Mit rund 4400 Einwohnern auf 15,5 Quadratkilometern ist der Stadtteil Neuenfelde eines der am dünnsten besiedelten Gebiete Hamburgs.

Wer hier in Sachen Fußball regiert, daran besteht kein Zweifel. Rund 50 Fahnen des Hamburger Sport-Vereins wehen in Neuenfelde an Masten vor und hinter den Häusern, egal wie schlecht oder wie gut die Rothosen gerade kicken. Damit ist der Stadtteil im Südwesten Hamburgs der Ort mit der größten HSV-Fahnen-Dichte in der Stadt.

Das Herz der Neuenfelder HSV-Fans schlägt in der Gaststätte Zuralten Eiche, Nincoper Straße 26, seit 1819 im Besitz der Familie Pien. Hier treffen sich vor und nach den Heimspielen sowie an jedem dritten Freitagabend im Monat Frauen und Männer des HSV-Fanklubs Die Eichen. 350 Mitglieder zählt der Klub weltweit. Drei Eichen-Fahnen wehen sogar in Hamburgs Partnerstadt Shanghai, denn dort arbeiten drei Neuenfelder HSV-Fans.

+++ Zahlen & Fakten +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Name & Geschichte +++

+++ Bekannte Söhne +++

Neuenfelde lebt vom Obst, von der Sietas-Werft und von Airbus. Zwischen der Alten Süderelbe und der Este gelegen, gehört Neuenfelde wie Francop zur sogenannten Dritten Meile des Alten Landes, des größten geschlossenen Obstanbaugebietes in Nordeuropa. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wachsen zwischen dem Neuenfelder Hauptdeich und dem Neuenfelder Hinterdeich Obstbäume in Reih und Glied. Heute gibt es hier etwa 70 Obstbetriebe, von denen die meisten Äpfel anbauen.

"Es ist das fruchtbare Alte Land, das uns den Wohlstand gebracht hat", sagt die in Neuenfelde geborene Stadtteilautorin Monika Genz. "Dazu kommt die große Sparsamkeit der Altländer. Man wird nicht reich vom Ausgeben, sondern vom Nichtausgeben."

Immer noch größter Arbeitgeber im Stadtteil ist die Schiffswerft J. J. Sietas, einer der ältesten Betriebe der Hansestadt. Seit 1635 werden an der Estemündung Schiffe gebaut. In guten Zeiten zählte die Werft mehr als 1200 Mitarbeiter. Im November 2011 hat Sietas Insolvenz angemeldet. Heute arbeiten in der Sietas-Gruppe rund 600 Beschäftigte - ein Teil von ihnen wohnt in der Seehofsiedlung, in der viele Menschen mit Migrationshintergrund leben.

Auch das Airbus-Werk im benachbarten Finkenwerder bietet vielen Menschen in der Dritten Meile Arbeit. Doch zu Airbus ist das Verhältnis vieler Neuenfelder immer noch gespalten. Erst schüttete die Stadt Hamburg 170 Hektar des Mühlenberger Lochs - eines der größten Süßwasserwatten in Europa - für die Werkserweiterung zu. Dann wurde die Airbus-Piste ausgebaut; sie reicht jetzt rund 350 Meter an das Dorf heran. Engagierte Neuenfelder haben jahrelang gegen den Bau gekämpft - vergeblich. Nachdem der Bauer Cord Quast sein zentrales Stück Land Ende 2004 für rund zwei Millionen Euro verkauft hatte, konnte Hamburg die Start- und Landebahn um 589 Meter auf 3273 Meter verlängern.

35 Starts und Landungen am Tag sind nun erlaubt. Oft fliegen die Flugzeuge bedrohlich tief über den Ort hinweg. Der Bau der Piste hat einen Schandfleck in Neuenfelde hinterlassen: 66 Häuser im alten Kern an der Hasselwerder Straße und am Organistenweg stehen seit einem Jahrzehnt leer. Die Stadt hatte die Häuser für Millionen von den Eigentümern gekauft, um Klagen gegen den Fluglärm zu verhindern. Nun wird ein Großteil der Häuser saniert. Auch der Bau der Autobahn 26, die rund zwei Kilometer südlich des Obstmarschenwegs verlaufen soll, bewegt die Menschen im Stadtteil. Viele Neuenfelder erhoffen sich durch den Bau eine Verkehrsentlastung.

