Stove. Abendblatt-Mitarbeiter Norbert Scheid versucht sich beim 143. Stover Rennen zum ersten Mal am Totalisator – mit mäßigem Erfolg.

„Das 143. Stover Rennen war wieder ein voller Erfolg“. So beginnt das offizielle Fazit des Stover Rennvereins. „Knapp 8000 Besucher fanden am Sonntag den Weg nach Stove, um bei Bratwurst und Bier Trabprofis wie Manfred Walter und Katie Beer zuzusehen und ihr Glück beim Pferdewetten zu versuchen.“

Das habe ich auch versucht. Nach unzähligen Besuchen bei dieser Kultveranstaltung hinterm Deich, die als eines der ältesten Pferderennen Deutschlands gilt. Für unbedarfte Neulinge patrouillieren vor den Totoschaltern Ratgeber. Bei ihnen kann man lernen, den Tippschein richtig auszufüllen. Das ist auch erforderlich. Ich will für das Rennen 9 einfach auf Sieg setzen. Was aber bedeutet die Rubrik „Einsatz in Euro“ und wo mache ich den Strich: bei 0,2, 0,5, bei 1, 2 oder 3? Das geht hoch bis 500. „Die Quote für die Dreierwette beträgt 17.000 Euro“, erfahren wir gerade über Lautsprecher. Das gilt für das just beendete Rennen und macht Mut. „Aber wenn sie auf dem Schein die „1“ angekreuzt hätten“, klärt mich der Fachmann auf, „hätten Sie nur ein Zehntel dieser Summe, also 1700 Euro, ausgezahlt bekommen. Die meisten Wetter kreuzen die „0,5“ an. Wer von denen die Dreiwette getroffen hat, bekommt 850 Euro ausbezahlt.“

Na gut. Schwieriger als die Finessen des Wettscheins zu begreifen, ist jedoch die Frage, welchen Fahrer mit welchem Pferd ich ankreuzen soll? Darüber können selbst die erfahrensten und leidgeprüftesten Zocker stundenlang grübeln. Von so einem müsste ich mir einen Tipp holen. Ein älterer Mann, der auf der Rennbahn in Bahrenfeld bekannt ist wie ein bunter Hund, raunzt mich an: „Dazu habe ich keine Zeit. Ich muss zum Toto, sehen dass ich mein Geld loswerde.“

Norbert Scheid fiebert am Rande der Rennbahn mit seinen Favoriten mit
Norbert Scheid fiebert am Rande der Rennbahn mit seinen Favoriten mit © HA | Volker Koch

Ich entscheide mich für die Nummer 7 mit dem Holländer Ronald de Beer im Sulky. Der Name ist mir vertraut. Ich setze drei Euro auf Sieg und zittere und zweifle. Plötzlich peitscht die Stimme von Jan von Witzleben über die Bahn. „Die Pferde kommen aus dem Bogen. Noch 250, noch 200 Meter. Arrivederci liegt vorn“. „Arrivederci? Das ist doch mein Pferd!“ Ich renne nach vorn, zwänge mich zwischen drei Frauen nahe am Ziel. „Aber April Princess greift an“, schreit von Witzleben. „Arrivederci komm!“, höre ich mich schreien. Die Frau neben mir dreht sich erschrocken um, lacht. Ich sehe nur die Köpfe der Pferde. „April Princess wird schneller, liegt vorn.“ Ich bin noch nicht geschlagen. „Kann Arrivederci mithalten?“, höre ich. Für Augenblicke halte ich den Atem an. „Princess an der Spitze. Noch 30, noch 20 Meter. Heinrich Bramlage lässt sich den Sieg nicht mehr nehmen.“

Den ersten Tippschein meines Lebens kann ich zerknüllen. Jetzt eine Zweierwette. Dafür wähle ich Rennen 12 aus. Und versuche es nochmal mit fachlichem Beistand. „Seit meine Frau mir das Wettgeld einteilt, bin ich im Plus“, höre ich im Vorbeigehen. Ralf Herbrechter heißt der Gutgelaunte. Jedes Jahr Ende Juli trifft er sich mit seinen Freunden Christian und Gerrit auf der Wiese im Innenraum. Diesmal ist er mit dem Fahrrad über die Geesthachter Brücke gekommen. „Bei meinem ersten Stover Rennen hat es in Strömen geregnet, aber bei meiner ersten Wette habe ich 60 Euro gewonnen“, erzählt er. Diesmal konnte Gerrit Schmitt gleich im ersten Rennen jubeln. „Ich hatte eine Platzwette gesetzt, die mir 35 Euro Gewinn gebracht hat.“ Dass sein Pferd als Dritter ins Geld lief, war viel Glück. Es kamen nur vier Pferde ins Ziel.

Die fröhlichen Stammbesucher aus Altengamme gehören zur Basis, auf der der Rennverein seinen Erfolg aufgebaut hat. Freunde, Nachbarn, auch Familien mit Kindern – das Stover Rennen ist ein Volksfest für die Region geblieben.

Der König der Grasbahn gehört auf jeden Wettschein

Inzwischen habe ich doch einen Experten aufgetan. Der erwähnt so ganz nebenbei, dass ihm alle Rennbahnen Europas vertraut sind. Mit ihm also will ich noch einmal mein Glück herausfordern. Eine Dreierwette beim „Großen Preis von Stove“. Ich solle kombinieren, heißt sein erster Rat. Also wenigstens vier Pferde ankreuzen. „Drei davon müssen vorne sein, welche sind egal“, klärt mich der Mann auf, den ich Kurt nennen soll. „Die Nummer 1, El Amigo mit Manfred Walter, musst du reinnehmen“, sagt er. „Der Walter ist ein gewitzter Taktiker, der König der Grasbahn. Die Nummer 3, Donovan Norg mit Jan-Henk Janssen, würde ich auch nehmen. Die sind beim Wattrennen in Cuxhaven gerade Zweite geworden.“ Wir werden unterbrochen. „Luigi“, tönt es über den Deich. „Luigi vorne. Luigi gewinnt“. Das war ein Galopprennen. Kurt, mein Ratgeber, lächelt. „Den hab ich“, sagt er nur. Die Nummer 4, also den Holländer Eddy van der Galien mit Dyanne Cunera, empfiehlt er noch und Helios, das Pferd mit Mario Krismann im Sulky. Die Dreierwette kostet mich 24 Euro. Irrwisch, den großen Favoriten, haben wir draußen gelassen.

Das war klug, denke ich. Denn nach der ersten Runde im „Großen Preis von Stove“ liegt Katie Beer mit dem hohen Favoriten mehr als 100 Meter zurück. Aussichtslos. Davon sind selbst die erfahrensten Zocker überzeugt. Und alle liegen – mal wieder – falsch. Katie Beer und Irrwisch triumphieren noch – mit deutlichem Vorsprung sogar. Auch ich habe applaudiert und die Erfahrung mitgenommen: Zocken macht nur wenige glücklich, aber die Aufregung ist der Kick. Jedenfalls habe ich auf dem Heimweg im Auto gesungen.