Buchholz. Corinna Frommelt stand im März zum 75. Mal mit der A-Lateinformation von Blau-Weiss Buchholz auf dem Parkett. Ein Rekord.

Unter dem Dach brennt noch Licht. In der Küche, dem größten Raum der kleinen Zweizimmerwohnung tanzen ein junger Mann und eine zierliche Frau. Aus dem Handy dröhnt Musik, zu dem die beiden Tänzer einen schneidigen Disco Fox auf den Dielenboden legen. Nach wenigen Minuten brechen Corinna Frommelt und ihr Freund Felix in lautes Gelächter aus. Es ist ein ungleiches Tanzpaar, das zwischen Kochtöpfen und Küchentisch seine Hüften schwingt. Felix, der Hobbytänzer auf der einen Seite, und Corinna, die Profisportlerin, auf der anderen. Die 27-Jährige ist Tänzerin der A-Lateinformation des Blau-Weiss Buchholz. Sie hat sich mit ihrem Team über zwölf Jahre hinweg durch alle Ligen bis in die Erste Bundesliga getanzt. Neue Tänzer kamen hinzu, alte gingen fort. Corinna blieb. Jahr um Jahr. Anfang März tanzte die Harburgerin ihr 75. Lateinturnier für Buchholz. Und hat damit im Verein einen Rekord aufgestellt.

Die A-Lateinformation von Blau-Weiss Buchholz belegte beim Bundesligaturnier in Ludwigsburg den vierten Platz. Corinna Frommelt (links) tanzte ihr 75. Lateinturnier. Cheftrainerin Franziska Becker (rechts) gratulierte.
Die A-Lateinformation von Blau-Weiss Buchholz belegte beim Bundesligaturnier in Ludwigsburg den vierten Platz. Corinna Frommelt (links) tanzte ihr 75. Lateinturnier. Cheftrainerin Franziska Becker (rechts) gratulierte. © Blau-Weiss Buchholz | Angelina Thranow

Auf ihrer Anrichte im Wohnzimmer hat sie einen silbernen Tanzschuh deponiert, daneben steht ein goldener. Den einen gibt es für 50 Auftritte, den anderen zum 100. „75 liegt genau dazwischen, deshalb habe ich beide bekommen“, sagt Corinna grinsend. Die Teamkollegen haben eine glitzernde 75 auf jedem Schuh befestigt und diese Anfang März zum Jubiläum überreicht.

Sie ist ein Energiebündel, das alle mitreißt

Trainer und Tänzer wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass eine Tänzerin so lange einem Team treu bleibt. Und dass es eine Ehre ist, mit einem Menschen wie Corinna auf der Bühne zu stehen. Weil sie jemand ist, der zwar präsent ist, sich jedoch nicht in den Vordergrund drängelt. Der auf der Bühne selbstbewusst auftritt ohne die anderen in den Schatten zu stellen. Sie ist ein Energiebündel, das alle mitreißt: das Team, die Zuschauer und die Wertungsrichter. „Ich möchte Vorbild sein für die jüngeren Teamkameraden, ihnen Mut machen“, sagt sie. „Ich möchte, dass sie sich auf mich verlassen können.“

Ihr Erfolg ist das Ergebnis jahrzehntelangen Trainings und außergewöhnlicher. Dreimal in der Woche trifft sich die 27-Jährige mit ihren Teamkollegen in der Sporthalle in Buchholz zum gemeinsamen Tanzen. Drei Stunden dauert eine Einheit unter der strengen Regie von Cheftrainerin Franziska Becker, die Corinna seit sieben Jahren begleitet. „Corinna ist jemand, die als Tänzerin eine hohe Präsenz auf der Tanzfläche hat und als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen wird“, sagt sie. „Sie spielt aber auch im Team eine große Rolle, da sie über ihre eigene Leistung hinaus auch immer die Gesamtleistung der Mannschaft im Blick hat und dafür die Verantwortung übernimmt.“

Eine Teamplayerin einerseits und eine Einzelkämpferin, die ständig an sich arbeitet, andererseits. Jemand, „der sich immer weiterentwickeln will und sich nie mit seiner Leistung zufrieden gibt“, wie es die Cheftrainerin formuliert. Eine Sportlerin, die nicht nur bei sich ist, sondern auch immer auf die Gesamtverfassung der Mannschaft schaue. „Sie ist – auch für mich als Trainerin – eine wichtige Stütze.“

