Winsen. Der Schmerz über den frühen Unfalltod des Sohnes brachte die Winsener zum Turniertanzen und als Lebenspartner wieder zusammen.
Über dem Tanzparkett schwebt die Stimme von Hildegard Knef. „Es war beim Ball Paré – draußen lag schon der erste Schnee.“ Die Paare wirbeln und schweben fast an den Reihen der Zuschauer vorbei. Die Herren im Frack und mit strahlend weißer Fliege, die Damen meist in farbenfreudigem Chiffon und aufbauschendem Tüll. An einem Arm tragen sie einen Schleier. Viele Zuschauer wiegen ihre Körper im Takt und summen mit, wenn die Knef weitersingt: „Doch was sie später fand, das war das Glück aus erster Hand.“
Der Wiener Walzer ist der berauschendste, der eleganteste der fünf klassischen Standardtänze, zu denen weiter der Langsame Walzer, Tango, Slow-Fox und Quickstepp gehören. Wir sind nicht beim Ball Paré. Wir sind beim Tanzturnier um den Winsener Schlosspokal. Es wird bereits zum 18. Mal vom 1. TC Winsen im TSV Winsen ausgerichtet.
Für die neun Turniere an zwei Tagen sind sportliche Freizeittänzer aus Hannover, Berlin, Oberhausen und Recklinghausen, aus Kiel und Braunschweig und natürlich aus Hamburg und Umgebung in die Mehrzweckhalle auf dem Jahnplatz gepilgert. Getanzt wurde in allen Altersklassen der Senioren. Das Leistungsspektrum reichte von den Anfängern, also der D-Klasse, aufsteigend über C-, B-, A- bis zur höchsten Leistungsklasse, der S-Klasse. Diese Sonderklasse ist so etwas wie die Bundesliga des Amateurtanzsports.
Jetzt bei der S-Klasse der Senioren III (ein Partner muss mindestens 50 Jahre, der andere 55 Jahre alt sein) sind 19 Paare am Start. Wer sich in dieser Elite behaupten will, muss mindestens drei Mal, vor wichtigen Wettkämpfen bis zu fünf Mal pro Woche trainieren. Privatunterricht ist auch erforderlich. Um im Leistungssport Tanzen ganz nach oben zu kommen, dauert es Jahre. Es verlangt Ausdauer und Ehrgeiz und Leidenschaft für Walzer und Tango und Quick.
Die Ehre der Gastgeber vertreten bei diesem Turnier der Sonderklasse Katrin und Thomas Bressau. Die beiden haben, was den Aufstieg im Turniersport betrifft, ein unglaubliches Tempo vorgelegt. In nur sechs Jahren vom ersten Anfängerturnier steil hoch in die Eliteklasse. Diese spät entdeckte Lebensfreude des Ehepaares für den Tanzsport ist eine ganz besondere Geschichte. „Für uns ist Tanzen eine Therapie“, sagt Thomas Bressau und atmet nach dem Wiener Walzer erst einmal kräftig durch.
„Eine sehr erfolgreiche“, fügt seine Frau hinzu. Wobei der Ausgangspunkt ein großes Unglück war. Als das Schicksal ihnen vor 19 Jahren die Lebensfreude nahm, war das Ehepaar bereits geschieden. „Wir hatten zwei Söhne“, erzählt Thomas Bressau, „der 19-jährige verlor bei einem Arbeitsunfall sein Leben.“ Der Schmerz über den Verlust hat die beiden einander wieder nahegebracht. Drei Jahre später gaben sie sich erneut das Ja-Wort.
„Aber es dauerte weitere sechs Jahre, ehe wir etwas fanden, was neue Freude in unser Leben brachte“, sagt Katrin Bressau, die für ihr Turnierkleid ein strahlendes Grün ausgewählt hat. Zehn Jahre ist es nun her, da meldeten sich die Bressaus in der Tanzgruppe von Dieter und Gisela Kühl in Winsen an. Gisela Kühl, die vor etwa anderthalb Jahren ihren Mann verlor, ist als Sportwartin des Tanz-Clubs auch die Hauptorganisatorin des Schlosspokal-Turniers.
Die 71-Jährige, die auch Tanzkreise in Geesthacht und Luhdorf leitet, hat in ihrer Winsener Gruppe auch zwei Paare, die bereits jenseits der 80 sind. Katrin und Thomas Bressau unterstützen Gisela Kühl inzwischen dabei. Bei ihrem von Clubmitgliedern bejubelten Auftritt erreichten die beiden die Zwischenrunde und belegten in der Endabrechnung den elften Platz.
Susanne Schade und Thomas Resch vom Tanz-Turnier-Club (TTC) Harburg im Harburger TB zählen seit vielen Jahren zum Establishment in der S-Klasse der Senioren. Sie trainieren drei und auch vier Mal in der Woche und sind in ganz Deutschland zu Turnieren unterwegs. Ein Paar sind sie aber nur auf dem Parkett. „Beim Tanzsport lernt man sich selbst sehr genau kennen, in all seinen Facetten“, erläutert Thomas Resch, der selbstständige Fotograf. „Mit der Partnerin im Arm lernt man auch, sehr genau hinzuhören und auch, sich mal zurück zu nehmen und zu disziplinieren. Und bis ein Walzer oder ein Slow-Fox so leicht und voller Lebensfreude die Zuschauer begeistert, muss viel Schweiß fließen.“
Susanne Schade und Thomas Resch schafften den Einzug in die Finalrunde und landeten schließlich auf Platz sechs. Sieger wurden Christine und Jürgen Flimm vom SSV Neuhaus aus der Nähe von Wolfsburg. Das S-Klassenturnier der Senioren IV (ab 60 Jahre) gewannen Cornelia und Uwe Maskow (Delmenhorst) und das der Senioren II (ab 40 Jahre) Anja und Marko Heller für den VfL Geesthacht.
Glückwünsche für den Sieg gab es auch für ein Winsener Paar. Bärbel und Kai Homfeldt gewannen das D-Turnier der Senioren II. „Das Schönste am Ende“, so Turnierchefin Gisela Kühl, „wir haben viel Lob und Anerkennung bekommen. Von den meisten hörten wir: Auf Wiedersehen im kommenden Jahr.“