Harburg. Das Bezirksamt möchte das berüchtigte Harburger Viertel wieder lebenswert machen. Die ersten Schritte sind getan – und machen Mut.
370 mal 330 Meter, elf Straßen, 16 Blocks, 9500 Bewohner – und wahrscheinlich ein paar Ungezählte. Das sind die Eckdaten des Phoenix-Viertels im Herzen des Hamburger Stadtteils Harburg. Das ehemalige Arbeiterquartier hat bei bürgerlichen Harburgern schon immer einen schlechten Ruf gehabt. In den vergangenen Jahren häuften sich negative Schlagzeilen.
Zwei Abendblatt-Reporter haben in den vergangenen Wochen genauer hingeguckt. Sie fanden viel Positives an dem Viertel, aber auch echte Probleme. Die Frage ist nun: Wie wird es weitergehen?
Das Löwenhaus hat statt Unkraut nun ein Blumenbeet vor dem Eingang
Die Zukunft des Phoenix-Viertels wird unter anderem im Harburger Rathaus geplant. Aber auch viele Menschen im Viertel arbeiten daran, das Phoenix-Viertel wieder so richtig lebenswert zu machen Solche Ansätze hat es bereits früher gegeben. Diesmal aber sollen und wollen alle Beteiligten sich koordinieren und an einem Strang ziehen.
Das Blumenbeet vor dem Löwenhaus ist ein Symbol dafür. Die Besucher des Hauses – Kernzielgruppe sind Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre – haben auf der Bauminsel am Straßenrand das bodendeckende Unkraut entfernt und stattdessen bienenfreundliche Blumen in die Erde gepflanzt, die sie zuvor in kleinen Töpfen im Löwenhaus auf der Fensterbank angezogen hatten. So weit, so einfach. Aber das Projekt hat noch eine größere Tragweite: „Erstens wollen wir es ja nicht auf dieses eine Beet beschränken“, sagt Löwenhaus-Leiterin Houda Mbarek, „sondern im ganzen Viertel Blumen blühen lassen; und zweitens wollen wir, dass möglichst viele Bewohner und Einrichtungen im Phoenix-Viertel mitmachen. So kommt über das Projekt eine positive Identifikation mit dem Quartier, ein Kennenlernen und damit auch eine bessere Zusammenarbeit zustande.“
Razzien im Bereich Drogen, Glückspiel oder Lizenzverstößen
Möglichst viele „Akteure“ – Einzelpersonen, Einrichtungen und Behörden – an einem Strang ziehen zu lassen, ist auch das Ziel des Bezirksamts. Auf der repressiven Seite, mit behördenübergreifenden Razzien im Bereich Drogen, Glücksspiel oder Lizenzverstößen, ist das bereits ein Erfolgsmodell. Jetzt will Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen dies auf die konstruktiven Aspekte übertragen und auch hier die bislang isoliert tätigen Ämter und Fachbehörden zusammenbringen und in ihren Aktionen zu konzertieren. Das Projekt trägt den Namen „Integrierte Strategie für das Phoenix-Viertel“.
Ziel ist es, die zum Teil sehr prekären Wohnverhältnisse im Quartier zu verbessern; die Sozialstruktur zu stabilisieren, beziehungsweise anzuheben; bei den Einwohnern Vertrauen in den Staat herzustellen, den öffentlichen Raum attraktiver zu machen und die Kriminalität weiter zurückzudrängen. Mit ins Boot sollen die Sozialbehörde, die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW), die Innenbehörde und der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen, der Teil der Finanzbehörde ist. Auch Umwelt- und Verkehrsbehörde sind vereinzelt gefordert.
Das Projekt ist so groß und komplex, dass es in mehrere Module unterteilt wird
Beim Bezirksamt soll eine Stelle geschaffen werden, die allein für das Projekt zuständig ist und alle Aktivitäten koordiniert und beobachtet. „Wir brauchen noch mehr Mitstreiter aus verschiedenen Fachbehörden und werben deshalb für unser Anliegen“, sagt Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen.
Beim Werben kann sie guten Mutes sein, denn in einer Gesprächsrunde mit den Staatsräten der gewünschten Hamburger Behörden erhielt das Projekt ausnahmslos Zustimmung. Mit einem Ausbremsen von oben ist also nicht zu rechnen. Dennoch ist das Projekt so groß und komplex, dass es in mehrere Module unterteilt wird. Davon sind die meisten noch in Vorbereitung, einige aber auch schon angelaufen. „Wir wollen einfach anfangen, anstatt abzuwarten, bis alle Module des Konzeptes fertig abgestimmt und finanziert sind“, sagt Sophie Fredenhagen.
