Wir stellen „Fitmacher“ vor, Menschen, die uns in Bewegung bringen. Heute: Rolf Fischer, der beim Pétanque die Sau abschießt.
Der Rücken gebückt, der Blick konzentriert, in der Hand eine hochglänzende Stahlkugel. Rolf Fischer, ein bulliger Kerl, Jahrgang 58, schwingt den Arm zurück. Die Kugel fliegt. Dann ein metallisches Klicken. Das Geschoss treibt die am Boden liegenden Kugeln auseinander. Die herumstehenden Männer applaudieren. Volltreffer!
Mittwochnachmittag, 16 Uhr an der Wasmerstraße im Stadtteil Wilstorf. Auf einem umfunktionierten Tennisplatz der Sportanlage Wilstorfer Höh haben sich ein Dutzend Männer zum Wettkampf getroffen. Pétanque heißt ihr Spiel, besser bekannt unter dem Namen Boule. In Frankreich ein Nationalsport, in Deutschland eine Randsportart, die jedoch immer mehr Anhänger findet.
Seit drei Jahren gehört das Spiel mit den metallenen Kugeln zum Angebot der FSV Harburg-Rönneburg. Es ist das populärste unter den Kugelspielen. Entstanden in der Provence zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in Deutschland inzwischen von über 20.000 Spielern begeistern gespielt. „Ein Spiel, das süchtig macht“, sagt Rolf Fischer, der vor vier Jahren aus seinem Hobby einen Sport machte. Sein Mitspieler Günter Meiners nickt zustimmend. Er ist 57 Jahre alt, ehemaliger Rugbyspieler.
Als die Knie nicht mehr wollten, suchte er nach einer anderen sportlichen Herausforderung, die er wettkampfmäßig betreiben kann. Und landete beim Boule. Drei Mal die Woche steht er nun auf dem Platz, feilt zwei bis vier Stunden an seiner Technik, übt das Schießen oder das Legen.
„‘Je tire ou je pointe‘ – mit diesen zwei Begriffen lässt die sich die Strategie des Spiels zusammenfassen“, erklärt Rolf Fischer. „Das Ziel besteht darin, möglichst viele der eigenen Kugeln nahe am ‚Schweinchen‘, der kleinen hölzernen Zielkugel, zu platzieren.“ Meist stehen zwei Teams aus drei Personen auf dem Platz. Sechs Kugeln sind im Spiel. „Gewonnen hat, wer 13 Punkte erreicht.“
Fischer kennt die Regeln aus dem Effeff. Seine ersten Turniererfahrungen machte der Werkschutzmeister in Frankreich, der Wiege des Boule-Spiels. Ganz spontan hatte er dort mit ein paar Einheimischen eine ruhige Kugel geschoben. Und weil er gut drauf war, meldete er sich spontan zu einem Turnier in Saintes-Maries-de-la-Mer an. Gemeinsam mit einem Belgier erspielte er den sechsten von acht Plätzen.
„‘Wenn du zwei Franzosenteams stehen lässt, kannst du gar nicht so schlecht sein‘ habe ich gedacht“, erinnert er sich. „Also habe ich weitergemacht.“ Zurück in Deutschland kauft er sich einen Satz Kugeln, spielt zunächst beim TuS Nenndorf. Ende 2014 bietet er dem FSV Harburg-Rönneburg an, eine eigene Boule-Abteilung aufzubauen. Er lässt 12 Kubikmeter Baustoffkiesel und 21 Tonnen Kies anliefern. Mit Unterstützung der Sportkollegen aus Nenndorf baut er einen ehemaligen Tennisplatz zum Bouleplatz um. Im März 2015 spielen sie gemeinsam das Eröffnungsturnier.
Boule ist ein Sportfür jedermann
16 Spieler hat der Verein inzwischen gemeldet, davon haben sieben eine Lizenz. Das bedeutet, dass sie in der Liga antreten dürfen. Im kommenden Jahr wollen sie gemeinsam das erste Mal auf Hamburger Terrain richtig angreifen. Um Siege einfahren zu können, wird in dieser Saison eifrig trainiert. Ob bei Regen oder 35 Grad Hitze – drei Mal pro Woche mindestens kommen die Herren und Damen auf dem Platz zusammen.
