Tostedt. Als Nachrückerin belegt Mia Griesel vom MTV Tostedt den vierten Platz beim europäischen Top-Ten-Turnier der U15-Schülerinnen.
Wenn Michael Bannehr von einem „möglichen Karrierestart“ spricht, dann will das etwas heißen. Der Tischtennis-Abteilungsleiter des MTV Tostedt und Vizepräsident Leistungssport des Tischtennis-Verbandes Niedersachsen (TTVN) hat schon viele erfolgreiche Karrieren begleitet und gefördert. Umso bemerkenswerter ist deshalb seine Einschätzung, dass der vierte Platz für die 14 Jahre alte Mia Griesel beim Europe Youth Top-Ten in Berlin der Beginn einer erfolgreichen sportlichen Laufbahn sein kann.
Auch wenn in der öffentlichen Wahrnehmung nur Gold, Silber und mit Abstrichen Bronze etwas gelten und ein vierter Platz häufig mit Kommentaren wie „Podest knapp verpasst“ und „Blech statt Edelmetall“ diskreditiert wird, so kann das Ergebnis für das Tischtennistalent des MTV Tostedt bei dem europäischen Nachwuchs-Ranglistenturnier gar nicht hoch genug bewertet werden.
Kurzfristig nachnominiert, weil eine russische Spielerin nicht starten durfte, da ihr Trainer positiv auf Covid-19 getestet wurde, überraschte Griesel im Wettbewerb Schülerinnen (U15) auf der europäischen Bühne gleich am ersten Tag mit drei Siegen und bezwang dabei unter anderen die spätere Goldmedaillengewinnerin Annett Kaufmann aus Böblingen. Bis zum Schluss blieb die Tostedterin auf Medaillenkurs.
Das Ergebnis von Mia Griesel rückte gleich nach Abschluss des Wettbewerbs Nationaltrainerin Lara Broich ins rechte Licht. „Mias vierter Platz ist einfach nur stark“, freute sie sich über die Leistung ihres Schützlings an allen drei Wettbewerbstagen. Das sieht auch Mia selbst so. Von Enttäuschung keine Spur bei der kampfstarken Angreiferin: „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung und dem vierten Platz. An solch ein Ergebnis hätte ich vorher nie geglaubt. Die zwei Niederlagen zum Schluss gehen vollkommen in Ordnung, die Gegnerinnen waren einfach besser. Ein bisschen ärgere ich mich nur über die drei verpassten Matchbälle gegen die Rumänin.“
Zwei Tage vor Turnierbeginn war sie nur Ersatzspielerin
Bei einer 10:7-Führung im entscheidenden fünften Satz hatte sie am zweiten Wettkampftag das Spiel gegen Bianca Mei Ruso noch aus der Hand gegeben. Noch zwei Tage vor Turnierbeginn stand Mia Griesel – allerdings ganz oben – auf der Liste der Ersatzspielerinnen. „Da hatte ich die Europe Youth Top-Ten schon abgeschrieben“, sagte sie, „und nicht mehr an einen Start in Berlin geglaubt.“ Dann ging alles rasend schnell. Nach einem Anruf aus Berlin von der Bundestrainerin setzten sich Mia Griesel und der niedersächsische Landesverbandstrainer Nebojsa Stevanov, der auch die Tostedter Bundesligadamen betreut, am Donnerstag in Hannover kurzerhand ins Auto, um vorsorglich in Berlin im Spielerhotel den für einen möglichen Einsatz notwendigen Coronatest zu absolvieren.
Erst danach erreichte sie die Information, dass eine Russin nicht antreten könne und Mia ins Teilnehmerfeld nachgerückt sei. Mit ihrem Blitzstart mit drei Siegen war sie in ihrer Altersklasse die große Überraschung des ersten Wettkampftages, gewann nicht nur die beiden Nationalmannschafts-Duelle gegen die Vorjahreszweite Annett Kaufmann und Jele Stortz, sie besiegte auch im ersten Einzel die nominell stärkste Spielerin des Teilnehmerfeldes, die Europaranglistenzweite Sophie Earley (Irland). Mit drei 3:2-Erfolgen, zweimal mit nur zwei Punkten Unterschied, katapultierte sich die in Beverstedt im Landkreis Cuxhaven beheimatete Mia Griesel, die in Hannover das Lotto-Sportinternat besucht und an der Humboldtschule das Abitur anstrebt, vollkommen unerwartet zusammen mit einer Waliserin an die Spitze des Zehnerfeldes.
„Ich liebe solche Spiele, die in den fünften Satz gehen“, sagte sie nach dem ersten Wettkampftag. „Ich kann mich gut darauf fokussieren, möglichst keine Flüchtigkeitsfehler zu machen.“
Am zweiten Wettkampftag legte sie zwei Siege gegen eine Tschechin und eine Belgierin nach und hätte beinahe ihre weiße Weste behalten, wenn sie sich nicht die für sie eher ungewöhnliche Niederlage im fünften Satz gegen die Rumänin Bianca Mei Rosu geleistet hätte. So wurde der Medaillenkampf der U15-Schülerinnen am dritten Tag zum Kopf-an-Kopf-Rennen von insgesamt vier Nachwuchs-Athletinnen.
Mia Griesel konnte die spätere Siegerin schlagen
In den direkten Duellen mit den späteren Gewinnerinnen von Silber und Bronze kam die Rechtshänderin des MTV Tostedt nicht noch einmal in die Nähe eines Sieges und beendete das Turnier mit einer nicht erwarteten Bilanz von sechs Siegen und drei Niederlagen auf dem hervorragenden vierten Rang. Am Ende war Mia Griesel die Einzige, die der späteren Turniersiegerin und neuen Nummer eins der Europarangliste der Schülerinnen 15, Annett Kaufmann, eine Niederlage beigebracht hatte. Auch ohne Edelmetall darf sich Mia Griesel als eine der großen Gewinnerinnen des Turniers fühlen und Rang vier als Triumph feiern.
Der mehr als ein Trost dafür ist, dass in diesem Jahr der sportliche Höhepunkt, die Europameisterschaften für den Tischtennis-Nachwuchs, ausgefallen sind. Im vergangenen Jahr hatte Mia Bronze im Einzel geholt. Weitere Erfolge waren im Vorjahr die Silbermedaille im Doppel mit Jele Stortz bei den deutschen Titelkämpfen und der Gewinn des nationalen Top-24-Turniers.
Michael Bannehr ist zuversichtlich, was die weitere sportliche Entwicklung von Mia Griesel betrifft, die in ihrer Freizeit gerne liest und Netflix schaut. „Sie hat sich das Feuer für Tischtennis trotz der Pandemie bewahrt, gut trainiert und sich toll im Tostedter Zweitligateam eingefunden“, sagte er.
Zuletzt konnte Mia ihre ersten zwei Bundesligasiege für die Tostedter Frauen gegen die Füchse Berlin beisteuern und ist ihrem selbst formulierten Saisonziel, in dieser Saison „wenigstens zwei oder drei Spiele zu gewinnen“, schon am zweiten Spieltag sehr nahe gekommen. Ihren Leistungsschub der letzten Wochen führen Michael Bannehr, Landestrainer Nebojsa Stevanov, Bundestrainerin Lara Broich und die junge Spielerin selbst darauf zurück, dass sie vor etwa zwei Monaten gemeinsam entschieden haben, auf der Vorhand mit Noppenbelag zu spielen.
Bannehr: „Was Mia in Berlin geleistet hat, ist wirklich beeindruckend. Aber es ist natürlich auch erst ein Anfang.“