Jesteburg . Was treibt Menschen – auch ältere – an, die ihren Körper in Grenzbereiche treiben? Reiner Wieneke aus Buchholz kann es erklären.
Es lebe der Sport! Wahrscheinlich ist das eine der wirkungsvollsten Glücksbotschaften unserer Zeit. Die in Büros eingepferchten Körper drängen raus, an die frische Luft, zum Laufen in die Wälder, zum Strampeln auf Rädern, zum Schwimmen und zu Ballspielen. Der Freizeitsport für Fitness und Gesundheit boomt wie nie zuvor, selbst in seinen Extremen.
Das zeigen die Teilnehmerzahlen beim Hamburg Marathon oder bei den Cyclassics. Und beides zusammen plus Schwimmen beim Triathlon, der dreifachen Strapaze. Und auch die Großwettkämpfe werden immer beliebter, nicht nur in den Kurz- und Mitteldistanzen, sondern vor allem auch in ihrem extremsten Ausmaß. Das sind die 3,8 Kilometer im Wasser, die 180 Kilometer auf dem Rad und ein Lauf über 42,195 Meter, dem klassischen Marathon also, zum Abschluss.
Die meisten Menschen mögen allein bei der Aufzählung dieser Herausforderungen die Luft anhalten und sich ungläubig fragen: „Warum tut einer sich so etwas freiwillig an?“
Die Antwort auf diese Frage können am besten Wiederholungstäter wie Reiner Wieneke geben. Der pensionierte Sportlehrer aus Buchholz ist vielfacher Hamburger Meister über die Kurz- und Mitteldistanzen und Mitglied der deutschen Altersklassen-Nationalmannschaft. Und nach 36 aktiven und erfolgreichen Jahren als Triathlet erfüllte sich der 67 Jahre alte Pensionär im vergangenen Jahr seinen lange aufgeschobenen Traum. Reiner Wieneke startete beim „Ostseeman Glücksburg“ das erste Mal bei einem Triathlon über die quälendste Distanz.
Allerdings nicht allein. Im Staffelwettbewerb kämpfte er gemeinsam mit Jochen Menzel, dem Mitgründer der Triathlon-Sparte des VfL Jesteburg und mit dessen Vereinskollegen Rainer Brase. Als erfahrener Langstreckenschwimmer hatte Rainer Brase, der Geschäftsführer einer Klinik in Hannover, die schmerzhaften Rangeleien nach dem Start in der Ostsee überstanden. Jochen Menzel, der pensionierte Kinderarzt, lief zum Abschluss den Marathon.
Und Reiner Wieneke auf seinem Aluminium-Rad war sozusagen das Bindeglied zwischen den beiden. Das Abendblatt hatte vom Wettkampf der Senioren mit insgesamt 200 Jahren Lebenserfahrung berichtet. In den sechs Stunden und zwölf Minuten, in denen der Wettkampfjunkie aus Buchholz die 180 Kilometer schaffte, waren flutartige Regenschauer niedergeprasselt. Reiner Wieneke aufstöhnend im Ziel: „Es war die Hölle!“
Gut vier Stunden später, als sich Schlussmann Jochen Menzel nach 42 Kilometer über die letzten Meter quälte, hatten sich alle drei an den Händen gefasst und waren unter dem Jubel der Zuschauer ins Ziel gestolpert. Aber noch heute, wenn Reiner Wieneke an den Augenblick zurückdenkt, wird er geradezu andächtig leise: „Aber nach all den Jahrzehnten Wettkampfsport mit schönen Erfolgen – nie zuvor hatte ich solche Glücksgefühle wie in Glücksburg“.
Ein Sehnen nach Emotionen und großen Glücksgefühlen?
Und das macht süchtig. Man kann, man muss das so klar formulieren. Und der ehrgeizige Senior, dessen wöchentliches Trainingspensum sich auf 12 Kilometer Schwimmen, etwa 50 Kilometer Laufen und mindestens bis 400 Kilometer auf dem Rad summiert, wurde unruhig, als sich seine beiden Partner aus der Staffel verabschiedeten. „Über Wochen habe ich nach neuen Mitstreitern gesucht“, erzählt der beim Harburger Turnerbund als „Sportler des Jahres“ geehrte. „Mein Schwiegersohn, Ingenieur bei Stromnetz Hamburg, hat seinen Arbeitskollegen Sönke Stüfen für unsere Staffel begeistern können. Der wird die 3,8 Kilometer in der Ostsee schwimmen und Max, sein 21 Jahre alter Sohn trainiert genauso ehrgeizig für den abschließenden Marathon“.
Vater Sönke Stüfen selbst hat die schönsten Erinnerungen an den Ostseeman in Glücksburg. Vor zehn Jahren schaffte der inzwischen 53-Jährige diese Herausforderung allein, übrigens in tollen zehn Stunden und 56 Minuten. Und Ehefrau Maike Stüfen tänzelt jetzt lachend durch die Wohnstube und erzählt. „So ist er damals durchs Haus geschwebt, drei Wochen lang vor Glück auf Wolke sieben. Und seine Medaille hat er mit ins Bett genommen“.
Das also ist die Antwort auf die Frage, warum immer mehr Frauen und Männer freiwillig ein oft brutal hartes Training auf sich nehmen: Sie sehnen sich nach solch überschäumenden Emotionen und Glücksgefühlen.
Übrigens, wie schon im vergangenen Jahr, treten Reiner Wieneke und seine neuen Mitstreiter in T-Shirts mit der Botschaft auf: „Alles geben – nichts nehmen“. Das ist eine Aktion der Nada, der Anti-Doping-Agentur des deutschen Sports. Denn Doping ist längst nicht nur ein Betrug im Hochleistungssport. Unter ehrgeizigen Freizeitsportlern ist das Problem inzwischen ebenso groß.