Harburg. Nach Jahrzehnten Pause bot der Harburger Reitverein wieder eine Prüfung an. Die gute Resonanz motiviert zu mehr.
Es ist ein Foto aus längst vergangenen Tagen, das am stärksten Tradition und Neubeginn der Vielseitigkeit beim Harburger Reitverein symbolisiert. Ein kraftvolles Pferd. Aus dem Sattel heraus, weit nach vorn gebeugt, ein junger Reiter. Sie fliegen über ein Hindernis. Das besteht, so scheint es, aus Teilen eines alten Heuwagens.
„Das Hindernis stand damals hier, wo wir jetzt sitzen“, sagt Manfred Giensch, der junge Reiter von damals, inzwischen mit schlohweißem Haar. „Damals gab es die heutige Reitanlage mit Ställen, Halle, Klubhaus und dem Turnierplatz noch nicht. Das waren alles Wiesen und Felder“, fährt Dr. Giensch fort, der als Mannschaftsarzt der Deutschen Reiterlichen Vereinigung für die Gesundheit des rund 250 Mitglieder starken Teams bei den kommenden Weltreiterspielen in den USA verantwortlich ist. „Oben in Marmstorf, wo jetzt die Autobahn-Auffahrt ist, stand die Rennbahn, die damals zur Vielseitigkeit gehörte, die sich noch Military nannte“, erzählt er weiter.
Vereinsvorsitzender Michael Gravanis sitzt selbst im Sattel
Lautes Johlen und Applaus lassen ihn inne halten. Die Mitglieder feuern ihren Vorsitzenden an. Michael Gravanis, weit aus dem Sattel gebeugt, verschärft auf der Geraden das Tempo, nimmt sein Pferd zurück. Die Zuschauer jubeln bei jedem Sprung. Jetzt galoppiert er an den Tischen vorbei, zieht vor dem nächsten Hindernis die Zügel an. Und Manfred Giensch, sozusagen einer der Vorreiter vor mehr als 50 Jahren, stockt kurz der Atem. Das Pferd von Michael Gravanis hebt den Kopf, scheint vor der Hürde zu erschrecken. Der Vereinsboss legt sich im Sattel zurück, zerrt an den Zügeln, beide kommen drüber.
„Nochmal gut gegangen“, sagt der Senior und lächelt. „Aber bei der Abteilung der Erwachsenen habe ich mehr Ängste als vorher bei den Jugendlichen“, fährt er fort. „Aber was ich vorher sagen wollte: In den 60er- bis in die 80er-Jahre war der Harburger Reitverein ein Mittelpunkt auch des Vielseitigkeitssports.“
Um an diese große Tradition anzuknüpfen, wagten Manfred Giensch und Michael Gravanis mit ihrem bewährten Organisationsteam einen Neuanfang. Vernünftig und bescheiden auf der unteren Turnierebene. Schwerpunkt der eintägigen Veranstaltung war eine Vielseitigkeitsprüfung der Klasse E. Sie wurde nach Alter in zwei Abteilungen geteilt. Bei den Jahrgängen 1996 bis 2007, also dem Nachwuchs, starteten auch Mädchen und Jungen, die schon erste Erfolge in der Königsdisziplin des Reitsports vorweisen können.
Aus Bremen war Familie Quast angereist, mit drei Brüdern und ihrer Schwester Lena Maria. Die Fünfjährige trat im Führzügel-Wettbewerb an, die Zwillinge Felix und Philipp im Geländereiter-Wettbewerb und Friedrich, der Elfjährige, im vollen Programm aus Dressur, Springen und Geländeritt. „Ich gehöre zum Landeskader“, erzählt der Blondschopf, „deshalb fährt mich meine Mutter zu den Lehrgängen von Herrn Erhorn, unserem Landestrainer.“
Claus Erhorn, der Olympiasieger von 1988 und Ausbildungsleiter in Luhmühlen, hat ebenfalls besondere Verbindungen zum Harburger Reitverein. „Unsere Eva war seine Dressurtrainerin“, sagt Manfred Giensch und nimmt Eva Römer in den Arm, die auch heute noch Aktive und ihre Pferden mit den Dressuraufgaben vertraut macht.
Zum Nachwuchskader von Claus Erhorn gehört auch Nike Meier. Sie ist praktisch zu Hause im Leistungszentrum in Luhmühlen. Vater Michael Meier war selbst international erfolgreich, leitet heute die AZ-Verwaltung und ist Trainer. Tochter Nike konnte die erste E-Vielseitigkeit nach Jahrzehnten Unterbrechung beim Harburger Reitverein nicht ganz gewinnen. Beim Geländeritt wie auch beim Springen blieb sie fehlerfrei, hatte aber 31,5 Punkte aus der Dressur mitgenommen und wurde Zweite. Dank einer sehr guten Dressur (27,00 Punkte) gewann Gina Sophie Knaak (PS Granderheide) in der zweiten Abteilung. In der Vielseitigkeit der Älteren trug sich Silke Ranze (RFSP Sieversen) in die Siegerliste ein.
„Für mich und meine Lady Roman war das heute der erste Geländeritt“, sagt ein am Ende übermütiger Vereinschef Michael Gravanis. „Allein die Galoppaden, das Tempo und die Rasanz, das war eine tolle Erfahrung. Eine, die einen ehrgeizig macht für die nächsthöhere Prüfung. Am schönsten aber ist die große Resonanz, die unsere erste Vielseitigkeit gefunden hat. Das werden wir wiederholen und ausbauen“.
Schirmherr und Mitinitiator Dr. Manfred Giensch wird das am meisten freuen. Sein Pferd auf dem Foto von 1962 hieß Walussa. „Mit dem wollte ich mich für die Olympischen Spielen 1964 in Tokio qualifizieren“, erzählte er beim Blick weit zurück. „Aber als meine Eltern spürten, dass die Reiterei für mich wichtiger wurde als mein Medizin-Studium, haben sie ,Stop’ gesagt.“ Beim erfreulichen Neubeginn seines alten Vereins war auch Hannah Rust, eines seiner pferdebegeisterten Enkelkinder, am Start. Hannah und ihr Pferd Dr. Foremann wurde sehr gute Fünfte unter 21 teilnehmenden Jugendlichen.