Die Nachwuchsfahrer Gahramanli Kanan aus Aserbaidschan, Philipp Plambeck von der Harburger Radspoetgemeinschaft und Leo Appelt aus Hannover starten bei den Youngclassics
Harburg. Vor den Vattenfall-Cyclassics, dem vielleicht teilnehmerstärksten Radrennen der Welt, gibt es seit acht Jahren auch eine große Bühne für den Nachwuchs. Am Donnerstag wurden in Otter die Youngclassics gestartet, in Deutschland inzwischen das bedeutendste Etappenrennen für die 15- und 16-jährigen Nachwuchstalente aus halb Europa. Nach Ottern und dem Rundstreckenrennen am Freitag in Buchholz wird an diesem Sonnabend bei der Jagd rund um die Binnenalster in Hamburg die Entscheidung fallen.
Insgesamt 24 Teams, darunter sieben Nationalmannschaften, sind am Start. Es ist Europas Elite einer Radsport-Generation, die im Schatten der Doping-Skandale ihrem Sport die Treue hält – und doch wieder von großen Taten träumt.
Drei Fahrer haben über ihr hartes Training, ihre Begeisterung und ihre Hoffnungen gesprochen. Da ist zuerst Gahramanli Kanan, 16 , braun gebrannt, zäh und dünn, mit einem zurückhaltenden Lächeln. Er kommt aus Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans und gilt als der schnellste Junge unter den knapp neun Millionen Menschen in dem Land am Kaspischen Meer. Leo Appelt im Nationaltrikot kommt aus Hannover und hat vor zwei Jahren vier deutsche Meistertitel nach Hause gefahren. Philipp Plambeck fährt für Hamburg und kommt von der Harburger Radsport-Gemeinschaft.
Gahramanli Kanan wird in seinem Nationalteam nur der „Dünne“ gerufen. „Er ist fleißig, zäh und auch schon so etwas wie der kleine Star in unserem Nachwuchsteam“, sagt Nationaltrainer Abuhaz Mammador. Der Coach war in den 1970er-Jahren selbst Rennfahrer, als das Land noch zur Sowjetunion gehörte. „Damals gab es ein paar hundert Rennfahrer bei uns“, sagt er, „aber als junge Fahrer durften wir nicht nach Europa. In den letzten 20 Jahren war der Radsport bei uns tot. Meine Jungen, die hier starten, sind neue Hoffnungen,“
Sozusagen als privater Entwicklungshelfer hilft Theo Maucher bei diesem Neubeginn. „Zur besseren Einordnung muss man wissen“, erzählt der Weltenbummler, „in Baku, wo 4,5 Millionen Menschen, fast die Hälfte aller Einwohner leben, wirst du bedauert, wenn du auf dem Fahrrad sitzt. Da fährt jeder Auto, selbst wenn er Brot um die Ecke kauft. Der Nationalsport ist Ringen, da haben sie bei Olympia sechs Medaillen gewonnen. Auch für alle anderen Kampfsportarten begeistern sich die Jungen. Es sind die dünnen, die du für den Radsport gewinnen kannst.“
So war es auch ein Freund mit einem Rennrad in seiner Schule, der den kleinen Kanan zum Team des Nationaltrainers brachte. Angebunden an die Schule, hat Abuhaz Mammador inzwischen 20 Jungen beisammen. „Außer montags trainieren wir jeden Tag“, sagt Gahramanli Kanan, „dann fahren wir bis zu 100 Kilometer und mehr.“
Theo Maucher erklärt die ungewöhnlichen Bedingungen: „Sie trainieren auf den vier- bis achtspurigen Autostraßen, die rund um Baku angelegt werden. In Deutschland würden wir sagen, die trainieren auf Autobahnen.“ Der Junge aus Aserbaidachan hat zu Hause alles gewonnen, was es für ihn zu gewinnen gab. „Die sechs Medaillen hängen an der Wand in dem Zimmer, das er sich mit seinen Schwestern teilt.“ Beim Straßenrennen in Otter und in Buchholz hätte er sich steilere Berge gewünscht. Die hätten dem durchtrainierten Kerlchen, der nur 46 Kilo wiegt, mehr Chancen auch gegen die großen und starken Deutschen gegeben.
Leo Appelt, der Gymnasiast aus Hannover im Nationaltrikot, ist 1,87 Meter groß und schon ein Muskelpaket von 75 Kilo. Sein Onkel Klaus Jördens war 21 Jahre lang Bundestrainer und dessen Sohn Roman achtfacher deutscher Meister. „Ich habe immer seine Pokale bewundert“, erzählt der 16-Jährige, „mit zehn habe ich selbst angefangen. Außer montags trainiere ich auch jeden Tag und fahre am Wochenende Rennen.“ Was der Radsport an Aufwand, an Trainingsfleiß und auch an Qualen erfordert, wird deutlich, wenn Leo Appelt von den Einheiten erzählt, bei denen sein Heimtrainer Gernot Backhaus mit dem Moped vorfähjrt. „Da strampel ich bis zu 60, 70 auch mal 80 Stundenkilometer. Da bist du hinterher so am Ende, dass du dich am liebsten in den Graben schmeißen würdest.“ Die stärkste Motivation für die Schinderei sind Erfolge. Bei der Jugendolympiade in Uetrecht, an der 2300 Talente teilnahmen, gewann er das Straßenrennen und wurde Zweite beim Zeitfahren. Vor zwei Jahren war er deutscher Meister im Cross und auf der Straße, auf der Bahn und im Mannschafts-Zeitfahren.
„Mit solchen Titel kann ich nicht glänzen“, sagt Philipp Plambeck, „ich bin nur Hamburger Meister auf der Straße.“ Aber auch Philipp, 16 Jahre und Gymnasiast, kommt aus einer Radsportfamilie (Vater Frank zwar zweimal deutscher Meister, Mutter Susanne Vizemeisterin, und Moritz, der 12-jährige Bruder, fährt auch). Er tainiert sechs Tage in der Woche mit dem Vater als Trainer. Beim Zeitfahren in Otter wurde Leo Appelt Fünfter und Philipp fuhr auf Platz 25., was für ihn ein großartiges Ergebnis war. Ob die Talente von einer Karriere als Profis träumen? Philipp Plambeck schüttelt den Kopf. Leo Appelt sagt sofort „Ja. Das will ich einmal erleben. Ich bin mir sicher, wir kommen in einen Profisport, in dem man die Tour de France auch ohne Doping gewinnen kann.“