Harburg. Wird Gewalt im Amateurfußball zum Problem? Das Abendblatt begleitete Schiedsrichter Marco Weber zu einem Bezirksligaspiel.
Der Arbeitstag für Schiedsrichter Marco Weber beginnt sofort mit einem Problem. Eigentlich sollte der 33-Jährige von Grün-Weiss Harburg um 14 Uhr das Fußballspiel zwischen Zonguldakspor und Rot-Weiss Wilhelmsburg in der Bezirksliga Süd anpfeifen. Da das vorher angesetzte Spiel aber verspätet begann, muss auch Weber den Anpfiff verschieben. „So etwas nervt einfach, kommt aber immer wieder vor“, so der Schiedsrichter. Auch die Assistenten Marvin Graw (23, Grün-Weiss Harburg) und André Brunne (20, FTSV Altenwerder) sind genervt.
„Eigentlich wird es immer unattraktiver, Schiedsrichter zu sein“, sagt Graw. Bei der Begehung des Hartplatzes am Lichtenauerweg in Harburg muss Marco Weber die nächsten Mängel feststellen. Kaputte Tornetze werden provisorisch mit Kabelbindern und Spanngurten geflickt, die gekreideten Seitenlinien sind nur zu erahnen. „Eigentlich müsste man die Linien neu kreiden. Der Platz ist eine Katastrophe“, erklärt Marco Weber.
Doch dafür bleibt keine Zeit, in einer halben Stunde ist Anpfiff. In der winzigen Schiedsrichterkabine spricht sich das Gespann ein letztes Mal ab, dann geht es raus. „Heute kann es hitzig werden. Es ist ein Fakt, dass Mannschaften mit Migrationshintergrund temperamentvoller sind“, weiß Weber, der beruflich als Erzieher arbeitet.
Die erste Halbzeit verläuft entgegen aller Erwartungen weitestgehend unspektakulär, nach 20 Minuten bringt Kushtrim Ferizi die Wilhelmsburger mit 1:0 in Führung. Kurz vor der Halbzeit pfeift Marco Weber ein klares Foul gegen Wilhelmsburg, die Gäste reagieren mit wütenden Beschwerden. Danach bleibt es aber ruhig, in der Pause äußert sich Weber erleichtert. „Ich hoffe, dass das Spiel auch in der zweiten Halbzeit so ruhig verläuft“, sagt der 33-Jährige. Die Hoffnung wird nicht erfüllt.
Wenige Minuten sind gespielt, da geraten Harun Deliaci (Zonguldakspor) und Baris Kilic (RW Wilhelmsburg) das erste Mal aneinander. Vorausgegangen war eine verbale Auseinandersetzung, Deliaci und Kilic liefern sich ein Wortgefecht in ihrer Muttersprache und schubsten sich gegenseitig. Mitspieler und der Anhang am Spielfeldrand befeuern den Konflikt. Weber zitiert beide zu sich, zeigt jeweils eine gelbe Karte. „Da musste ich konsequent sein und ein Zeichen setzen“, erklärt der Schiedsrichter nach dem Spiel.
Zehn Minuten vor Schluss gelingt Harun Ören der 1:1-Ausgleichstreffer für die Gastgeber aus Harburg, bei den Wilhelmsburgern macht sich Frust breit. Nach einem vergleichsweise harmlosen Foul gehen Torschütze Kushtrim Ferizi (Wilhelmsburg) und Furkan Suyer (Zonguldakspor) aufeinander los. Nur mithilfe herbeieilender Teamkollegen können die Streithähne getrennt werden, Weber zeigt wieder hüben wie drüben die gelbe Karte. Auf eine ausgiebige Nachspielzeit verzichtet der Unparteiische. Letztlich ist er froh, dass er keine rote Karte zeigen musste.
Dass es nicht immer so glimpflich zu Ende geht, weiß Marco Weber aus der Saison 2016/2017. Damals empfing Zonguldakspor den Harburger Turnerbund. Kurz vor dem Anpfiff der zweiten Halbzeit biss sich ein Rottweiler in der zwei Jahre alten Nichte von Zonguldakspors Hakan Suyer fest und schleuderte das Mädchen durch die Luft. Aus Angst um seine Nichte ging Suyer mit Tritten auf den Hund los, der einer Familie des Gastvereins gehörte. Die Situation eskalierte, Spieler beider Mannschaften attackierten sich. Die folgende Massenschlägerei mit 45 Beteiligten musste von mehreren Streifenwagen aufgelöst werden. „Es war klar, dass ich das Spiel abbrechen musste“, erinnert sich Weber.
Einen Gedanken daran, seine Schiedsrichterpfeife für immer in der Tasche verschwinden zu lassen, habe er allerdings nie verschwendet. „Mich ärgern solche Situationen eher. Ich bin auch schon bespuckt wurden, wurde angegriffen oder geschubst. Beleidigungen und Drohungen sind schon normal geworden“, sagt der 33-Jährige, der sich im Hamburger Fußball-Verband (HFV) ehrenamtlich als Inklusionskoordinator und für den Behindertenfußball engagiert. Allen Angriffen zum Trotz habe er nie den Spaß verloren.
„Ich mache das jetzt seit über sieben Jahren. Es macht mir einfach Spaß, mit 22 verschiedenen Charakteren auf dem Platz zu stehen“, erklärt er. Grundsätzlich sehe er die Entwicklung jedoch sehr kritisch. „Der Respekt vor den Schiedsrichtern wird immer weniger und ist teilweise gar nicht mehr vorhanden. Hamburg hat nach Berlin die größten Probleme in ganz Deutschland.“
Für weitere Negativschlagzeilen sorgte im März 2017 Rot-Weiss Wilhelmsburg. Nach einer strittigen Abseitsentscheidung attackierten die Wilhelmsburger Muhamed B. und Volkan C. den Schiedsrichter Aziz Inan mit Tritten und Schlägen. Selbst als der bereits am Boden lag, ließen die Spieler nicht von ihm ab. Vor Gericht gab das Opfer an, „am Boden gelegen und Blut gespuckt“ zu haben. Die Polizei rückte mit 16 Streifenwagen an und schlichtete.
„Natürlich wusste ich vor dem heutigen Spiel, dass beide Mannschaften eine Vergangenheit haben. Es ist aber wichtig, sich da keine Gedanken zu machen. Oft freue ich mich auf hitzige Partien auch mehr als auf eher langweilige Spiele“, erklärt der 33-Jährige.
Marco Weber will weitermachen. Eine Leistungsklasse soll es für ihn noch nach oben gehen, hat er sich als Ziel gesetzt. Ein Leben ohne Schiedsrichterei – für Weber undenkbar.