Harburg. Als der Traum des 23 Jahre alten Boxers aus Wilstorf zerplatzte, bei den Olympischen Spielen in Tokio zu kämpfen, wurde er Profi.
Endlich wieder ins Gym! Für den Harburger Profiboxer Nenad Stancic waren die letzten Monate hart, erst seit wenigen Wochen darf der 23 Jahre alte Leichtgewichtler (bis 60 Kilogramm) wieder voll trainieren. „Wir sind wegen der Corona-Pandemie viel laufen gegangen oder haben die Pratzen mit ins Freie genommen. Nur die Sandsäcke haben natürlich gefehlt, da musste der eine oder andere Baum dann leiden“, grinst Stancic.
Den Harburger Bäumen dürfte es mittlerweile wieder etwas besser gehen, seit einigen Wochen darf der Wilstorfer wieder wie gewohnt am Sandsack trainieren. Momentan bereitet sich das Talent aus dem Magdeburger Profiboxstall „SES Boxing“ intensiv auf seinen nächsten Kampf vor – der bereits im August steigen könnte.
Dass Nenad Stancic mittlerweile seit fast zwei Jahren als Profi aktiv ist, war ursprünglich gar nicht so geplant. Eigentlich hätte er vom 24. Juli bis 9. August bei den Olympischen Spielen in Tokio boxen sollen. Dass daraus nichts wurde, hat jedoch nichts mit der Olympia-Verschiebung auf 2021 zu tun, eher mit einer sportpolitischen Entscheidung.
In höherer Gewichtsklasse wäre er nicht konkurrenzfähig
Von 2016 bis 2018 hatte Stancic als Amateurboxer am Olympiastützpunkt in Schwerin trainiert. „Als Amateur war Olympia das Hauptziel. Von einem Tag auf den anderen ist mein Traum dann einfach geplatzt“, sagt Stancic, dessen Gewichtsklasse plötzlich aus dem olympischen Programm gestrichen wurde.
Der Harburger stand in Schwerin als Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr im deutschen Olympiakader für Tokio 2020. In eine höhere Gewichtsklasse zu wechseln sei keine realistische Option gewesen, erzählt er. Mit einer Körpergröße von 1,70 Meter sei er dort kaum konkurrenzfähig. Plötzlich stand Stancic vor einer nie für möglich gehaltenen Situation. „Als meine Gewichtsklasse gestrichen wurde, wurde auch mein damaliges Einkommen von der Sportfördergruppe gestrichen. Ich hatte damals einen Halbjahresvertrag und wurde zum Ende des Jahres rausgekickt“, erinnert sich der Leichtgewichtler. Kurzerhand entschied er sich 2018 für eine Profikarriere.
Der Weg zur Profikarriere: SES hat das beste Angebot gemacht
Da der Harburger unter anderem durch den Gewinn der deutschen U21-Meisterschaft längst kein Unbekannter mehr war, hatte er schnell erste Angebote von mehreren Profiboxställen vorliegen. „SES hat mir damals das beste Angebot gemacht. Dort habe ich mich sofort sehr wohl gefühlt und ein gutes Gefühl gehabt“, sagt Stancic, der beim TV Fischbek mit dem Boxen begonnen hat. Für den vom Magdeburger Promoter Ulf Steinforth geführten Boxstall absolvierte Stancic bisher sieben Profikämpfe, die er allesamt für sich entscheiden konnte.
Ein Umzug nach Magdeburg sei für ihn jedoch keine Option. „Ich hätte zwar nach Magdeburg gehen können. Andererseits ist mein Trainer Mark Haupt aber auch in Hamburg“, erklärt Stancic. Mark Haupt trainiert seit vielen Jahren auch den derzeit amtierenden IBO-Weltmeister Sebastian Formella. Formella steht beim Hamburger Profistall „EC Boxing“ unter Vertrag. Zurzeit bereiten sich Formella und Stancic gemeinsam auf ihre nächsten Kämpfe vor, pro Tag absolvieren sie in der Regel zwei Einheiten. Beide trainieren im EC-Boxing-Gym von Promoter Erol Ceylan. „SES und ECB verstehen sich sehr gut und haben auch schon gemeinsam veranstaltet. Deshalb ist das fast wie ein Team“, erklärt Stancic.
