Altenwerder. Der Freie Turn- und Sportverein wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Die Arbeitersport-Tradition lebt im Vereinsnamen fort.
„Einst spielten wir am Wasserturm / Auf Altenwerder waren wir zu Haus / Es war ‘ne wunderschöne Welt / Die mir noch im Herzen lebt / Der Kirchturm ist ein stummer Zeuge davon / Mahnend steht er an der Autobahn / Werden nie vergessen, was mal war“, heißt es in dem Vereinslied des FTSV Altenwerder, der seit 1978 im Exil in Neuwiedenthal fortbesteht und in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert.
„Als unser ‚Putzer‘ Heiner Schwartau das Lied mit der Quetschkommode auf der Jubiläumsveranstaltung spielte, lebte die Altenwerder Nostalgie wieder auf und es lief mir eiskalt den Rücken herunter“, erzählt Torsten Müsse. Der Rechtsanwalt aus dem Stadtteil Neugraben ist seit 2007 Vorsitzender des heimatlosen Vereins, dessen beide Vorgänger 1908 und 1918 gegründet worden waren.
Vorgängervereine wurden 1908 und 1918 gegründet
In den 1960er-Jahren beschloss der Hamburger Senat, dass das Fischerdorf Altenwerder der Erweiterung des Hafen weichen müsste. Mit dem zweiten Hafenerweiterungsgesetz wurde 1982 der Abriss der Häuser endgültig beschlossen, die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt und zum Verkauf ihrer Liegenschaften gezwungen. Das Dorf stand vor dem Aus. Als Folge geriet auch der am 9. März 1946 aus der Fusion des Altenwerder Turnvereins von 1908 und des 1933 verbotenen Turn- und Sportvereins Frei Heil Altenwerder hervorgegangene FTSV Altenwerder in arge Nöte. Binnen kurzer Zeit verlor der Club die Hälfte seiner rund 600 Mitglieder.
Der ehemalige Dorfbewohner Klaus Lippmann erinnerte sich in einer NDR-Dokumentation an eine „ganz, ganz hässliche Zeit“. Die letzten Widerständler gegen die Vernichtung der Jahrhunderte alten Siedlung gaben erst 1998 auf, nachdem das Hamburger Oberverwaltungsgericht (OLG) einen vom Verwaltungsgericht zuvor verfügten Baustopp kassiert hatte. Die knorrigen Bewohner, darunter viele Fischer, Schiffsbauer und Seiler, hatten seit 1250 zahlreichen Sturmfluten getrotzt, doch gegen den Senatsbeschluss hatten sie letztendlich keine Chance. Nicht nur die Bewohner mussten sich eine neue Heimat in Wilhelmsburg, Moorburg und Finkenwerder suchen – auch der Verein musste umsiedeln.
Mit der Hafenerweiterung muss auch der Verein weichen
Dessen Geschichte hatte am 19. Februar 1908 begonnen, als zehn aktive Turner den bürgerlichen Altenwerder Turnverein im Lokal Wülfgen gründeten. Zehn Jahre später, am 14. Juni 1918, hoben Mitglieder des „Clubs Strohhut“ den Turn- und Sportverein Frei Heil Altenwerder aus der Taufe. Mit „Frei heil“ begrüßten sich die Arbeitersportler in Abgrenzung von der Anhängerschaft des völkisch-nationalen Turnvaters Ludwig Jahn, die mit „Gut heil“ salutierte. Gleichzeitig wurde das mit den Worten „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ versehene Emblem des bürgerlichen Deutschen Turnerbunds (DTB) im Arbeitersport in „Frisch, frei, stark, treu“ umgedichtet.
Der TuS Frei Heil Altenwerder schloss sich dem 1893 in Gera gegründeten Arbeiter Turnerbund (ATB) an, der 1919 in Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB) umbenannt wurde. Der Verein in Altenwerder wuchs bis 1921 auf 144 Mitglieder an und stellte im selben Jahr die erste Fußballmannschaft auf der Elbinsel auf die Beine. Zwischen den Arbeitersportlern und den Bürgerlichen gab es kaum Reibereien, was der Umstand vermuten lässt, dass die im Saal des Gastwirts Paul Todtmann gelagerte Turngeräte von den Arbeitersportlern mitgenutzt wurden.