Mit rund 4400 Einwohnern auf 15,5 Quadratkilometern ist Neuenfelde einer der am dünnsten besiedelten Stadtteile Hamburgs, aber vor Cranz und Francop klar das größte "Hamburger Dorf" im Alten Land. Die Einwohnerzahl ist zwischen 2000 und 2011 um ein Siebtel zurückgegangen - nur die Altstadt hat prozentual mehr Bürger verloren. "Hamburg hat Neuenfelde lange stiefmütterlich behandelt", sagt Manfred Hoffmann, Sprecher der Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz. "In all den Jahren ist kaum neues Bauland ausgewiesen worden. Da sind viele junge Menschen fortgezogen."

Von den verbliebenen Neuenfeldern wird Gemeinsinn immer noch groß geschrieben, ob im Schützenverein, in den beiden Freiwilligen Feuerwehren, im Landfrauenverein oder im Islamischen Kulturverein. Höhepunkte des Jahres sind das Schützenfest und der "Neefeller Markt bi de Kark" mit großem Flohmarkt und Tänzen in alten Trachten am ersten Sonnabend im September.

Das Schmuckstück mitten im Stadtteil ist die evangelisch-lutherische Pfarrkirche St. Pankratius. Sie wurde zwischen 1682 und 1687 auf einer Düne an der Stelle ihrer Vorgängerkirche errichtet, die sächsische Siedler vermutlich im13. Jahrhundert erbaut hatten. Die Kirchdüne bot allen Bewohnern des Dorfes Zuflucht, wenn Sturmfluten das Marschland überschwemmten - zuletzt bei der Flutkatastrophe am 16./17. Februar 1962. Zehn Neuenfelder starben in dieser Nacht.

Die Krönung derBarockkirche ist die Orgel, die der berühmteOrgelbauer Arp Schnitger zwischen 1683 und 1688 schuf. Sie ist Schnitgers größte erhaltene zweimanualige Orgel. Regelmäßig konzertant erklingt das gute Stück bei den "Neuenfelder Orgelmusiken", jeweils am ersten Sonntag der Monate April bis Dezember um 16.30 Uhr.

Viele Nichtneuenfelder schätzen die Hofläden, wo die Obstbauern, je nach Saison, Erdbeeren, Kirschen, Himbeeren, Pflaumen und Äpfel feilbieten. Die meisten Besucher kommen aber im Frühjahr nach Neuenfelde, wenn Hunderttausende Apfelbäume blühen. Ein rosa-weißes Blütenmeer durchzieht dann den Stadtteil, viele Besucher wandern den alten Deich entlang und bewundern die Altländer Bauernhäuser mit ihren weißen Prunkpforten wie bei dem um 1660 erbauten Haus von Otto Palm an der Stellmacherstraße 9.

Dessen Inschrift bezeugt die Heimatverbundenheit der Neuenfelder, die sich zuerst als Neuenfelder, dann als Altländer und schließlich als Hamburger fühlen - "Meent buten die Welt ok noch so groff, hool fast an dien Segen, dien Huus un Hoff".

+++ Der Stadtteil-Pate: Andreas Schmidt +++

Ganz in HSV-Hand ist Neuenfelde übrigens nicht. An der Nincoper Straße weht wehrhaft eine FC-St.-Pauli-Fahne. Kein Wunder: Der einzige Neuenfelder Jung, der es im Fußball zu etwas gebracht hat, ist der im Stadtteil aufgewachsene Ex-St.-Pauli-Profi DenizBaris. Der Deutsch-Türke lernte sein Handwerk bei der SpielvereinigungEste 06/70 und spielte 21-mal für die türkische Nationalmannschaft. Sein wichtigstes Tor köpfte er 2001 am letzten Spieltag in Nürnberg für die Kiez-Kicker. Mit diesem Siegtreffer zum 2:1 stieg der FC St. Pauli in die Bundesliga auf - dank Neuenfelde.

In der nächsten Folge am 7.7.: Hamburg-Altstadt

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