottes Hand begaben. Die christliche Seefahrt ist sprichwörtlich, aber handelt es sich dabei um mehr als nur eine Redewendung?

Wer sich mit maritimer Kulturgeschichte beschäftigt, stößt allenthalben auf christliche Motive. Aber natürlich ist die Seefahrt viel älter als das Christentum. Schon vor 5000 Jahren haben die Polynesier mit ihren hochseetüchtigen Segelkanus die Inseln des Pazifiks besiedelt, und Homer schickte Odysseus schon im achten vorchristlichen Jahrhundert auf seine maritimen Irrfahrten.

Besonders im Alten Testament geht es häufig um die Rettung aus dem Meer

Alttestamentlich, und damit vorchristlich, ist schon das berühmteste Schiff der Kulturgeschichte, die Arche, die der Menschheits­patriarch Noah auf Gottes Anweisung hin erbaute, um sich mit seiner Familie sowie jeweils einem Tier-Paar vor der Sintflut zu retten, mit der Gott die sündige Menschheit vom Erdboden getilgt hat. Im 1. Buch Mose werden dieses gigantische Rettungsboot und seine Konstruktion detailliert beschrieben.

Auch an anderer Stelle spielt das Schiff als Rettungsmittel im Alten Testament eine Rolle, etwa in Gestalt des Bastkörbchens, in dem Moses die vom ägyptischen Pharao geplante Ausrottung der Israeliten auf wundersame Weise überlebte. Wie etwa auch das Gilgamesch-Epos und andere frühe Dichtungen, ist das Alte Testament reich an maritimen Motiven und Geschichten, bei denen es immer wieder um die Errettung aus Gefahren geht. Berühmtestes Beispiel ist das Schicksal des Propheten Jona, der auf der Flucht vor Gott bei stürmischer See von der Mannschaft als Unheilsbringer erkannt und über Bord geworfen, dann aber wunderbarerweise von einem Wal verschluckt und an Land unversehrt wieder ausgespuckt wird.

Den christlich geprägten Seefahrern des europäischen Mittelalters waren die biblischen Geschichten natürlich vertraut, was sich nicht zuletzt auf die maritime Begrifflichkeit auswirkte: So wurde der Kranbalken zum Ausschwenken und Herablassen der Rettungsboote als David bezeichnet, der vordere Teil des Schiffs als Hölle, die Kletterhilfe, mit der man an oder von Bord kommen konnte, als Jakobsleiter. Das bezieht sich auf die Himmelsleiter aus Jakobs Traum in der Genesis. Das jüngste Besatzungsmitglied bezeichnete man als Moses. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen, auch wenn manche der biblisch entlehnten Begriffe vor allem ironisch zu verstehen sind: So hieß an Bord der Scheuerstein, mit dem die Matrosen kniend die hölzernen Planken schrubben mussten, Gebetbuch; als Teufelsklauen bezeichnete man die eisernen Haken, mit denen Gegenstände an Deck angehoben wurden.

Die Fülle dieser biblischen Bezeichnungen in der maritimen Sprache wird gern angeführt, wenn von der „christlichen Seefahrt“ die Rede ist. Dabei ist völlig unklar, wann dieser Begriff eigentlich geprägt wurde. Wahrscheinlich entstand er erst im 17. Jahrhundert, der älteste Beleg findet sich jedenfalls in einem 1659 in Kopenhagen veröffentlichten Andachtsbuch für Seeleute. In dieser Zeit waren europäische Schiffsbesatzungen auch Gefahren ausgesetzt, die nichts mit den Naturgewalten zu tun hatten. Seit dem 16. Jahrhundert trieben nämlich nordafrikanische Piraten im Mittelmeerraum ihr Unwesen. Und diese Barbaresken hatten es nicht allein auf die Ladungen der Hamburger, Lübecker oder Bremer Schiffe abgesehen, sondern vor allem auf deren christliche Besatzungen. Diese galten als „weißes Gold“, da sie sich höchst profitabel auf den nordafrikanischen Sklavenmärkten verkaufen ließen. In der berüchtigten Piratenhochburg Algier lebten Mitte des 17. Jahrhunderts etwa 100.000 Menschen, für die zwischen 8000 und 40.000 christliche Sklaven arbeiten mussten.

