Ein Stück Niedersachsen auf Hamburger Grund. Harburg ist kein Luxus aus der Retorte, sondern Moderne und Tradition im Einklang.

"Ich fahre mal eben in die Stadt." Wer nicht in der City, sondern in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern lebt, kündigt mit diesen Worten gern eine Fahrt nach Hamburg an. Südlich der Elbe heißt es: "Ich fahre mal eben nach Harburg." Hamburg ist weit weg. Tatsächlich nur wenige Kilometer über den Fluss. Doch gefühlt wie in einer anderen Welt. Harburg, das ist genau genommen kein Stadtteil der Metropole, das ist eine Stadt in der Stadt. Das ist ein Stück Niedersachsen auf Hamburger Grund. Das ist ausgeprägter Lokalpatriotismus.

+++ Zahlen & Fakten +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Name & Geschichte +++

+++ Bekannte Söhne +++

Das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern an der Elbe ist schwierig. Doch ohneeinander können sie auch nicht. Ohne Harburg wäre die Industrialisierung Hamburgs im 19. Jahrhundert weit schwerfälliger vorangeschritten. Und ohne Hamburg würde Harburg finanziell schon gar nicht klarkommen.

Ursprung und Zukunft am Wasser

Von einer Burg im 12. Jahrhundert über eine glanzvolle Residenzstadt der braunschweigschen Herzöge, das hannoversche Tor zur Welt, den Industrie- und Arbeiterbezirk Hamburgs bis zum Innovationszentrum der Zukunft spannt sich der Bogen der Harburger Geschichte. Jede Epoche hinterlässt ihre Spuren und hat den Stadtteil nachhaltig geprägt. Und wie bei vielen Dingen im Leben liegen auch Harburgs Ursprung und Zukunft am Wasser.

Das unwirtliche Leben auf einem schlammigen Außenposten bei der Kolonisierung der Marschen südlich der Elbe hielten im Mittelalter über lange Jahre wohl nur die Soldaten der Stader Grafen und Bremer Erzbischöfe aus. Ein knappes Jahrhundert tobte der Krieg um die "Horeburg" zwischen den Welfenherzögen und ihren Gegnern aus Stade und Bremen. Mehrfach wechselte die Burg den Besitzer, wurde zerstört und wieder aufgebaut.

Die Welfen behielten ab 1257 die Oberhand und bauten die Festung zum Grenzposten des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg aus. Auch die Sümpfe wurden entwässert, und entlang des Damms, der Burg und Hinterland verband, entstanden die ersten Siedlungen. Der blaue Löwe, Wappentier der Braunschweiger Welfen, ziert noch heute das Harburger Wappen.

Die Burg wurde im 16. Jahrhundert zum Schloss mit Stadtbefestigungsanlage ausgebaut. Die Überreste der Wallanlagen sind heute nur noch aus der Luft zu erkennen, die Schlossinsel hat aus dieser Zeit ihre charakteristische fünfeckige Form. Doch vom ehemaligen Schloss selbst ist nur noch ein Seitenflügel erhalten. Ein weitaus dauerhafteres Relikt der Renaissance ist die Harburger Schützengilde, die ihre Ursprünge als Bürgerwehr und Miliz auf das Jahr 1528 zurückführen kann. Der jährliche Ausmarsch der Schützen aus dem Harburger Rathaus hin zum Festplatz auf dem Schwarzenberg steht auch immer noch als Symbol für wehrhaftes Bürgertum. Und jeder Hamburger Bürgermeister tut selbstverständlich gut daran, diesem Umstand beim traditionellen Spargelessen der Gilde gebührend Respekt zu zollen.


Narben und Bausünden

Harburg wurde Kreisstadt für den niedersächsischen Landkreis gleichen Namens und blieb es bis zum Groß-Hamburg-Gesetz der Nationalsozialisten 1937. Fortan gehörte Harburg zu Hamburg. Amtssitz im Landkreis wurde Winsen an der Luhe.

