Buchholz. 2000 Zuschauer verfolgen in Buchholz das Benefizspiel des Hamburger SV zugunsten der Familie des verunglückten Timo Kraus.
Klaas Jensen, der Erste Vorsitzende des Buchholzer FC, ließ den Blick über die Otto-Koch-Kampfbahn, die Sportstätte des Nachbarvereins TSV Buchholz 08, schweifen und sinnierte: „Wir hätten vielleicht doch 1000 Karten mehr verkaufen sollen.“ Auf dem Spielfeld standen sich Buchholz 08 und der Hamburger SV gegenüber. 2000 Zuschauer säumten den Spielfeldrand und hatten ihren Spaß an der gemeinsamen Benefizveranstaltung der beiden Buchholzer Fußballvereine zugunsten des Anfang des Jahres tödlich verunglückten HSV-Merchandising-Chefs Timo Kraus, der in Buchholz zu Hause war. Jeweils zweimal 30 Minuten durften die Buchholzer Vereine gegen den HSV antreten, der auf eine Antrittsgage verzichtet hatte.
Das Benefizspiel war innerhalb von drei Stunden nach Vorverkaufsstart ausverkauft, das Interesse der Fußballfans am ersten HSV-Auftritt in Buchholz überhaupt riesengroß. „Gemeinsam für Timo“, war als Motto ausgerufen worden; sämtliche Eintrittsgelder und Erlöse aus dem Verzehr vor Ort kommen der Familie des Verstorbenen zu Gute. „Esst ganz viel Würstchen und trinkt ganz viel Bier“, forderte Moderator Christoph Reise die Zuschauer auf. Das Medieninteresse war für Buchholzer Verhältnisse riesig, Kameras für bewegte und bewegende Bilder waren auf dem Dach der Zuschauertribüne aufgestellt worden.
Wie beim Bundesligisten üblich, betraten als Erste die Torhüter Christian Mathenia und Tom Mickel das Spielfeld, um sich aufzuwärmen. Der neue Star am Torwarthimmel, der U21-Nationalkeeper und frisch gekürte Europameister Julian Pollersbeck, und die weiteren HSV-Nationalspieler wurden in Buchholz noch geschont. Wenig später baten Referee Sascha Thielert – stellvertretender Fußballobmann von Buchholz 08, Schiedsrichter in der 2. Bundesliga und Assistent in der 1. Liga – und seine Assistenten Manfred Witt und Alexander Kowalski vom Buchholzer FC zum sportlichen Teil der Veranstaltung; vorher wurde natürlich die HSV-Hymne „Hamburg, meine Perle“ abgespielt. Alles zünftig also. Des verstorbenen Timo Kraus gedachten die Fußballfans nicht mit einer Schweigeminute, vielmehr mit 30 Sekunden anhaltendem Applaus.
Zweimal 30 Minuten Spielzeit ohne lange Pause und ohne Auswechslungen (außer beim Seitenwechsel) hatte sich HSV-Trainer Markus Gisdol gewünscht. Diesen Wunsch machten ihm in der Partie gegen den Oberligisten Buchholz 08 seine eigenen Spieler zunichte. Sie gerieten anfangs derart unter Druck, dass sie richtig zur Sache gehen mussten. Mit der Folge, dass sich binnen einer Minute beide 08-Innenverteidiger Andreas Metzler und Nikolas Mallwitz schwere Blessuren zuzogen und ausgewechselt werden mussten. „Der HSV-Arzt hat Malles Platzwunde am Kopf noch an der Seitenlinie genäht“, erzählte 08-Co-Trainer Jan-Akira Voss. Wie schwer die Verletzung von Metzler ist, konnte er noch nicht sagen.
Als der Oberliga-Vizemeister nach mehr als 20 Minuten immer noch keinen Gegentreffer kassiert hatten, wurden einige 08-Fans übermütig. „Hier regiert Buchholz 08“, skandierten sie und bekamen prompt die Quittung durch den 21 Jahre alten Luca Waldschmidt, der dem HSV mit seinem Kopfballtor gegen Wolfsburg den Klassenerhalt gesichert hatte. In Buchholz traf Waldschmidt nach schöner Einzelaktion, die an Arjen Robben erinnerte. Mit dem 1:0 war der Bann gebrochen. Bakery Jatta legte schnell zum 2:0 nach. In den zweiten 30 Minuten stellten Nicolai Müller und Walace den 4:0-Endstand her. Mancher Fußballfachmann rechnete einfach die Torchancen zusammen und kam zu dem Schluss: „Es hätte auch 4:4 ausgehen können.“
Fünf und zehn Euro Eintritt hatten die 2000 Fans gezahlt. Bei 3000 verkauften Karten wären noch mehrere tausend Euro allein an Eintrittsgeldern dazugekommen. Daran mochte Klaas Jensen wohl gedacht haben, der dem Ganzen noch einen anderen positiven Aspekt abgewinnen konnte. „Wir hatten noch nie so große Trainingsbeteiligung wie in den Wochen vor dem Spiel“, sagte er. Alle Spieler der Buchholzer FC wollten unbedingt gegen den großen HSV dabei sein. Der Wunsch von HSV-Trainer Markus Gisdol, jeweils zweimal 30 Minuten zu spielen, kam den Interessen von Spielern und Vereinen entgegen. Gisdol brachte gegen den BFC eine komplett neue Mannschaft auf den Rasen. Auch die Buchholzer Trainer Thorsten Schneider (Buchholz 08) und Markus Hehr vom Kreisligisten Buchholzer FC schöpften ihre Wechselmöglichkeiten großzügig aus.
Der BFC hielt sich fünf Minuten schadlos. Dann traf Pierre-Michel Lasogga zum 1:0 für die Hanseaten, nach der Hälfte der Spielzeit stand es 4:0 für den HSV. Der lauteste Applaus brandete nach 45 Minuten in der Otto-Koch-Kampfbahn auf, als Steffen Fänger das 1:6 für den Buchholzer FC erzielte. Ein Ehrentreffer gegen den HSV – das war selbst mehr als der große Nachbar zustande gebracht hatte. Am Ende hieß es 8:1 für den Bundesligisten, und alle waren zufrieden.
Der HSV hatte nach dem Trainingslager in Rotenburg eine weitere willkommene Übungseinheit absolviert, Oberligist Buchholz 08 dem Bundesliga-Dino „beinahe“ ein Unentschieden abgetrotzt und der Kreisligaverein dem Erstligisten sogar einen Treffer eingeschenkt. Last but not least ist ein erklecklicher Betrag für den guten Zweck zustande gekommen. Erwartet werden etwa 30.000 Euro, die für die Ausbildung der zwei Söhne von Timo Kraus verwendet werden sollen. Einziger Wermutstropfen sind die Verletzungen von Metzler und Mallwitz.
Die Tore: HSV – Buchholz 08 4:0 – 1:0 Luca Waldschmidt (24.), 2:0 Bakery Jatta (25.), 3:0 Nicolai Müller (36.), 4:0 Walace (56.)
HSV – Buchholzer FC 8:1 – 1:0 Pierre-Michel Lasogga (6.), 2:0 Sven Schipplock (10.), 3:0 Jann-Fiete Arp (16.), 4:0 Lasogga (20.), 5:0 Aaron Hunt (35.), 6:0 Hunt (36.), 6:1 Steffen Fänger (46.), 7:1 Schipplock (53.), 8:1 Arp (58.)