Buchholz. Dritter Platz bei der deutschen Meisterschaft – 5000 Zuschauer und viele Kommentatoren sehen Blau-Weiss allerdings weiter vorn.

Sie sind jung. Sie brennen vor Ehrgeiz. Und sie haben den Mut, ganz neue Wege auf dem Parkett zu gehen. Aber der Weg zur Weltmeisterschaft ins chinesische Shenzhen ist für die Lateinformation von Blau-Weiss Buchholz doch noch zu weit. Diese Einsicht musste die Bundesliga-Formation von den deutschen Meisterschaften in Braunschweig mit auf die Heimreise nehmen. Dabei hatten sich Cheftrainerin Franziska Becker und ihr Team öffentlich dazu bekannt: „Wir starten den Angriff auf die Vizemeisterschaft, wir fordern das TSZ Velbert heraus.“

Nun muss man daran erinnern, dass besonders im Formationstanz in Deutschland die sportliche Regentschaft fast über Jahrzehnte wie zementiert ist. Da ist zuerst und weit vor allen anderen der amtierende Europameister und Vizeweltmeister Grün-Gold-Club Bremen. Der war unter der Regentschaft von Startrainer Roberto Albanese bereits elf Mal hintereinander deutscher Meister. Auf den zweiten Platz ist ebenfalls seit Jahren das Tanz-Sport-Zentrum (TSZ) Velbert abonniert.

Deutscher Meister wird zum zwölften Mal in Serie der Grün-Gold-Club Bremen

Als in Braunschweig fast um Mitternacht nach einer Vor- und Zwischenrunde die besten Vier zum spektakulären Finale antraten, gehörte auch die junge Formation der TSG Bremerhaven wieder dazu. Der Verein ist mit 14 Weltmeistertiteln noch immer der erfolgreichste Tanzklub der Welt. Im Kreise dieses nationalen Tanzadels aber sind die Buchholzer noch immer Emporkömmlinge, wenn auch längst anerkannt und geachtet. Und angriffsfreudig sind sie auch.

Aber die angestrebte Sensation ist ihnen vor 5000 Zuschauern in der Volkswagen-Arena nicht geglückt. Die Reihenfolge stellte sich letztlich wie im vergangenen Jahr dar: Deutscher Meister zum zwölften Mal in Folge mit 34,250 Wertungspunkte (von 40 möglichen) Grün-Gold-Club Bremen, Vizemeister Velbert (33,458), Blau-Weiß Buchholz (30,417) mit der Bronzemedaille und die TSG Bremerhaven (29,666) auf Rang vier. So lautete die klare und zum Teil krasse Entscheidung der zwölf Wertungsrichter.

Selbst der Deutsche Tanzsportverband musste in einer Pressemitteilung offiziell bekennen: „In der Halle war die Stimmung allerdings differenzierter“. Und er gestand auch ein: „Knappere Punktabstände würden wahrscheinlich die Kräfteverhältnisse zwischen den vier Formationen besser abbilden.“ Ein Lob für die Wertungsrichter würde anders klingen.

Knappere Punktabstände würden die Kräfteverhältnisse besser abbilden

Es waren die 5000 tanzsportbegeisterten Besucher, die mit ihrem Applaus und ihrem jubelnden Urteil versucht hatten, die festgefahrene Ordnung im deutschen Formationstanz endlich aufzufrischen. Deshalb aber trat bei der Liveübertragung im NDR-Fernsehen Bremens Trainerlegende Roberto Albanese bei Moderatorin Sandra Maahn als Sieger ans Mikrophon und wütete doch: „Da hat man sich den Arsch aufgerissen und dann muss man sich Pfiffe und Buhrufe anhören.“

An den freundlich braven Moderatoren und Kommentatoren des NDR hat das gewiss nicht gelegen. Als Erster an diesem späten Abend war der Titelverteidiger mit seiner neuen Choreographie aufs Parkett gegangen. Dass Tanzsportexperte Carsten Flügel Grün-Gold mit „die Bremer sind das Maß aller Dinge in der Lateinformation“ dem Fernsehpublikum vorstellte, war in Ordnung, eher befremdlich aber seine frühzeitige Schlussbilanz. „Damit ist schon klar, zu welcher Tür am Ende die Blumen gebracht werden müssen – wieder zur grünen der Bremer“, sagte er, obwohl drei andere Formationen ihren Finaldurchgang noch vor sich hatten.

Standing Ovations nach dem Buchholzer Finaldurchgang

Als Zweites folgte der Auftritt von Velbert, die Damen neuerdings in grellem Pink, die Formation aber erneut mit dem Thema „One World“. Damit hatten sie im vergangenen Jahr für eine Überraschung gesorgt und den Kommentator diesmal noch mehr überzeugt. „Richtig, richtig stark mit höchsten Schwierigkeiten“, teilte Carsten Flügel die Begeisterung der Zuschauer in der ausverkauften Halle. Wertungspunkte werden in vier Kategorien vergeben. In allen blieben die Enttäuschten aus Velbert auch diesmal hinter Bremen.

Als Dritte war dann Blau-Weiss Buchholz an der Reihe, die Damen in einem leuchtend fröhlichen Rot. Das neue Outfit war geheim gehalten worden. „Das erklärte Ziel der Buchholzer ist der Angriff auf Platz zwei“, ließ NDR-Mann Flügel die Fernsehzuschauer wissen. Und fügte hinzu: „Sie treten mit einer neuen ungemein anspruchsvollen Choreographie an, die keine Fehler vergibt.“ Und dann: „Die Sambarolle links und rechts, alles gelungen. Alles in hohem Tempo, alles läuft super. Buchholz bringt seine neue Choreographie fantastisch aufs Parkett.“

NDR-Kommentator Carsten Flügel verschlägt es beid er Wertung die Sprache

Am Schluss der sechs Minuten: „Der Angriff auf Velbert war das erklärte Ziel. Der ist geglückt. Für die Buchholzer gibt es sogar Standing Ovations. Nach allem, was wir gesehen haben, ist diesmal der zweite Platz möglich“. Dann die erste Wertung für die technische Ausführung: 6,83 Punkte. Das verschlug es selbst dem Kommentator die Sprache, so niedrig war das. Am Ende landete Buchholz mit mehr als drei Punkten Rückstand auf Velbert erneut auf dem dritten Platz.

Franziska Becker und ihrem Team war bewusst, das sie mit „Rhythm – lives in you“ etwas ganz Neues wagten. Die Wertungsrichter haben sie dafür abgewatscht. „Die Mannschaft hat in Braunschweig unfassbar gut getanzt, wenn auch noch nicht ganz fehlerfrei“, hielt die mutige Cheftrainerin dagegen. „Mit der Punktewertung kann und darf ich jedoch nicht zufrieden sein. Sie spiegelt unsere Leistung einfach nicht wider“. Und das hat selbst der Deutsche Tanzsportverband einräumen müssen.