Eißendorf . Derzeit sieht es aus, als würden die Beschränkungen für Judoka auch nach den Ferien noch gelten. Zur Überbrückung müssen Dummys herhalten

Gunther ist schon ganz blau. Irgendwie wehrt er sich auch nicht richtig, als Linda ihn zum 25. Mal von der Matte hoch zerrt, auf ihre Hüfte zieht und wieder zu Boden wirft. Diesmal bleibt sie gar auf ihm liegen und hält ihn am Boden fest. Gunther tangiert das nicht. Denn Gunther ist eine Puppe, etwas über einen Meter groß, sechs Kilo schwer, außen aus Nylongewebe, innen voller Schaumstoff – und er ist die Rettung des Judo-Trainings in Corona-Zeiten.

Dass man Golf und Tennis schon wieder spielen darf, nützt Norddeutschlands Judoka wenig: Als Vollkontaktsport wird Judo noch lange im Training eingeschränkt sein. Im engen Körperkontakt gemeinsam zu schwitzen, sich gegenseitig ins Gesicht zu atmen und alle paar Minuten den Partner zu wechseln, wie sonst beim Judo üblich, wäre epidemiologisch fatal. Die Judo-Vereine mussten sich etwas einfallen lassen. Da kam Raimund Geerdts, Trainer des Harburger Kampfsportclubs (KSC) Bushido, die Idee mit den Dummies. Sie sind nicht seine Erfindung, sondern werden im Leistungssportler-Training schon länger eingesetzt.

Gunther lässt sich klaglos auf die Matte werfen

Geerdts, hauptberuflich Kampfsportartikel-Händler hat schon länger Judopuppen in seinem Sortiment. „Nur als Trainer habe ich selbst noch keine eingesetzt“, sagt Geerdts. „Ich war da immer skeptisch und habe die Übungen mit realen Partnern für besser gehalten. Aber mittlerweile sehe ich auch ohne Corona mehr Nutzen im Dummy-Training.“ Ursprünglich wurden „Grappling Dummies“ – „Grappling“ steht für alle Ringkampfstile – entwickelt, um Athleten möglichst viele Wiederholungen einer Technik in kurzer Zeit üben zu lassen. Ein realer Partner ist da als „Uke“ so heißt im Judojapanisch der passive Partner, an dem der aktive „Tori“ die Technik ausführt, schnell überfordert. Das gilt insbesondere bei den so genannten „großen Wurftechniken“, bei denen Uke aus Hüfthöhe oder höher fällt.

Allen Fallkünsten zum Trotz wird Uke mit jedem Wurf langsamer im Aufrappeln und Aufstehen. Gunther nicht: Der lässt sich klaglos hochheben und wieder werfen. Und auch im Bodenkampf, beispielsweise, wenn Tori aus Versehen beim Armhebel überzieht, bleibt der Dummy ein zuverlässiger Trainingspartner.

Selbstverständlich kann das Dummytraining die Eins-zu-eins-Situation im Wett- oder Übungskampf nicht ersetzen, aber von allen Corona-tauglichen Ersatzmaßnahmen ist es noch eine der besten, glaubt Geerdts. Sechs Dummies hat der KSC im Einsatz. Sie werden vor und nach jedem Training desinfiziert, und auch zwischendurch, wenn die Trainingsgruppen wechseln. „Bei gutem Wetter trainiert ein Teil unser Judoka draußen Kraft, Geschicklichkeit und Gleichgewicht und ein Teil in der Halle mit den Dummies und mit Deuser-Bändern“, sagt Geerdts. „Bei schlechtem Wetter sind beide Gruppen in der Halle. Die Teilnehmer melden sich vorher an. Bis jetzt ist es immer ziemlich genau aufgegangen und ich musste noch niemandem absagen.“

Kinder denken sich jemanden, den sie nicht mögen

Für die Puppenkämpfer sind sechs Mattenflächen ausgelegt. Das füllt eine halbe Halle. In der anderen Hälfte kann bei Regen das Zirkeltraining für die zweite Gruppe aufgebaut werden. Die Judoka betreten das Dojo durch den Vordereingang und verlassen es durch den Notausgang. Jeder Sportler behält für die Dauer des Trainings „seinen“ Dummy.

Deswegen haben die sechs Dummies auch 12 unterschiedliche Namen, von Gunther bis Mathelehrer Müller-Lindenau. „Es ist zwar nicht wirklich Judo-like, aber es macht gerade den Kindern Spaß, sich an dem Dummy das Gesicht von jemandem vorzustellen, den man nicht mag“, sagt Geerdts. „Zum Teil kommen sie mit Geschwisternamen.“

Zweimal in der Woche trainieren die Judoka des KSC Bushido in der Schule Alte Forst. Neben dem ehemaligen Bundesligakämpfer Raimund Geerdts gehört auch seine Frau Bianca, einst Nationalkaderathletin, zum Trainerstab. 40 Kinder und Jugendliche sowie ein Dutzend Erwachsene sind Mitglied des Vereins. Sie gehören zu deutschlandweit etwa 200.000 Judoka.

Die Eißendorfer sind nicht die einzigen, die auf die Idee gekommen sind,mit den Dummies zu trainieren. „In meinem Sortiment sind die Puppen der Renner“, sagt Raimund Geerdts. Derzeit sieht es aus, als würden die Körperkontakt-Beschränkungen für Judoka auch nach den Ferien noch gelten. „Darauf müssen wir uns einstellen“, sagt Raimund Geerdts, „auch wenn ich gerne mal wieder mit einem echten Trainingspartner üben würde.“