Ende des Jahres steht Kampf um die Junioren-WM an
Während Formella voraussichtlich Ende August in Las Vegas seinen Titel verteidigen soll, könnte Stancic bereits am 1. August in Hamburg in den Ring steigen. Es wäre der erste Auftritt seit Mitte Januar. Nach Abendblatt-Informationen plant SES eine Open-Air-Veranstaltung in Hamburg – mit Zuschauern! Bereits an diesem Sonnabend, 18. Juli, richtet SES eine für 1000 Zuschauer zugelassene Open-Air-Veranstaltung in Magdeburg aus
Das Gesundheitsamt Magdeburg erteilte für das mehrfach überarbeitete Gesundheitskonzept eine Ausnahmegenehmigung. Die Veranstaltung könnte als Blaupause für das Event in Hamburg dienen. Insbesondere als junger Kämpfer sei es wichtig, keine zu großen Pausen zwischen den Kämpfen zu haben. Ein halbes Jahr sei da schon ziemlich viel, erklärt Stancic.
„Durch die Zwangspause ist es jetzt ein bisschen komisch, wieder in den Ring zu steigen. Aber man gewöhnt sich schnell wieder daran. Ich hätte auch schon in Magdeburg kämpfen können. Weil ich wegen der Trainingsmöglichkeiten in den letzten Monaten aber noch nicht wieder komplett fit war, haben wir mit dem Trainer entschieden, dass es noch zu früh wäre“, sagt der 23-Jährige. Sein Ziel – die Weltmeisterschaft – sieht er durch die Corona-Unterbrechung ohnehin nicht gefährdet. „Ich denke, wenn wir die Kämpfe vernünftig aufbauen, dass ich in fünf bis sechs Jahren einen großen WM-Kampf haben kann“, sagt Stancic.
Jeder Tag besteht nur aus Arbeit und Training
Ende dieses Jahres strebe er bereits ein Duell um die Junioren-Weltmeisterschaft an. Neben seiner Profikarriere führt der 23-Jährige ein Reinigungsunternehmen. Die Idee kam ihn als er seinen Platz am Olympiastützpunkt in Schwerin verlor. „Da musste ich schnell nach einem Plan B schauen, falls es mit Boxen nicht klappt. Man kann sich immer mal eine Hand brechen und dann wird es natürlich schwierig“, erklärt er.
Viele seiner Freunde und Trainer Mark Haupt seien ebenfalls selbstständig. „Mein Tag besteht eigentlich nur aus Arbeit und Training“, gibt Stancic auf die Frage nach seinen Hobbys zu. Die Selbstständigkeit sei dabei optimal, um die vielen Trainingseinheiten absolvieren zu können. Und finanzielle Sicherheit ist Stancic lieber als ein stressfreies Sportlerleben. „Vom Boxen allein könnte ich auch leben. Aber warum sollte man nicht beides haben?“, fragt der 23-Jährige, bevor er sich zur nächsten Sparringseinheit verabschiedet.
Profiboxstall „SES Boxing“
Seit 2018 steht Nenad Stancic beim Magdeburger Profiboxstall „SES Boxing“ unter Vertrag. Der aktuell bekannteste Boxer aus dem Boxstall von Promoter Ulf Steinforth ist der amtierende WBA-Interims-Weltmeister und IBO-Weltmeister im Halb-Schwergewicht Dominic Bösel. Außerdem kämpft das Hamburger Schwergewichtstalent Peter Kadiru für SES. Kadiru gewann 2020 bereits die WBC-Junioren-Weltmeisterschaft im Schwergewicht.
Am morgigen Sonnabend wird die Box-Szene auf das von Steinforth organisierte Open-Air-Event auf der Magdeburger Seebühne schauen. Es ist nach fünf Monaten Corona-Pause das erste Event mit Zuschauern. Unter anderem wird Peter Kadiru gegen Ruben Wolf kämpfen. Der MDR überträgt ab 22.35 Uhr live.
Alle Kämpfer wurden in den vergangenen Tagen mehrfach auf eine Coronavirus-Infektion getestet. Auch die Hamburger Gesundheitsbehörde dürfte das Event genau verfolgen.
Bei reibungslosem Ablauf ist es wahrscheinlich, dass SES am Sonnabend, 1. August, auch in Hamburg ein großes Box-Event veranstalten wird.