Hittfeld. Profis und Schüler auf Augenhöhe: Die Rollstuhlbasketballprofis der BG Baskets zeigen Schülern ihren Sport.

Und dann springt sie doch auf. Weil sie die anderen nicht warten lassen will. Springt raus aus dem Sitz und flitzt los, um den Basketball zu holen, der einfach nicht in den Korb gehen will. Die Füße in den bunten Turnschuhen laufen über den Hallenboden. Dann lässt sich die Schülerin wieder in den Rollstuhl plumpsen und setzt erneut zum Wurf an. — Es ist dieser kurze Moment, an dem deutlich wird, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen. Und die Lebensrealität der Rollstuhlbasketballer, die an diesem Vormittag zu Gast am Gymnasium Hittfeld sind, unmittelbar spürbar wird.

Alireza Ahmadi und Marzin Balcerowski können nicht aufspringen, wenn sie den Ball verlieren. Sie können nicht einfach drauflosrennen, um ihr Ziel zu erreichen. Die beiden Sportler sind an den Beinen gelähmt. Sie brauchen den Rollstuhl, um voranzukommen und sie nutzen ihn obendrein, um erfolgreich Basketball zu spielen. Als Profis der BG Baskets, der Rollstuhlbasketball-Mannschaft des HSV, mischen sie ganz oben in der Bundesliga mit. Sie stehen oft auf der Gewinnerseite.

Die Schüler erfahren, was es heißt, im Rollstuhl zu sitzen

Dabei haben sie viel im Leben verloren. Alireza Ahmadi, den alle auf dem Spielfeld nur Ali nennen, erkrankte mit drei Jahren an Kinderlähmung. Seitdem sitzt der Iraner im Rollstuhl. Sein Kollege Marzin Balcerowski war 21, als er mit dem Auto schwer verunglückte. Seitdem kann der Pole seine Beine nicht mehr bewegen. Er ist dennoch Profisportler geworden, spielt in der polnischen Nationalmannschaft und gehört seit Mai 2018 zum BG-Baskets-Team. Der 42-Jährige gilt als der sicherste Freiwurfschütze im Team.

BG-Basket-Profi Marzin Balcerowski gibt den Schülern Tipps beim Wurf auf den Korb.
BG-Basket-Profi Marzin Balcerowski gibt den Schülern Tipps beim Wurf auf den Korb. © HA | Hanna Kastendieck

An diesem Montagmorgen sind die beiden Sportler früh aufgestanden. Sie haben gemeinsam mit HSV-Koordinatorin Inken Pfeiffer 18 Sportrollstühle in den weißen Transporter geladen und sich auf den Weg gemacht vom Sportlerwohnheim auf dem Gelände des BG Klinikums in Boberg Richtung Süden. „Wir wollen den Schülern unseren Sport zeigen“, sagt Marzin Balcerowski. „Sie sollen Spaß haben.“ Und sie sollen die Perspektive wechseln. Am eigenen Leib erfahren, was es heißt, im Rollstuhl zu sitzen. Es geht darum, Grenzen aufzulösen, sich auf Augenhöhe zu begegnen und zu spüren, dass es Lebenswelten gibt, die anders sind.

Die jungen Basketballer zeigen, dass jeder dazu gehört

Fünf siebte Klassen sind an diesem Schulvormittag beim Inklusionsprojekt in der Sporthalle am Peperdieksberg dabei. Sie freuen sich auf eine neue Erfahrung, darauf, den Sport kennenzulernen, der ein wesentlicher Bestandteil von Alis und Marzins Lebens ist. „Der Sport ist mein Job. Und er ist eine Sucht für mich“, sagt Alireza Ahmadi. „Mit 14 habe ich das erste Mal in der Schule Rollstuhlbasketball gespielt. Seitdem kann ich es nicht mehr lassen.“ Sein Mitspieler Marzin Balcerowski hatte bereits vor seinem Unfall erfolgreich Basketball gespielt. „Bis ich mich dazu entschließen konnte, auch als Rollstuhlfahrer Körbe zu werfen, musste erstmal ein Jahr vergehen“, sagt der Pole. Heute weiß er, dass diese Entscheidung eine der besten seines Lebens gewesen ist. Und dass sein Talent auch als Rollstuhlfahrer Bestand hat.

Es sind Erkenntnisse, die die Spieler der BG Baskets weitergeben möchten. Sie können Vorbild sein. Vorurteile abbauen. Ängste nehmen. Vier Hamburger Schulen haben sie im Rahmen des vom Hamburger Multi-Metall-Unternehmens Aurubis geförderten Projektes bereits besucht. Das Gymnasium Hittfeld ist die erste außerhalb der Stadtgrenzen. Dass die BG Baskets ausgerechnet nach Hittfeld gekommen sind, verdanken die Schüler vor allem ihrem Lehrer Daniel Cech. Er ist selbst Basketballer und kann sich für das schnelle, knallharte Spiel der BG Baskets begeistern. Nachdem er mit seinen Schülern die Rollstuhl-WM in der Wilhelmsburger edel-optic.de-Arena besucht hatte, nahm er Kontakt zu der Mannschaft auf. „Mein Ziel ist es, Inklusion in den Sportunterricht zu bringen“, sagt er. „Ich habe gemerkt, dass die Schüler noch viele Fragen haben, aber den Kopf ausschalten, wenn sie erstmal dabei sind.“