Corinna war bereits da, als „Franzi“ 2012/2013 den Posten der Cheftrainerin übernahm. Sie war schon da, als Uwe und Sabine Oendrich gemeinsam mit Hansgeorg von Thun vor 13 Jahren das Tanzwunder in Buchholz starteten. 2005 war das. Damals war Corinna 14 und besuchte das Albert-Einstein-Gymnasium. Eine Freundin überredete sie, einfach mal mit zum Training zu kommen. Wenige Monate später tanzte die Teenagerin, die damals noch in Asendorf wohnte, ihr erstes Turnier mit dem B-Team. Von dem Moment wusste sie, dass dieser Sport ihr Leben begleiten wird. „Ich bin zu meiner Mutter gegangen und habe ihr gesagt, dass ich zur Lateinformation möchte“, erinnert sich Corinna. Als ihre Mutter, aus dem Rheinland stammend, fragte, was das sei, sagte Corinna: „So etwas ähnliches wie Funkenmariechen beim Karneval. Nur cooler.“

Tänzerin Corinna Frommelt zeigt das Kleid und die Schuhe, mit denen sie durch die Bundesligasaison getanzt ist. 
Tänzerin Corinna Frommelt zeigt das Kleid und die Schuhe, mit denen sie durch die Bundesligasaison getanzt ist.  © HA | Hanna Kastendieck

2007 wurde sie nach einem Casting in die A-Formation aufgenommen. Ihr erstes Turnier erinnert sie noch heute. „Es war in Bremen, in einer richtig großen Eventhalle – und die Ränge waren voll. Aber ich hatte überhaupt keine Angst. Vielmehr habe ich mich gefreut, vor einem großen Publikum auftreten zu dürfen.“ Das ist bis heute so geblieben. Sie fühlt sich auf der Tanzfläche wohl, traut sich, auch mal Fehler zu machen. „Danach weiß man, dass dieser Fehler nicht noch einmal passieren wird“, sagt sie. „Dafür stehen wir ja so viele Monate im Training.“

2007 wurde sie in die A-Formation aufgenommen

Training. Montag, Mittwoch, Freitag. Jede Woche. Im August beginnt die Saison. Drei Monate lang bereiten sich die Tänzer auf das erste große Turnier, die Deutschen Meisterschaften im November vor. Sie verbringen fast jedes Wochenende in der Halle, üben von morgens früh bis spät in den Abend. Das schweißt zusammen. „Wir haben die Stärke und die Möglichkeit das Publikum spüren zu lassen, dass wir eine Einheit sind und nicht mehrere Einzelkämpfer“, sagt Corinna Frommelt.

Gemeinsam durften die Tänzer schon viele tolle Erfolge feiern. Einige davon gehören zu den schönsten Momenten in Corinnas Leben. Zum Beispiel der Aufstieg in die erste Bundesliga 2012/13. Und der Moment, als sie 2016 das erste Mal die Bronzemedaille geholt haben. Besonders aber in Erinnerung geblieben ist ihr das Aufstiegsturnier zur Zweiten Bundesliga 2012 in Buchholz. „Nicht wegen des Erfolges, sondern weil es einfach ein so tolles Ereignis war“, sagt sie. „Wir haben als Mannschaft am Abend vorher in der Halle übernachtet und nach dem erreichten Aufstieg einfach total ausgelassen gefeiert“, erinnert sie sich. Dabei hatten wir, glaube ich, nicht einmal gewonnen.“

Corinna Frommelt inmitten der A-Formation von Blau-Weiss Buchholz.
Corinna Frommelt inmitten der A-Formation von Blau-Weiss Buchholz. © BW Buchholz | Angelina Thranow

In diesem Jahr beendete die A-Formation die Saison mit dem neuen, innovativen und unglaublich komplexen Konzept „Rhythm – lives in you“ als Vierter der Bundesliga. An Corinnas Seite war diesmal Tänzer Bennett Busak. „Er ist noch jung, aber er hat seine Sache richtig toll gemacht“, sagt die erfahrene Tänzerin. „Wir waren ein gutes Tanzpaar.“ Wie häufig die Sportler jeden einzelnen Schritt der sechs Minuten dauernden Choreographie wiederholen müssen, bis jede noch so kleine Bewegung bei den acht Paaren perfekt sitzt, vermag auch die erfahrene Tänzerin nicht zu sagen. „Das häufigste Wort, das im Training fällt“, sagt sie, „ist: ‚Nochmal!‘.“

Wer auf dem Parkett an ihrer Seite stehen darf, entscheidet Trainerin Franziska Becker. Die ehemalige Profitänzerin ist es auch, die das Thema wählt, die Choreographie macht und die Kostüme entwirft, die ihre Mutter Sibilla für die Gruppe schneidert. Schillern und glitzern müssen sie, sexy sein und doch bequem. Denn bei aller sportlichen Leistung gehört auch das Optische bei den Wettkämpfen dazu. Also greifen Corinna und ihre Teamkolleginnen bereits drei Tage vor dem Auftritt zur Selbstbräunungscreme. Für Make-up, Haarstyling und Ankleiden brauchen die Damen etwa drei bis vier Stunden. Kurz vor dem Auftritt schmieren sie sich noch einmal mit Körperschminke ein, die der Haut im Scheinwerferlicht einen schönen Glanz verleiht.