Viele hofften darauf, freigekauft zu werden. Und das war keineswegs aussichtslos, da die Barbaresken den Freikauf als Teil ihres Geschäftsmodells betrachteten und dafür klare Regeln und Tarife aufgestellt hatten. Für die mittellosen Seeleute trat die 1624 gegründete Hamburger Sklavenkasse ein, bei der es sich um eine der weltweit ersten Seeversicherungen handelte. Der Obmann dieser Kasse, der als Sklavenvater bezeichnet wurde, sammelte Spendengeld ein und organisierte die Modalitäten des Freikaufs. Schon zuvor hatte man in den Kirchen für die „christlichen Seeleute“ gesammelt, die sich in der Gewalt der heidnischen Barbaren befanden.

In den Kirchen sammelte man für die Seeleute, die in Gefangenschaft waren

Wenn also im 17. und 18. Jahrhundert von „christlicher Seefahrt“ die Rede war, sollte das in der Regel den Gegensatz zur „islamischen Piraterie“ bezeichnen. Allerdings ließ sich die Welt schon damals nicht so einfach in Gut und Böse einteilen, zumal auch christliche Mächte wie zum Beispiel der Malteserorden Jagd auf nordafrikanische Schiffe machten und deren Besatzungen ebenfalls versklavten und nicht anders behandelten als die Barbaresken die europäischen Matrosen. Die christlichen Malteser fanden jedenfalls nichts dabei, die gefangenen Muslime auf den Sklavenmärkten von Malta, Neapel oder Barcelona zu Geld zu machen.

Jenseits dieses frühneuzeitlichen „Clash of Civilizations“ (Kampf der Kulturen) gab es aber bereits im Mittelalter in der europäischen Seefahrt Normen und Einrichtungen, die tatsächlich christlichen Charakter hatten. Das betrifft zum Beispiel die Bruderschaften der Hansezeit, die sich als Notgemeinschaften verstanden, in denen einer für den anderen eintreten sollte. „Würde jemand krank auf dem Schiffe, der Schiffer ist schuldig, denselben aus dem Schiff bringen zu lassen, in eine Herberge zu legen und ihm Licht zu leihen, da er des Nachts bey sehen mag, auch ihn durch einen Schutzmann oder einen anderen lassen warten, auch mit Speise und Trank zu versehen, wie er’s im Schiff hat“, heißt es zum Beispiel in einer Hamburger Rechtsvorschrift. Neben der christlichen Barmherzigkeit und Hilfe für bedürftige Seeleute ging es aber auch um Seelsorge, für die Schiffsgeistliche zuständig waren. Diese wurden als „Trostsprecher“ oder „Domine“ bezeichnet, bis heute führen Seelsorger diese Tradition auf Kreuzfahrtschiffen fort. Während die im 19. Jahrhundert gegründeten Seemannsmissionen die Matrosen zunächst wohl vor allem zu einem christlichen Lebensstil anhalten und vor den Anfechtungen der Rotlichtbezirke bewahren wollten, geht es ihnen heute eher um praktische Lebenshilfe. Und um Respekt gegenüber dieser Berufsgruppe: „Seeleute sind wichtig – und gehen uns alle an. Denn ob Handy, Öl und Erz, Bananen oder Dünger für die Rosen im Garten: Ohne Seefahrt sitzen die exportstarke deutsche Wirtschaft und wir auf dem Trockenen“, heißt es in einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Seemannsmission.

Welche Rolle Gottesdienste und regelmäßige Gebete, aber auch kirchliche Feiertage an Bord gespielt haben und teilweise auch noch heute spielen, ist eines der Themen im Internationalen Maritimen Museum Hamburg.

Und wie christlich ist die Seefahrt heute? „Die Seeleute, die uns heute im Museum ehrenamtlich helfen, fragen wir nicht nach ihrem Glauben“, sagt Peter Tamm jun., der Chef des Internationalen Maritimen Museums, fügt aber hinzu: „Der Seemann hat in seinem Leben Situationen im Sturm erlebt, die ihm Demut und Glauben schenkten. Jeder von ihnen auf seine Weise. Still und bestimmt.“