Für die Rollis Lebensrealität, für Siebtklässler Finn eine völlig neue Erfahrung: Er soll den Ball aufheben, ohne aus dem Rollstuhl zu steigen. 
Für die Rollis Lebensrealität, für Siebtklässler Finn eine völlig neue Erfahrung: Er soll den Ball aufheben, ohne aus dem Rollstuhl zu steigen.  © HA | Hanna Kastendieck

Dass sich Grenzen am besten auflösen lassen, wenn man sie übertritt, zeigt sich beim gemeinsamen Training. Anfang noch unsicher, dann immer selbstbewusster fahren die Schüler mit den Rollstühlen durch die Sporthalle. Sie geben Gas, bremsen ab, drehen sich im Kreis. Dann sollen sie den Ball vom Boden heben. Was bei Marzin Balcerowski so spielerisch leicht aussieht, erweist sich für die Schüler als große Hürde. Die Beine zucken, der Hintern hebt sich. Allein der Verstand bremst. Wer im Rollstuhl sitzt, kann nicht aufstehen. Die Schüler wissen das. Also kämpfen sie. Weil sie dazugehören wollen zu den echten Rollstuhlbasketballern. „Es ist toll, diese Erfahrung zu machen“, sagt Schülerin Michelle. „Aber vor dem Gedanken, jeden Tag an den Rollstuhl gebunden zu sein, habe ich Respekt.“

Nachdem die Schüler sich mit dem Rollstuhl vertraut gemacht, haben, wird gespielt. Profi gegen Profi, Schüler gegen Schüler. Die Rollstühle sausen durch die Halle, knallen gegeneinander, die Spieler dribbeln und passen. Sie werfen Körbe und verlieren den Ball. Sie jubeln, klatschen ab und wünschen sich insgeheim, dass die Stunde nicht zu Ende geht. Sportlehrerin Franziska Daun gibt den Mädchen und Jungen der 7b noch ein paar Minuten Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. „Durch das Projekt bekommen die Schüler eine andere Wahrnehmung“, sagt sie. „Das Bewusstsein für Behindertensport wird geschult.“

Klassenlehrerin Petra Söte hofft, dass die Schüler sensibel dafür werden, dass Menschen mit Handicap normal sind. „Jeder Mensch soll so akzeptiert werden wie er ist“, sagt sie. „Kontakte zu Menschen mit Einschränkungen helfen. Jeder hat irgendwo ein Handicap. Diese Erkenntnis schweißt zusammen.“

Frank Patyna, Schulleiter am Gymnasium Hittfeld, ließ es sich nicht nehmen, am Inklusionstag den Schülern und Profis einen Hallenbesuch abzustatten.
Frank Patyna, Schulleiter am Gymnasium Hittfeld, ließ es sich nicht nehmen, am Inklusionstag den Schülern und Profis einen Hallenbesuch abzustatten. © HA | Hanna Kastendieck

Während die BG-Basket-Profis mit der nächste Klasse in die Sportstunde starten, bekommen die Schüler der 7b noch einen weiteren Denkanstoß. Im Hörsaal schauen sie sich gemeinsam einen Film an. „Vierzehneinhalb Kollisionen“ heißt die Dokumentation, die die Rollstuhlbasketballer der BG Baskets ein Jahr begleitet. Der Film erzählt die Geschichte von außergewöhnlichen Begegnungen, Schicksalsschlägen und Berührungen. Er verändert die Sichtweise der Zuschauer. Der Film beginnt mit den Sätzen: „Alles im Leben ist eine Frage der Perspektive. Alles. Auch das Leben selbst. Manchmal ist es eine Kollision, die das für uns sichtbar macht.“ Die Schüler haben genau das an diesem Morgen erfahren. Sie haben die Perspektive gewechselt. Auch wenn sie nur selten den Korb getroffen haben, gehen sie als Gewinner vom Platz.

Top-Team

Die BG Baskets Hamburg zählen in der 1. Rollstuhlbasketball-Bundesliga zu den besten Mannschaften Deutschlands und gehören darüber hinaus zu den besten zehn Teams in Europa. Sie bestreiten ihre Heimspiele in der 3500-Zuschauer-fassenden Basketball-Arena im Wilhelmsburger Inselpark.

Durch einen hauchdünnen 68:66-Erfolg im dritten und entscheidenden Viertelfinal-Duell gegen die RBB München Iguanas qualifizierten sich die Hanseaten am Wochenende für das Viertelfinale und treffen nun im Play-off-Halbfinale am 6./7. April auf den RSV Lahn-Dill.

Eintrittskarten für die Heimspiele der BG Baskets Hamburg gibt es direkt an der Tageskasse. Der Ticketpreis pro Spiel beträgt fünf Euro (Erwachsene) bzw. drei Euro (ermäßigt).

Der Sport

Rollstuhlbasketball ist der am weitesten verbreitete Sport weltweit. Schätzungen zufolge gibt es Rollstuhlbasketball-Ligen und -Wettbewerbe in 75 Ländern.

Der Sport entwickelte sich 1946 in den USA. Damals gab es viele professionelle US-Basketballspieler, die durch den zweiten Weltkrieg bleibende Verletzungen davontrugen. Trotz damaliger Widrigkeiten wollten sie unbedingt ihre Sportart ihren Bedürfnissen anpassen.

Die adaptierte Sportart unterscheidet sich fast gar nicht vom normalen Basketball. Es gibt insgesamt vier Spielrunden à zehn Minuten mit jeweils zwei Minuten Pause dazwischen.