Der Jüngste ist 44, der Älteste 80 Jahre alt. Was sie eint, ist die Lust an einem Wettkampfsport, in dem es um Konzentration geht, aber auch um körperliche Fitness. 2700 Schritte und 600 Kniebeugen macht ein Spieler im Durchschnitt pro Turnier. 150 Mal wird die kleine Metallkugel mit einem Gewicht zwischen 650 und 800 Gramm und einem Durchmesser von 70,5 bis 80 mm geworfen. Das bedeutet: 105 Kilogramm Stahl wirft jeder Durchschnittsspieler pro Turnier durch die Luft.
„Da kommt man schon mal ins Schwitzen“, sagt Rolf Juknys. Er ist 70, Mechaniker bei Airbus und seit ein paar Jahren im Ruhestand. 1973 hat er mit dem Boulespielen angefangen. Das war während seines beruflichen Aufenthalts in Toulouse. Vor zehn Jahren nahm er die Kugel nach langer Pause wieder in die Hand, spielte freizeitmäßig mit der Kulturwerkstatt-Gruppe auf dem Schwarzenbergplatz.
Weil er mehr als nur einmal wöchentlich trainieren wollte, wechselte er 2016 zum FSV Harburg-Rönneburg. Mitspieler Thorsten Bunde steht zweimal wöchentlich vier bis fünf Stunden auf dem Platz. Es sind die Präzision, die Gemeinschaft, das Spiel im Team und die Strategie, die den IT-Fachmann am Boule faszinieren. „Das ist ein wenig wie Schach“, sagt er.
„Boule ist ein Sport für jedermann“, sagt Rolf Fischer, der die Truppe an der Wilstorfer Höh zusammenhält, Trainer anheuert und Turniere organisiert. „Zu uns kommen häufig jene, die ihre früheren Sportarten, zum Beispiel Fußball oder Handball leistungsorientiert betrieben haben, aber beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können.“ Auch Fischer ist einer von denen. Handball, Kampfsport, Badminton, sogar American Football bei den Koblenz Huskies hat er gespielt. Bis in die Bundesliga Süd reichte der Erfolg. Fischer zieht den Bauch ein.
„Das ist schon ein Weilchen her“, schmunzelt er. Jetzt also Boule. Oder genauer „Pétanque“. Denn so lautet die Bezeichnung dieser Sportart. „Von Boule spricht man beim Freizeitspiel, von Pétanque beim Sport“, erklärt Fischer, „ähnlich wie den Begriffen „Federball“ und „Badminton“. Der Begriff steht für „pés tanqués“, provenzalisch für „verankerte Füße“. Dabei werden die Kugeln nicht aus dem Laufschritt geworfen, sondern aus dem Stand.
Die Regeln sind einfach. Gespielt wird entweder mit zwei Einzelspielern und jeweils drei Kugeln, als Doublette mit zwei Teams und jeweils zwei Spielern und je drei Kugeln oder als Triplette, bei dem zwei Mannschaften mit jeweils drei Spielern und je zwei Kugeln pro Spieler antreten. Der Spieler, der beginnt, wirft von einem markierten Abwurfplatz eine kleine, hölzerne Zielkugel in eine Entfernung zwischen sechs und zehn Metern.
Danach versucht der Spieler oder sein Teamplayer die erste Kugel so nahe wie möglich an der Zielkugel zu platzieren. Anschließend wechselt das Wurfrecht an die andere Mannschaft und zwar so lange, bis eine ihrer Kugeln näher an der Zielkugel liegt oder alle Kugeln der Mannschaft gespielt sind. Danach ist das andere Team wieder an der Reihe. Erlaubt ist, sowohl die eigenen, die gegnerische und die Zielkugel zu drücken oder wegzuschießen, um damit die Position der eigenen Kugeln zu verbessern.
Erst wenn alle Kugeln gespielt sind, werden die Punkte ermittelt. Die Mannschaft, die am nächsten zur Zielkugel gekommen ist, erhält einen Punkt. Hat sie sogar zwei Kugeln näher als die Gegner, bekommt sie zwei Punkte, usw. Das Spiel ist gewonnen, wenn ein Team 13 Punkte erreicht hat.
