Drochtersen. Regionalligist kann hohe Erwartungen gegen Schalke nicht erfüllen, freut sich aber über einen Rekord. Fans protestieren gegen Tönnies.

Zig Fahnen in Rot und Blau zieren die Straße, die von Stade nach Drochtersen führt. Manche Bewohner haben ihr Eigenheim mit Wimpelketten in den Vereinsfarben der SV Drochtersen/Assel geschmückt. Ein Spaßvogel in Assel tanzt aus der Reihe – er hat eine Bayern-München-Flagge gehisst. Wer die Dorfgrenze passiert, wird auf dem Ortsschild in der „Fußballweltstadt“ begrüßt. Es ist mal wieder Fußballfeiertag im „Dorf“, wie Vereinsboss Rigo Gooßen Drochtersen gern nennt. Mit dem FC Schalke 04 hat sich zum dritten Mal binnen vier Jahren Besuch aus der Bundesliga angesagt. Am Ende gibt es ein Schützenfest, bei dem nur die Gäste treffen.

Neues Ortsschild: Drochtersen ist jetzt Fußball-Weltstadt.
Neues Ortsschild: Drochtersen ist jetzt Fußball-Weltstadt. © Volker Stahl

Das Pokalspiel der ersten Hauptrunde im DFB-Pokal lockt neben den Ultras, die mit Gesängen und einer Aktion gegen einen prominenten Funktionär für Stimmung sorgen, auch zahlreiche Schalke-Anhänger aus der Region ins Kehdinger Stadion. Markus Itjen (43) aus dem niedersächsischen Dorum zum Beispiel. Er trägt ein Asamoah-Trikot mit der Nummer 14 und sagt: „Wer einmal im Parkstadion nass geworden ist, liebt diesen Verein.“

Fans haben null Verständnis für die Aussagen von Clemens Tönnies

Nur einen hat er nicht so richtig lieb: den milliardenschweren Unternehmer Clemens Tönnies, seit 2001 Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04. Dessen rassistische Äußerungen über Afrikaner verurteilt Itjen scharf und bezeichnet den Fleischproduzenten als „Vollidioten“. Auch Schalke-Fan Hendrik Gladbach (22) aus Buxtehude ist entsetzt über Tönnies‘ Aussagen, die er als „völligen Bullshit“ bezeichnet. Mehr Respekt haben die Fans vor dem Gegner im Pokal. „Drochtersen darf man nicht unterschätzen, die haben gegen Bayern und Gladbach stark gespielt“, sagt Itjen. Beide tippen 2:0 für Schalke.

Wimpeltausch zwischen den Kapitänen Alexander Nübel (l.) und Sören Behrmann.
Wimpeltausch zwischen den Kapitänen Alexander Nübel (l.) und Sören Behrmann. © Volker Stahl

Optimistisch sind auch die Gastgeber. Drochtersens Kapitän Sören Behrmann kündigt im Stadionheft ein 2:1 für seine Farben an, auch seine im Fanshop beschäftigte Mutter Karin würde „gerne gewinnen“. Rigo Gooßen ist vorsichtiger, hofft auf ein 0:0 nach 90 Minuten, „und dann mal sehen“. Auch der vor der Saison zu Blau-Weiß Bornreihe gewechselte Verteidiger Meikel „Mörtel“ Klee traut seinen ehemaligen Teamkameraden die Sensation zu: „Ich habe ein richtig gutes Gefühl, 1:0 für D/A.“

Auch Meikel Klee glaubte an den Erfolg seiner ehemaligen Mannschaft

Nur Vereinsarchivar Egon Possel drückt auf die Bremse: „Die Leute sind mir zu euphorisch, viele sind gefühlt schon eine Runde weiter. Nachher geht das gewaltig in die Hose.“ Schließlich lässt sich auch Possel von der Welle des Optimismus, die seit Wochen durch das Dorf schwappt, mitreißen: „2:1 für uns!“ Es scheint so, als hätten die Erfolge mit der Etablierung in der Regionalliga und den knappen 0:1-Niederlagen im DFB-Pokal den Blick auf die Realität etwas verstellt – frei nach dem Motto: Wer gegen die Bayern 81 Minuten kein Tor kassiert, der haut Schalke weg!