Die Quartiersmanager wollen die Einwohner des Viertels besser vernetzen
Was bereits läuft, sind die Maßnahmen der gemeinsamen Arbeitsrate aus Polizei und Bezirksamt, aber auch das Quartiersmanagement: Beatrice Barelmann und Lukas Gehring vom Hamburger Büro „Tollerort“ haben ihre Schreibtische an einer zentralen Kreuzung im Quartier. Dort haben sie Sprechstunden, gehen aber auch selbst ins Viertel, um sich bekannt zu machen und Menschen und Institutionen zu vernetzen. „Wir sind beeindruckt, wie viele Akteure hier bereits aktiv sind“, sagt Beatrice Barelmann. „Es gibt hier viele engagierte Leute und Einrichtungen, die aber zuletzt wenig in Kontakt zueinander standen. Wir sind jetzt dabei, wieder ein Netzwerk aufzubauen und fehlende Puzzleteile einzufügen.“
Auch die Einwohner des Viertels wollen die Quartiersmanager besser vernetzten, denn die vielen sehr unterschiedlichen Einwanderergruppen bleiben häufig unter sich – was sie bedauern. „An uns wurde beispielsweise der Wunsch nach einem Stadtteilfest herangetragen“, sagt Beatrice Barelmann, „aber auch die Anregung, dass Deutschkurse mit Kinderbetreuung Müttern helfen könnten, sich schneller zu integrieren und sich auch mit Müttern anderer Herkunft als der eigenen, besser verständigen zu können. Ich glaube, wir müssen auch viel ausprobieren und in Kauf nehmen, dass wir ab und zu auch in eine Sackgasse geraten.“
Das legendäre Seifenkistenrennen am Mopsberg findet am 8. Juli statt
Ein Stadtteilfest wird es noch in diesem Sommer geben, nämlich am 8. Juli. Es ist noch in Vorbereitung, aber soviel kann Beatrice Barelmann schon verraten: „Auch das legendäre Seifenkistenrennen am Mopsberg wird bei dem Fest wieder veranstaltet.“
Als einen der wichtigsten Schritte sieht das Bezirksamt die Immobilienstrategie des Projektkomplexes an. Nahezu jedes Haus im Quartier hat einen anderen Besitzer mit anderen Partikularinteressen. Einige davon nehmen zwar gerne die Mieteinnahmen mit, investieren aber nichts davon in die Gebäude. Einige wenige treiben es mit Überbelegung und sittenwidrigen bis illegalen Vermietungskonzepten auf die Spitze. Neben den Folgen für das Sozialgefüge im Quartier hat das auch ganz praktische Negativauswirkungen: In überbelegten Häusern wird es nicht nur in den Wohnungen schnell eng, sondern auch in den Mülltonnen. Müll an den Straßen ist die Folge und ein ständiges Ärgernis für alle Bewohner.
Vorbild für das Phoenix-Viertel könnte die Dortmunder Nordstadt sein
Solchen Vermietungspraktiken will das Bezirksamt mit dem Baugesetzbuch Herr werden und auf die Hausbesitzer einwirken. Auch über ein Vorkaufsrecht der Stadt für Problemhäuser denkt Sophie Fredenhagen nach: „Mit dem Vorkaufsrecht sollten im Viertel Inseln entstehen, auf deren Entwicklung die Stadt Hamburg Einfluss hat und von denen eine positive Entwicklung ausgehen kann“
Ein Vorbild für dieses Vorgehen könnte die Stadt Dortmund sein. Dort wird seit einigen Jahren an der Rettung des Stadtteils „Nordstadt“ – ähnlich wie das Phoenix-Viertel zentral gelegen, vom industriellen Wandel prekarisiert, aber fünfmal so groß – gearbeitet. Auch hier nimmt die Stadt Vorkaufsrechte wahr und steuert so die Eigentümerstruktur. Geht es nach der Harburger SPD, sollte sich die Phoenix-Viertel-Strategie eng daran orientieren. Einen entsprechenden Antrag bringt die Partei in die nächste Bezirksversammlung ein.
Die Immobilienbesitzer werden mit in das Projekt-Boot geholt
„Ein wichtiger Aspekt war, dass Dortmund auch große Wohnungsbaugesellschaften animiert hat, Immobilien in der Nordstadt zu erwerben“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende und Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses, Frank Richter. „Dass dies funktioniert, haben wir in Harburg bei der Sanierung von Heimfeld-Nord erlebt, wo die SAGA ein unverzichtbarer Partner und Erfolgsgarant war. Das müssen wir auch aufs Phoenix-Viertel übertragen!“
Allerdings besaß die SAGA in Heimfeld-Nord ohnehin schon einen Großteil der Häuser und machte eigentlich mit der Stadtteilsanierung hauptsächlich die eigenen Wartungs- und Modernisierungsdefizite wett. Im Phoenix-Viertel ist der Häuserbesitz deutlich gestreuter.
So wird im Phoenix-Viertel viel Gesprächsarbeit nötig sein, um die Immobilienbesitzer mit in das Projekt-Boot zu holen. Und da landet man wieder bei den Blühflächen vor dem Löwenhaus und anderswo im Viertel, als im wahrsten Sinne des Wortes niedrigschwelligem Gesprächsansatz. „Es haben schon diverse Anwohner und Vereine, aber auch Hausbesitzer gefragt, wie sie mitmachen können“, sagt Houda Mbarek, „diesen Zweck beginnt unser Projekt langsam zu erfüllen.“