Für das kommende Jahr haben sie die Spieler vom FSV Harburg-Rönneburg ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Sie wollen erstmals in der Regionalliga mitspielen und von acht gemeldeten Mannschaften mindestens den fünften Platz erreichen. Um das zu erreichen, spielen sie in dieser Saison so viele Freundschaftsturniere wie möglich. Eines davon richten sie Anfang Oktober selber aus. „Schinkenturnier“ heißt die Veranstaltung, bei der es nicht nur um den beliebten Wanderpokal geht.
„Bei uns gibt es saftige Preise zu gewinnen“, sagt Rolf Fischer. Und meint damit die 2,5 Kilo schwere Schinkenblumen. 120 Teilnehmer waren beim letzten Mal dabei. In diesem Jahr ist die Teilnehmerzahl auf 72 begrenzt. „Jeder kann sich anmelden, ganz gleich ob Hobbyspieler oder Leistungssportler“, sagt Rolf Fischer, der auf diesem Wege auch neue, junge Spieler für diese Sportart begeistern möchte, die Lust haben, sich im Wettbewerb zu messen. Oder am Ende gar die „Sau abzuschießen“.
Denn auch das muss manchmal sein. „Wenn die Lage auf dem Platz hoffnungslos scheint, hilft am Ende manchmal nur ein gezielter Wurf auf die Sau, um das Spiel noch zu drehen“, sagt Fischer. Wer das schafft, hat gut gespielt — oder einfach nur Schwein gehabt.
Geschichte
Das Wort „Pétanque“ ist in Deutschland nicht besonders geläufig. Die meisten benutzen das Wort „Boule“ oder „Boccia“. „Boule“ ist das französische Wort, „Boccia“ die italienische Bezeichnung für „Kugel“. Es gibt mehrere Boule-Sportarten, Pétanque ist weltweit verbreitet. Rund eine Million Freizeitspieler gibt es in Deutschland.
Das erste Spiel wurde 1907 in La Ciotat ausgetragen. Bis zu jenem Jahr spielt man das Kugelspiel à la longue, also mit drei Schritten Anlauf. Ein damals beliebter Spieler dort war Jule Le Noir, der von Rheuma geplagt, keinen Anlauf machen konnte. Sein Freund Ernest Pitio hatte die Idee, aus dem Stand zu spielen, also mit geschlossenen Füßen, also „ped tanco“ auf provenzalisch. Pétanque war geboren.
Der erste Verein in Deutschland war 1963 der Boule-Club-Pétanque Bad Godesberg. Dort wurde 1977 auch die erste Deutsche Meisterschaft ausgetragen. Ebenfalls 1977 nahm ein erstes deutsches Team an der WM in Luxemburg teil.
Einfach mitspielen!
Pétanque ist ein Spiel, das von Menschen jeden Alters gespielt werden kann, auch von solchen, die körperlich oder geistig beeinträchtigt sind. Die Regeln sind sehr einfach und verständlich. Besondere Kraft ist nicht nötig, es geht nicht darum, wer am weitesten kommt. So können Alle miteinander spielen.Kugeln, Cochonnet (Schweinchen) und Gegner. Mehr braucht es nicht.
An Meisterschaften und anderen (Ranglisten-)Turnieren des Deutschen Pétanque-Verbandes (DPV) und seiner Landesverbände können nur Spieler mit einer gültigen „Lizenz“ teilnehmen. Dazu muss der Spieler Mitglied in einem Verein sein, der Mitglied in einem Landesverband des DPV ist.
In Harburg und Landkreis wird unter anderem beim SV Harburg-Rönneburg, beim HTB sowie beim TSV Buchholz und TuS Nenndorf Boule gespielt. Auch die Kulturwerkstatt Harburg organisiert regelmäßig Treffen für Freizeitspieler auf den Bouleplätzen am Schwarzenberg.
Eine Übersicht über die Bouleplätze in Deutschland gibt es im Internet unter www.bouleplaetze.de/index.php/karte. Weitere Infos zum Spiel und den Vereinen stehen unter der Adresse www.deutscher-petanque-verband.de