Florian Nagel bringt Schalke-Torhüter Alexander Nübel in Bedrängnis.
Florian Nagel bringt Schalke-Torhüter Alexander Nübel in Bedrängnis. © Volker Stahl

Spannend ist es im Kehdinger Stadion schon vor dem Anpfiff. Während die 8000 Zuschauer (Vereinsrekord) mit dem lokalen Gassenhauer „Jetzt ist der Teufel los bei uns in Drochtersen“ auf die Partie eingestimmt werden, tritt der 2000 Anhänger zählende Gästeblock in Aktion. Tausende Hände halten rote Schilder mit weißen Aufschriften „Rassismus“ und „Clemens Tönnies“ in den Himmel – ein klares Bekenntnis gegen Fremdenhass und Diskriminierung. Die Dramaturgie endet kurz vor dem Abpfiff: Auf blau-weißen Transparenten prangen die Aufschriften: „Rassisten sind keine Schalker!“ und „Tönnies raus!“

8000 Zuschauer im Kehdinger Stadion bedeuten Vereinsrekord

Dann rollt der Ball. Die erste Großchance erspielen sich die Gastgeber. Alexander Neumann passt von der Torauslinie in die Mitte zu Sören Behrmann, der den Ball aus drei Metern knapp verpasst. „Ich habe einen kleinen Stoß gekriegt“, erklärt der verhinderte Torschütze nach dem Abpfiff. Den erlebte Behrmann nach seiner Auswechselung in der 36. Minute auf der Ersatzbank. „Nach dem Zusammenprall mit Burgstaller und unserem Torwart Siefkes war ich kurz ohnmächtig.“

Behrmann wurde auf einer Bahre abtransportiert.
Behrmann wurde auf einer Bahre abtransportiert. © Imago/Eibner Europa

Dieser Wechsel in der Innenverteidigung – Laurens Rogowski ersetzt den Kapitän – hat Folgen. Die zuvor gut funktionierende Abwehr wirkt nun anfälliger. Eine Minute vor der Pause trifft Steven Skrzybski nach Vorarbeit von Suat Serdar zum 0:1 für Schalke.

Zwar köpft Nico von der Reith den Ball kurz nach dem Wiederanpfiff nach einem von Oliver Ioannou getretenen Freistoß ins Tor – allerdings aus Abseitsposition. Nach einer Stunde herrscht erneut Alarm im Drochterser Strafraum. Guido Burgstaller nutzt einen Patzer von Dimitri Fiks zum 0:2.

Drochtersens Trainer Lars Uder im Interview mit dem Sender Sky.
Drochtersens Trainer Lars Uder im Interview mit dem Sender Sky. © Volker Stahl

Die Messe ist gelesen. Daniel Caligiuri (65., Elfmeter), Münir Mercan (73.) und erneut Burgstaller (83.) schrauben das Resultat auf 0:5 hoch. „In dieser Phase hat man den Klassenunterschied gesehen“, analysiert DA-Coach Lars Uder später.

Kapitän Behrmann muss nach einem Zusammenprall benommen raus

Viele Zuschauer machen sich vorzeitig auf den Heimweg – ein Zeichen für die gestiegene Anspruchshaltung, die auch das Statement von Reinhold Pudell vom Fanclub „Black 41“ widerspiegelt: „Schalke hatte viele Verletzte, da hat man immer eine Chance.“ Trotz der Klatsche sind Pudell und sein 40 Mitglieder zählender Fanclub im Auswärtsspiel am Mittwoch bei Altona 93 wieder dabei. Ab 19 Uhr hat der Regionalliga-Alltag die verhinderten Pokalhelden wieder.