Im Alltag hält Corinna, die nach ihrem Studium mit dem Schwerpunkt Nutz- und Sonderfahrzeugbau jetzt als Ingenieurin in einer Firma im Harburger Hafen tätig ist, allerdings nicht allzu viel von Bling-Bling und kurzen Kleidern. Sie trägt die Haare gerne offen, dazu Klamotten, in denen sie sich wohlfühlt. „Nichts Auffälliges, aber auch nichts, was mich unsichtbar wirken lässt“, sagt sie. „Ein Kleid, wie man es vom Tanzen kennt, trage ich nur auf dem Parkett. Wenn ich zu einer Hochzeit eingeladen bin, freue ich mich aber immer darüber, mal wieder einen Grund zu haben, um ein bodenlanges Kleid zu tragen.“ Ein paar Jahre möchte Tänzerin noch weitermachen. Solange, bis sie selbst sagt: „Jetzt reicht’s mir.“ Ob sie die 100 noch vollmacht, kann sie nicht mit Sicherheit sagen. „Ich tanze, solange ich Freude daran habe.“ Sie hat sich fest vorgenommen, die Entscheidung zum Aufhören alleine zu treffen. Es sollen nicht die äußeren Umstände entscheiden.

Das Team

Seit 2005 ist der Formationssport in Buchholz vertreten. Inzwischen gehört das Angebot mit über 100 Formationstänzern in jeweils vier Teams zu den größten Formationsabteilungen in Deutschland.

Das Lateinformationsteam wurde 2005 gemeinsam von Uwe und Sabine Oendrich und Hansgeorg von Thun gegründet.

Bis 2016
tanzte das Team für den TSK Buchholz 08. Seit dem 1. Juli 2016 gehört es zum Verein Blau-Weiss Buchholz.

Beim letzten Saisonturnier am 16. März in Bremen wurde das A-Team mit dem vierten Platz bewertet. Insgesamt schloss die Formation die Saison mit dem vierten Platz ab.

Nächstes Aufeinandertreffen der besten deutschen Formationen ist bei der Deutschen Meisterschaft der Standard- und Latein-Formationen am 9. November 2019 in der Sporthalle Hamburg.

Getanzt wird bei Blau-Weiss übrigens schon vom „Windelalter“ an. Die Kleinsten (21 bis 36 Monate) trainieren Motorik und Koordination fleißig bei den Pampers Dancers. Formationstanzen können Kinder allerdings erst ab zwölf Jahren trainieren.

Weitere Infos gibt es bei Franziska Becker, Telefon 0171-94 29 144 oder im Internet unter www.blau-weiss-buchholz.de

Formationstanz

Beim Formationstanz tanzen im Gegensatz zum Paartanz und Solotanz mehrere Personen koordiniert gemeinsam. Bei der Lateinformation sind es insgesamt acht Paare. Es handelt sich um eine hoch koordinative Sportart.

Die Musik darf bei Standard- und Lateinturnierformationen maximal sechs Minuten lang sein. Sie besteht aus Einmarsch, Hauptteil und Ausmarsch, wobei nur der Hauptteil in die Wertung eingeht. Der Hauptteil muss zwischen drei und viereinhalb Minuten lang sein.

In der Regel ist die Musik ein Arrangement von bekannten Musikstücken, die durch Bearbeitung an den jeweiligen Tanz angepasst werden. Die Produktion einer solchen Formationsmusik kann bis zu 15.000 Euro und mehr kosten, wenn diese von einem Orchester passend auf die Bedürfnisse einer Formation eingespielt wird.

Durch die Veränderungen der Tanzpositionen werden sogenannte Bilder gestellt. So sehen die Wertungsrichter zum Beispiel Rauten, Diamanten, Linien, Kreise, Reihen und Diagonalen.

In die Wertung fließen Musik, tänzerische Leistung, Ausführung der Choreographie und Durchgängigkeit und Charakteristik der Tänze ein.