Stove. Prächtige Bedingungen bescheren dem Stover Rennverein 9000 Besucher. Manfred Walter gewinnt den großen Preis von Stove.
Das 144. Stover Rennen. Bei all meinen vielen Besuchen gibt es immer wieder diesen ersten Augenblick, wenn der Blick oben von der Deichkrone über das gesamte Gelände schweift. Auf mitgebrachten Hockern und Stühlen sitzen die Menschen, hocken in Grüppchen auf Decken. Familien, Nachbarn, Arbeitskollegen. Der Elbdeich in Stove – die wohl längste und gemütlichste Tribüne im Trabrennsport.
Unten, der erste Rundgang im Oval der Rennbahn. An einem Tisch im Zelt steckt eine Gruppe von Schülern aus Lüneburg die Köpfe über den Wettzetteln zusammen. Im Spielparadies der Kinder drischt ein kleiner Junge lachend und kreischend mit einer Art Schaumstoff-Knüppel auf den Opa ein. Ein älteres Ehepaar hat unter einem Baum einen kleinen Schreibtisch aufgestellt. Mit Taschenrechner, Programm und Zetteln arbeitet er die nächste Dreierwette aus. „Noch drei Minuten bis zum Start“, ertönt aus den Lautsprechern in den Baumkronen die Stimme des Bahnsprechers. Die letzten Zocker eilen zu den Totoschaltern.
Dann verstummt alles in der überquellenden Freiluft-Arena am und hinter dem Deich. „Im Stallbogen noch Cash de Luxe vor Schwarze Perle“. Die Stimme wird hektisch, schreiender. „Aber jetzt greift Lee Ann Meyer mit Schwarze Perle an. Schwarze Perle! Schwarze Perle! Schon zehn bis 20 Längen Vorsprung. Was für ein Triumph auf der Zielgeraden.“ Es ist der Sieg in Rennen 6, dem für Galopper. Das ist der Rhythmus, das ist die Stimmung, die alle Jahre wieder bis zu 10.000 Menschen nach Stove lockt. Sie bringen gute Laune mit, selbst dann noch, wenn sie wieder ihre Wettscheine zerreißen müssen.
Genau das ist das Einmalige und Besondere an diesem Volksfest mit Pferderennen hinterm Deich und Mitten im Grünen – man sieht fast nur Gute-Laune-Gesichter.
Und das seit 144 Jahren. „Beim ersten Rennen 1874 ging es um die Prüfung der Remonten, der dreijährigen berittenen Pferde, die bei uns fürs Militär gezüchtet wurden“, erzählt Herbert Vick, Pferdezüchter aus Tespe, und als Ehrenvorsitzender des Stover Rennvereins über Generationen familiär mit dem Geschehen verbunden. „Damals wurden auch erste Rennen mit Milchkarren, sozusagen den Vorläufern der Sulkys, ausgetragen. Ende des 19. Jahrhunderts dann eine Sensation – das erste Rennen mit Rädern. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hier schon 10.000 Räder gezählt, mit denen die Leute von weit her angeradelt kamen.“
Auch damals schon, das zeigen vergilbte Fotografien, zog man sich festlich an, wenn man zum Stover Rennen ging. Die Männer mit weißem Stehkragen, die Frauen gerne mit Hütchen. „Zum Pferdesport trägt man doch Hut, das ist Tradition.“ Und dieser Tradition hält Susi Habben, Dauergast aus Cuxhaven, die Treue. „Ich habe fünf davon. Diesen sommerlichen Strohhut habe ich auf einem Kunstmarkt gekauft. Nur leider trauen sich hier in Stove immer seltener Frauen, einen passenden Hut zu tragen. Beim Duhner Wattrennen ist das anders. Da brezeln sich die Leute noch gerne auf.“
Dafür bekommen die Damen mit Mut und Hut in Stove mehr bewundernde Blicke und Komplimente. „Ich habe viele Hüte“, bekennt Kerstin Bittmann munter. „Um den für heute auszusuchen, habe ich eine Sekunde gebraucht.“ Ihr Mann lächelt zustimmend und ihre Freundin Daniela sagt spontan: „Im nächsten Jahr komm ich auch mit Hut.“
Für die Hamburgerin Natalie Wilken, die den Charme des Stover Rennens vor fünf Jahren entdeckte, bleibt es dabei: „Ohne Hut geht man doch nicht zum Pferderennen“.“ Sie putzt ihren Strohhut jedes Jahr aufs Neue heraus, diesmal mit Maiglöckchen und Gerbera und großen Schmetterlingen. „Im vergangenen Jahr hatte ich einen richtigen Blumentopf auf dem Kopf“, lacht sie, „aber der war doch zu schwer.“
„Manfred Walter mit Timberlay mit dem besten Antritt“, überschallt die Stimme vom Richterturm die Gespräche. „Im Stallbogen wird er angegriffen. Aber Manfred Walter zeigt sich unbeeindruckt. Timberlay marschiert. Sein Vorsprung wächst. Sie dürfen schon applaudieren!“ Und der Fahrer im Sulky hat Zeit, den Jubelnden an der Bahn zuzuwinken. Es ist das achte Rennen, und der Mann, den sie als den Grasbahn-König von Stove feiern, lenkt zu seinem zweiten Tagessieg.
Wie viele es insgesamt für einen der immer seltener werdenden Vollprofis im dahinsiechenden deutschen Trabrennsport waren? „Oh, das bekomme ich nicht mehr zusammen“, sagt Manfred Walter, der wie kein anderer beliebt ist in Stove. „Mein Vater ist hier schon gefahren und ich bin seit den 80er-Jahren dabei. Für mich war diese tolle Kultveranstaltung schon etwas Besonderes, als manche Kollegen sie noch als Dorfrennen abtaten. Heute sind diese ländlichen Veranstaltungen überlebenswichtig für unseren Sport. Vor allem die Zuschauer hier, ganz eng dabei. Wo sonst in Deutschland wird man noch von 10.000 bejubelt und gefeiert.“
Natürlich haben die Walters, auch die Mutter war als Amateurfahrerin sehr erfolgreich, Tochter Ronja schon als kleines Mädchen mit nach Stove gebracht. Inzwischen ist die 23-Jährige Deutschlands Championesse im Trabreiten und noch stärker in Frankreich erfolgreich und populär. Diesmal allerdings, mit Chaplin im elften Rennen, wurde sie disqualifiziert. Es siegte Sytske De Vries mit dem großen Favoriten El Raul.
Die etwa 9000 Besucher, die für diesen sonnigen Sonntag im August offiziell gemeldet wurden, lassen die Verantwortlichen des Stover Rennvereins von 1874 wieder ruhiger schlafen. „Noch ein Regenrennen hätten wir finanziell wohl nicht überstanden“, sagt Carsten Fechner, als Geschäftsführer genauso ehrenamtlich im Einsatz wie fast alle anderen. „Dabei wird alles schwieriger“, sagt Fechner, „wir müssen tausende Euro für zusätzliche Maßnahmen und Bauanträge ausgeben. Kommen noch mehr Schwierigkeiten von Behörden auf uns zu, dann bin ich nicht sicher, dass es das 150. Stover Rennen geben wird.“
Den großen Preis von Stove gewann, wie sollte es anders sein, Manfred Walter mit Valentien W. vor Ronald de Beer mit Donovan Norg und Bernd Schröl mit Umbred. Der Wettumsatz betrug 150.000 Euro, davon allein 110.000 Euro in Stove. Der Rest entfällt auf Online-Zocker in ganz Europa.