Sittensen. Kampf gegen Mikroplastik: Für 2,5 Millionen Euro bauen VfL Sittensen und die Samtgemeinde weltweit einzigartigen Prototyp.

Als eine „Riesensache“ bezeichnet der niedersächsische Umwelt-Staatssekretär Frank Doods das Kunstrasenprojekt des VfL Sittensen, als er in dieser Woche zum ersten Spatenstich auf dem VfL-Baustelle steht. Bis Juni 2021 entsteht in Sittensen ein CO 2 -neutraler Kunstrasenplatz.

Für rund zweieinhalb Millionen Euro bauen Verein und Samtgemeinde einen weltweit einzigartigen Kunstrasen-Prototyp , der Mikroplastik den Kampf ansagt. Die Fasern des Rasens bestehen dabei nicht aus Plastik, sondern aus gepresstem Zuckerrohr, das nicht mehr für die Zuckerproduktion verwendet werden kann.

Filteranlage gegen Feinstäube

Als Einfüllmaterial dient kein Gummigranulat aus geschredderten Altreifen, sondern eine Einstreumischung aus Hanf, Kreide und Kautschuk. Zudem wird eine spezielle Mikroplastikfilteranlage – eine Art Riesen-Staubsauger – installiert, welche verhindert, dass Mikroplastik vom Platz in die Umwelt gerät. „Das wird der modernste Kunstrasenplatz in ganz Europa, zumindest für eine gewisse Zeit. Wir hoffen, dass die Entwicklung da weitergeht und andere Vereine den Staffelstab übernehmen“, sagt Egbert Haneke.

Umweltministerium ist Schirmherr

Der 1. Vorsitzende des VfL Sittensen kämpft seit weit über einem Jahr für das Projekt eines umweltfreundlichen Kunstrasenplatzes. Am Ende übernahm sogar das niedersächsische Umweltministerium unter Minister Olaf Lies (SPD) die Schirmherrschaft. Wissenschaftler der Universität Stuttgart werden das Projekt vier Jahre lang begleiten. Dabei werden wöchentlich Proben genommen, in einem unterirdischen Keller eingefroren und alle drei Monate analysiert. Zudem misst eine Feinstaub-Messanlage die Mikroplastik-Belastung in der Luft der Umgebung.

„Das Projekt ist wirklich Neuland. Mikroplastik in Kunstrasenplätzen ist nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Europa und weltweit ein Thema. Die Vorteile der Kunstrasenplätze möchte man in eine Zukunft retten, in der man auf die Natur Rücksicht nimmt. Normale Rasenplätze werden in der Klimaperspektive mit zunehmenden Trockenperioden zunehmend unter Stress geraten“, sagt Staatssekretär Frank Doods.

Andere Vereine zögern noch

Die Gebietsleiterin des Kunstrasen-Herstellers „Polytan“, Heike Sönnichsen, kennt die Schwierigkeiten eines umweltfreundlichen Einfüllmaterials. „Es gibt bereits Varianten, bei denen Kork-Granulat verwendet wird. Der ist aber zu leicht. Wir gehen davon aus, dass dieser CO-neutrale Rasen, wie er hier gebaut wird, immer mehr zum Standard wird, weil die CO-Bilanz bei den Kommunen ein großes Thema ist“, sagt Sönnichsen. Zwar gebe es bei vielen Vereinen bereits Interesse, keiner sei jedoch so weit fortgeschritten wie der VfL Sittensen.

Genehmigungshürden und Corona sorgten für Verzögerung

Ursprünglich hätte die rund sechsmonatige Bauphase bereits im April beginnen sollen. Da jedoch sowohl der Verein, als auch die Samtgemeinde Sittensen Bauherren sind, kam die zeitliche Verzögerung zustande. Die Gemeinde ist einerseits Bauherr für den Kunstrasen samt moderner Flutlichtanlage, der Verein andererseits für ein zusätzliches Kleinspielfeld zuständig.

„Die größten Herausforderungen sind die Tücken der Genehmigungsverfahren. Wir waren da relativ schnell und hatten Ende Februar eine Baugenehmigung vorlegen. Die Baugenehmigung für die große Anlage von der Samtgemeinde und für das Wasserrecht hat unheimlich auf sich warten lassen. Wir können jetzt nächste Woche loslegen und den Bau bis Juni abschließen“, erklärt Egbert Haneke, der zusätzlich die Folgen der Corona-Pandemie zu spüren bekam.

„In den Ämtern waren für uns wichtige Leute teilweise nicht zu erreichen, weil sie in Quarantäne waren. Das ganze Home Office hat alles verlangsamt“, sagt er.

Finanzierung steht sicher

Finanziell rechnet der VfL-Vorsitzende mit keinen bösen Überraschungen mehr. Während die Gemeinde rund zwei Millionen Euro aufbringt, sorgt der Verein für die restlichen 500.000 Euro, von denen etwa 100.000 Euro aus der Vereinskasse stammen.

„Wir sind bisher unter unserem finanziellen Rahmen geblieben, was uns überrascht hat. Der größte Block ist der Tief- und Sportplatzbau. Das war ein Vergabeverfahren, bei dem unser Wunschpartner den Zuschlag bekommen hat. Bisher fahren wir da unterhalb der Planungskosten. Das kann sich im Laufe des Baus noch einmal verändern. Wir haben aber mehrere Probebohrungen gemacht, so dass es keine Überraschungen mehr geben sollte“, sagt Egbert Haneke.

Hinzu kämen kleine Zufahrtsstraßen, Parkanlagen oder Zapfsäulen für E-Mobilität, deren Kosten noch nicht endgültig feststehen.

In Sittensen gebe es zudem glücklicherweise viele Firmen, die sich mit einbrächten. So sorgte beispielsweise ein Vereinsmitglied mit eigener Baufirma kurzerhand für ein Beton-Fundament. „Das Projekt ist in Deutschland einzigartig. Es ist der großen Initiative der handelnden Personen zu verdanken, dass das hier realisiert wird“, lobt Frank Doods. Der Umwelt-Staatssekretär hofft nun, dass das parallel laufende Forschungsprojekt positive Ergebnisse liefert.

Ministerium in Hannover begleitet den Prozess

Eine vergleichbare Mikroplastikfilteranlage gibt es bisher nicht. „Wir wünschen uns, dass sich das Projekt in der Praxis bewährt, was Strapazierfähigkeit und Unterhaltung angeht. Wenn die Filteranlagen das Material tatsächlich auffangen können, wäre das ein großer Durchbruch“, sagt Doods.

Im vergangenen Jahr schlug eine Meldung hohe Wellen, wonach die Europäische Union Kunstrasenplätze mit Mikroplastik möglicherweise in Zukunft verbieten könne. Die europäische Chemikalienagentur (ECHA) prüft derzeit die Auswirkungen des in vielen Plätzen als Füllmaterial verwendeten Gummigranulats. Ein Verbot dürfte es frühestens im Jahr 2022 geben.

Für den niedersächsischen Umwelt-Staatssekretär soll das jedoch zukünftig keine Rolle mehr spielen. „Ich persönlich glaube nicht, dass wir ein solches Verbot bekommen. Umso wichtiger ist aber der grundsätzliche Weg, der hier unabhängig von Verboten aufgezeigt wird. Dieser Weg zeigt, in welche Richtung sich die Vereine entwickeln sollten“, sagt Frank Doods.