Buchholz. „Reiten inklusiv“ heißt das neue Angebot vom Netzwerk NISA, bei dem Jugendliche mit und ohne Handicap reiten können.

Der kleine Rune sitzt schon allein auf dem Pferd. Naili, die gutmütige Stute, trabt mit ihm durch die Halle auf dem Reiterhof Behr in Buchholz. Der Junge hält die Zügel selbstbewusst in der Hand. Sein Gesicht unter der blauen Sicherheitskappe zeigt, wie konzentriert er bei der Sache ist. Und auch, wie stolz ihn das macht. Der Achtjährige treibt sein Pferdchen an. Naili fällt in einen leichten Trab. Von draußen schaut die Mutter halb versteckt herein. Sie hält sich bewusst im Hintergrund, weil ihr Junge sich schnell ablenken lässt. Rune leidet an ADHS. Der Junge ist hyperaktiv, fällt schnell hin, ist entwicklungsverzögert und immer guter Laune. „Unser Sonnenschein“, wie Mutter Annika Claußen-Pohlers bekräftigt, habe schon viele Therapien hinter sich. „Aber es ist das erste Mal, dass Rune vorher fragt, wann es wieder zum Reiten geht. Darauf freut er sich richtig, wohl auch, weil er spürt, dass er nicht therapiert wird, nichts machen muss, sondern losreiten und Spaß haben kann.“

„Reiten inklusiv“, heißt das neue Spaßangebot, bei dem Jungen wie Rune Pohlers, Bjarne Wilke, Finn Jörgensen und Mia Rieckensdorf sich vor allem auf die Pferde freuen. Das Netzwerk für Inklusion in Sozialarbeit und Assistenz (NISA e.V.) hat dieses vorbildliche Projekt in Trab gebracht. „Wir bieten im Landkreis Harburg unterschiedliche Formen von Assistenz für Menschen mit und ohne Behinderung an“, nennt Urte Niedzwiedz, die Leiterin des Vereins, die Basis dieses Einsatzes. Dazu gehört, dass inzwischen 51 Kinder mit Behinderungen für ihren Schulunterricht eine Assistenz bekommen, Frauen und Männer, die, wenn notwendig, in der Klasse neben ihnen sitzen oder bei bestimmten Aufgaben unterstützen.

Zu diesen Schulassistenten gehört auch Iris Schless, Pferdewirtschaftsmeisterin mit internationaler Berufserfahrung. Sie unterstützt nicht nur Leonardo, einen Drittklässler mit einer Generkrankung in der Grundschule Eyendorf. Iris Schless hat auch eine Ausbildung im Behindertensport gemacht. Unter ihrer Leitung hat das Netzwerk für Inklusion das Sportangebot mit den Pferden ins Leben gerufen. „Dabei geht es um Inklusion, um die Gemeinsamkeit und das Miteinander von behinderten und nicht behinderten Kindern“, sagt Urte Niedzwiedz.

Der Respekt oder auch die Angst vor den selbst als Ponys recht großen Tieren war bei allen Kindern zunächst gleich. Als Rune das erste Mal auf Naili gehoben wurde, war er voller Misstrauen. „Beuge dich nach vorne und berühre seine Ohren“, kam die erste Aufmunterung von Iris Schless. Der Kleine schüttelte den Kopf. Dann wagte er sich doch, ganz vorsichtig, auf den Hals des Ponys. „Jetzt legst du dich mit dem Rücken nach hinten“, bat Iris Schless ganz sanft. Und erntete einen kurzen Aufschrei von Rune: „Nein!“ Aber die fremde Frau an seiner Seite sagt nur „Doch“.

Iris Schless stützt den Jungen, der sich auf das Pony legt, mit dem Kopf auf das Hinterteil. Als er wieder hochkommt, ist Erstaunen in seinen Augen zu sehen, dann lächelt er. Diese Augenblicke des Glücks über die ersten kleinen Erfolge, das ist es, was alle Mitarbeiter berührt. Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Handicap gibt es nicht. „Wir achten darauf, dass wir Jugendliche mit Behinderungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten genauso fordern“, sagt Iris Schless, „bei den Übungen auf dem Pferd bekommen sie ein besseres Balancegefühl, verbessern ihre Koordination, verlieren mit jeder Übungsstunde ihre Angst und bauen Vertrauen zum Pferd und zu ihren eigenen Fähigkeiten auf.“

„Beim Reiten kann sich Rune schon eine ganze Stunde konzentrieren“, sagt Annika Claußen-Pohlers. „Ich denke, die Kinder spüren die Wärme des Pferdes. Das gibt ihnen Vertrautheit und Sicherheit, die wöchentliche Reitstunde ist pure Freude.“

Mit Iris Schless sind Ina Neuhaus, Kristine Weber und Anja Weidner beim einzigen inklusiven Reitangebot im Landkreis Harburg im Einsatz. „Der Start wäre ohne die Unterstützung der Laurens-Spethmann-Stiftung nicht möglich gewesen“, sagt Urte Niedz­wiedz. „Wir haben einen höheren Personalaufwand, müssen aber auch so kalkulieren, dass die Übungsstunden für die Eltern bezahlbar bleiben. Ohne Sponsoren ist unser Reiten inklusiv nicht aufrechtzuhalten.“

In der Reithalle in Buchholz wird die letzte Runde gedreht. Rune steigt ab, will zur Mutter laufen, wird aber zurückgerufen. „Du hast etwas vergessen“, sagt Iris Schless. Sofort dreht er sich um, rennt zur Stute und tätschelt ihren Hals. „Danke, und Tschüss bis zum nächsten Mal.“