Wirklich prägend für Harburg war allerdings die Zeit der Industrialisierung. Sie hat dem Stadtteil sein modernes Gesicht gegeben, sie hat die Narben und Bausünden hinterlassen, mit denen sich die Harburger noch heute herumärgern müssen.

Grundlage waren der Ausbau des Binnenhafens und die Anlage einer Eisenbahnstation. Sie machten Harburg zur Konkurrenz für Hamburg, denn die Stadt südlich der Elbe war das Tor zur Welt für das Königreich Hannover. Ähnlich wie Stahl die Stadt Essen geprägt hat, war es auch in Harburg ein Grundstoff, von dem alles ausgegangen ist: Gummi. Es waren Industriebetriebe, die Kautschuk verarbeiteten, und Ölmühlen, die sich im 19. Jahrhundert ansiedelten und für Prosperität sowie Bevölkerungszuwachs sorgten.

Phoenix - mehr als eine Fabrik

Wer als Profi besonders gute Kämme schätzte, griff auf die Produkte der New York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie zurück, die allerdings 2009 nach Lüneburg abgewandert ist.

Reifen für Autos und später für Flugzeuge stellten die Phoenix-Werke her. Und das charakteristische Firmenlogo hat so manchen Gummistiefel geziert. Darüber hinaus entwickelte die Phoenix Antriebsgurte für Maschinen, Förderbandsysteme für den Bergbau und Spezialschläuche. Und wer Auto fährt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit ein Federungssystem der Phoenix eingebaut. Das Unternehmen gehört zwar mittlerweile zum Continental-Konzern, doch neben einem Einkaufscenter und den immer noch imposanten Fabrikgebäuden am Bahnhof, die inzwischen unter anderem die berühmte Falckenberg-Kunstsammlung beherbergen, hat das Unternehmen einem ganzen Wohnviertel seinen Namen gegeben.

Das Phoenix-Viertel ist das multikulturelle Quartier Harburgs, in dem sich auf 400 Meter Straßenlänge leicht fünf bis sechs Läden mit Spezialitäten von Polen bis Thailand finden. Wer Mietshäuser aus der Gründerzeit mag, braucht nicht nach Ottensen zu fahren - Reinholdstraße, Baererstraße oder Lassallestraße bieten das auch.

Harburgs Industrie und Arbeiter-Wohnviertel waren das Ziel alliierter Bomber im Zweiten Weltkrieg. Als die Trümmer weggeräumt waren, machten sich die Verantwortlichen daran, eine perfekte, autogeeignete Stadt zu planen. Als Folge zerschneidet die Buxtehuder Straße parallel zur Bahntrasse den Stadtteil in zwei Hälften, und der Harburger Ring gibt dem Kern den Rest. Kaum überwindliche Schneisen, die heutige Stadtplaner vor Herausforderungen stellen.

TU als internationales Aushängeschild

Stadtplaner, wie sie zum Beispiel an der Technischen Universität lehren, dem Aushängeschild und Zukunftsgaranten Harburgs. Denn Innovation und Technologie sind die beiden Pfeiler, auf denen der so bieder wirkende Stadtteil tatsächlich ruht. Wer das Harburger Zentrum verlässt und sich über die Brücke oder durch den Fußgängertunnel auf die andere Seite der Bundesstraße 73 begibt, merkt schnell, wohin das führt: in den Channel, das neue Quartier im Binnenhafen, wo jetzt schon eine neue Form von Arbeiten am Wasser angesagt ist. Schauerleute waren gestern, heute sind es Kopfarbeiter.

+++ Der Stadtteil-Pate: Frank Ilse +++

Und erste Zeichen einer neuen Wohnkultur sind sichtbar, wie sie auch in den Docks von London zu finden und so ganz anders ist als in der HafenCity. Kein Luxus aus der Retorte, sondern Moderne und Tradition im Einklang. Dort, wo alles begann: am Wasser.

In der nächsten Folge am 6.6.: Steilshoop