So wurde womöglich bereits in den 1920er-Jahren der Grundstein für die Fusion beider Vereine am 9. März 1946 gelegt, als der heutige Jubilar, der Freie Turn- und Sportverein (FTSV) Altenwerder von 1918, gegründet wurde. Die Namensgebung lässt auf einen maßgeblichen Einfluss von ehemaligen Mitgliedern des 1933 von den Nationalsozialisten verbotenen Vereins TuS Frei Heil schließen.
Mittlerweile kann der Verein auf eine respektable Geschichte zurückblicken. Höhepunkte waren die 2002 und 2011 geglückten Aufstiege der Fußballer in Hamburgs zweithöchste Spielklasse, die drei beziehungsweise vier Jahre lang gehalten werden konnte. Zu den Vereinsikonen gehören Stürmer Rolf Schwartau, der in der Saison 1965/66 für den Hamburger SV in der Fußball-Bundesliga kickte, bis eine schwere Verletzung ihn bremste, und FIFA-Schiedsrichter Erich Burmeister, der dem Club auch als Funktionär des Hamburger Fußball-Verbands (HFV) wichtige Impulse gab.
Hallenschließung zieht Mitgliederschwund nach sich
Heutzutage zählt der Verein etwa 600 Mitglieder, die in sechs Abteilungen aktiv sind: Fußball, Turnen, Tischtennis, Volleyball, Bogenschießen und Skaten. Vor kurzem waren es noch 50 mehr. „Wir haben ein riesiges Problem, weil uns die Schulturnhalle seit September 2017 nicht mehr zur Verfügung steht“, nennt Vereinschef Torsten Müsse den Hauptgrund für den Aderlass. Besonders betroffen von der wegen Dach- und Fußbodenarbeiten vorerst stillgelegten und nun sogar gänzlich zur Disposition stehenden Einfeldhalle am Quellmoor sind die Volleyballerinnen und im Winter die Fußballer und Skater. Demnächst wird auch die benachbarte Dreifeldhalle wegen Sanierungsarbeiten geschlossen.
Die Tischtennis-Sparte hat auf das Hallen-Dilemma mit der Gründung einer Spielgemeinschaft mit der HNT reagiert. „Die müssen ja irgendwo unterkommen“, seufzt Müsse, „das ist alles ganz schlimm. Wenn ich kein Johanniskraut nehmen würde, dann würde ich wohl in Tränen ausbrechen.“ Derweil spielt die für Sport zuständige Abteilung im Bezirksamt mit Vertröstungen auf Zeit. „Wenn nicht bald etwas passiert, werden wir wohl eine Demo vor dem Hamburger Rathaus machen“, gibt Müsse sich kämpferisch.
„Immerhin haben wir es geschafft, nach der langen Vagabunden-Zeit seit der Vertreibung aus Altenwerder Ende der 1970er-Jahre einen neuen Vereinsmittelpunkt auf dem Jägerhof zu bekommen“, sagt Müsse. Auf der frisch modernisierten Sportanlage in Neuwiedenthal verfügt der FTSV über ein Vereinsheim und hat zwei Kunstrasenplätze, die er sich mit dem FC Bulgaria, dem Moorburger TSV, Jugendteams des FC Süderelbe und der HNT sowie dem Betriebssport teilt. Die multikulturelle Nutzung klappe sehr gut, betont der FTSV-Chef: „Neulich haben wir den netten Jungs vom FC Bulgaria zum Trost einen Kasten Bier ausgegeben, nachdem sie ein derbe 0:8-Klatsche bekommen hatten.“ Die verbindende Kraft des Sports – in Neuwiedenthal erblüht sie zu neuer Stärke.