Harburg. Die Karate-Sportler des Harburger Turnerbundes gehören in Deutschland zur absoluten Leistungsspitze. Und sie setzen sich hohe Ziele.

Das Dojo des Harburger Turnerbundes (HTB), der Trainingsmittelpunkt der Karate-Sportler, bietet ein buntes, farbenfrohes Bild – wie von einem Mahler arrangiert. Die dicken Trainingsmatten leuchten in einem freundlichen Blau. Das eigentliche Kampfviereck in leuchtendem Gelb. Neun Mädchen und vier junge Männer hocken im Halbkreis um ihren Lehrmeister. Rolf Becker, schon seit ewigen Zeiten Spartenleiter und Trainer des Vereins, gibt bekannt, wer am Wochenende in welcher Alters- und Gewichtsklasse bei den Hamburger Meisterschaften in der Wandsbeker Sporthalle startet.

Für ihn sind diese Titelkämpfe „eher einen Witz. Da sind mehr Kampfrichter als Aktive.“ Daran allerdings sind er und seine ehrgeizigen Kämpfer nicht ganz unschuldig. Die Harburger sind zusammen mit den Kämpfern der TSG Bergedorf und einer kommerziellen Kampfschule so dominierend, dass andere Vereine kaum Lust verspüren, an Hamburger Meisterschaften teilzunehmen.

Die Karatekas des HTB wiederum sind so selbstbewusst, dass sie sich einem großen Traum verschrieben haben. „Olympia 2020“ heißt ihre Vision. Und Präsident Michael Armbrecht hat es den Vereinsmitgliedern als „sportliches Leuchtturmprojekt“ angekündigt und um Unterstützung gebeten.

Aleyna Gencer gilt als exzellente Technikerin. Die 17-Jährige ist aktuelle deutsche Vizemeisterin
Aleyna Gencer gilt als exzellente Technikerin. Die 17-Jährige ist aktuelle deutsche Vizemeisterin © Hans Kall | Hans Kall

„Unser Sport wird 2020 erstmals olympisch“, sagt Rolf Becker. „Als Hamburgs Sportler noch voller Euphorie hofften, die Weltspiele kämen an die Elbe, haben wir uns gesagt: Dann muss einer vom HTB dabei sein. Als das unfassbare Nein aus Hamburg kam, haben wir uns gesagt: Wenn Olympia nicht nach Hamburg kommt, machen wir uns auf den Weg zu Olympia nach Tokio“.

Wie beschwerlich und hart und manchmal auch schmerzhaft dieser Weg ist, darüber macht sich niemand im Dojo noch in den Familien irgendwelche Illusionen. „Mit denen, deren Talent, Ehrgeiz und Bereitschaft sich zu quälen groß genug sind, haben wir ein Konzept erarbeitet“, erläutert Rolf Becker, der Kopf des Unternehmens. „Da das alles ohne die Unterstützung der Eltern nicht möglich ist, haben wir auch die mit eingebunden.“

Überheblich sind die jungen Damen und jungen Herren in den weißen Kampfanzügen nicht. „Aber wenn es eine oder einer von uns schafft“, so haben sie sich geschworen, „werden wir anderen in Tokio für ihn johlen und schreien“.

Eine, die es schaffen könnte, ist Alexandra Gramlich, 22 Jahre alt, in Kasachstan geboren, Studentin der Volkswirtschaft in Hamburg. „Mein Vater ist Ingenieur bei Airbus, wir haben einige Jahre in Toulouse gelebt. Mein Bruder hat dort Judo gemacht. Da ich unbedingt etwas anderen machen wollte als er, habe ich mich für Karate entschieden. Und jetzt ist Olympia mein ganz großer Traum. Natürlich weiß ich, dass ich dafür aufwendiger und härter trainieren muss. Aber wenn ich vom Training völlig ausgepowert nach Hause komme, ist da so ein Gefühl von Zufriedenheit, das unbeschreiblich ist. Noch wichtiger für mich ist aber, dass wir hier im Verein so herzlich und eng miteinander umgehen. Wir sind ein super Team“, sagt sie und erklärt, wie sie zu ihrem Sport gefunden hat und was sie daran so fesselt.

Ihr Bruder Dennis Gramlich, 18 Jahre alt, besucht das Gymnasium Süderelbe und will Elektro-Ingenieur werden. Er trainiert mindestens vier Mal in der Woche, macht dazu mindestens zwei Mal in der Woche Fitness- und Krafttraining. „Dabei sind Olympia und der Ruhm nicht das Wichtigste für mich. Ich will mich mit meinem Gegner messen. Ich will wissen, wer der Stärkere und der Klügere ist. Der Kampf Mann gegen Mann macht mir am meisten Spaß.“

Aleyna Gencer (17) ist Schülerin am Friedrich-Ebert-Gymnasium, und amtierende deutsche Vizemeisterin. Das Mitglied des Nationalkaders wiegt 52 Kilo und muss vor Turnieren auf 50 Kilo abhungern. Ihre Cousine Göldemir war schon deutsche Meisterin, ihre Schwester Sila ist beim Training dabei und mit dem Vater, der Fußballtrainer ist, joggt sie gerne. Dazu trainiert sie acht Stunden in der Woche, in den Ferien beim HTB durchaus auch zwei Mal am Tag.

Für Rolf Becker ist Aleyna die beste Technikerin in Deutschland. „Mich fasziniert die Dynamik meines Sports und wie blitzschnell wir agieren und reagieren müssen“, sagt Aleyna und fügt mit einem Lächeln selbstkritisch hinzu: „Aber im Kopf muss ich noch klüger und taktisch kalkulierender werden. Natürlich ist Olympia mein Traum und sicher auch der unserer ganzen Familie.“

Reem Khanis ist mit 14 Jahren die Jüngste im Bunde, aber vom eisernen Willen her vielleicht die Stärkste. „Ich will Weltmeisterin werden“, sagt sie mit einer Sicherheit, die Zweifel gar nichterst aufkommen lässt. Dabei hat die energische Kämpferin gerade erst eine bittere Erfahrung wegstecken müssen.

„Weil ich keinen deutschen Pass habe, durfte ich nicht mit dem deutschen Team zu den Europameisterschaften fahren“, erzählt sie. „Natürlich habe ich da geweint.“ Vor drei Jahren ist sie mit der Familie aus Kairo nach Hamburg gekommen. Sie besucht das Immanuel-Kant-Gymnasium, trainiert fast täglich und macht Zuhause Krafttraining an Tischen und Stühlen.

Tim Becker (24) ist Vorstands-Assistent bei der Volksbank und Sohn des Trainers und seit dem 17. Lebensjahr im Bundeskader. Er befindet sich in der Vorbereitung auf die deutsche Meisterschaft am 8./9. April in Neumünster.