Harburg. Nisan Arikan und Lars Henrik erfüllen sich den Traum vom eigenen Kinosaal, in dem sie Streifen zeigen, die “nicht jedem gefallen“.

Die Kurbel, die Klangkirche, die Kulturwerkstatt oder das Consortium: Die Neue Straße war mal ein kleiner Harburger Kulturboulevard, an dem sich ein Kino, ein ungewöhnlicher Konzertsaal, eine vielseitig aufgestellte Kulturinitiative und ein Livemusik-Club befanden, die allesamt Strahlkraft über Harburg hinaus hatten.

Nicht unerwähnt bleiben darf in dem Zusammenhang auch Racing-Rainers Comicladen, der lange Zeit als letzte Kulturinstitution in der Neuen Straße die Fahne hoch hielt. Jetzt bekommt er wieder Verstärkung: In einem Hinterhof an der Neuen Straße, in dem die Kulturwerkstatt ihre Wurzeln hat, eröffnet Ende April ein erlesenes Programmkino. Für die Initiatoren Lars Henrik und Nisan Arikan ein Wagnis. Aber Wagnisse sind die beiden gewohnt.

Kino Hamburg: Harburger Filmemacher teilen eine Leidenschaft

Nisan Arikan und Lars Henrik, beide 31, kennen sich seit ihrer Schauspielausbildung, hatten sich kurz aus den Augen verloren, arbeiten seit 2015 zusammen und wurden darüber ein Paar und mittlerweile auch Eltern. Beide teilen eine Leidenschaft für Low-Budget-Filme, und das nicht nur weil Geld immer knapp ist, sondern weil man ohne große Geldgeber auch freier arbeiten kann: „Für die großen Förderprogramme muss man es immer sehr vielen Leuten recht machen“, sagt Nisan Arikan, „deshalb ähneln sich viele geförderte Filme auch. Wir machen Filme, die nicht jedem gefallen, die aber trotzdem ihr Publikum haben und in unserem Kino wollen wir anderen Filmemachern, die so ähnlich arbeiten, ein Forum geben.“

"Antikyno" produzierte im Vergangenen Jahr auf der Harburger Freilichtbühne "Shakespeare und der König in Gelb" © HA | Lars Henrik

Das wären dann zum Beispiel Actionfilme aus dem „Wakaliwood“-Studio in Uganda, die seit einigen Jahren Cineasten auf der ganzen Welt mit der Zunge schnalzen lassen und die unter anderem die Documenta in Kassel bereichert haben. „Durch den Fortschritt der Technik ist das Produzieren von Filmen sehr viel günstiger geworden, als es noch vor Jahrzehnten war“, sagt Lars Henrik. „Und gerade in Uganda und Kenia hat sich eine Filmszene entwickelt, die nicht nur mit sehr wenig Produktionsbudget auskommt, sondern daraus auch eine Tugend gemacht hat. Die Filmschaffenden dort sind auch was die Drehmethoden angeht, sehr kreativ. Ich könnte mir vorstellen, einige von ihnen einzuladen und hier bei uns Workshops geben zu lassen.“

Aus der Weltstadt in die westfälische Provinz – und weiter nach Hamburg

Nisan Arikan wuchs in Istanbul auf. Ihre Mutter war Literaturübersetzerin, Nisan als Kind schon kulturinteressiert. Sie fing früh mit Theater an. Dann allerdings übersetzte die Mutter ein Stück moderne Weltliteratur, das nicht in die neue Türkei passte, bekam Ärger und verließ das Land. Sie landete mit Nisan in einer Kleinstadt bei Bielefeld.

Für Nisan ein doppelter Schock: Nicht nur hatte es sie aus der Türkei nach Deutschland verschlagen, sondern auch aus der Weltstadt Istanbul in ein ostwestfälisches Provinznest. Erst mit 15 war sie so weit, wieder mit dem Theater anzufangen, damals noch in Bielefeld. Dann zog sie mit ihrer Mutter nach Hamburg. Hier begann sie nach der Schule die Schauspielausbildung am Bühnenstudio. Fleißige Fernsehgucker kennen Nisan Arikan eventuell als „Aynur“ aus der ZDF-Serie „Merz gegen Merz“.

2015 castete Lars Nisan für seinen Spielfilm „Leon muss sterben“

Lars Henrik hatte es nicht ganz so weit nach Harburg: Er stammt aus Holm-Seppensen. Ähnlich, wie die kleine Nisan zog es auch den kleinen Lars schon früh auf die Bühne. An der Buchholzer Kinder-Schauspielschule BiSchu machte er seine ersten Schritte im Rampenlicht – und anscheinend einen guten Eindruck auf die Leiterin Birgit Schulz: Viel später durfte er in den Kindertheaterkulissen einen seiner ersten Spielfilme drehen.

2015 castete Lars Nisan für seinen 2017 erschienenen Spielfilm „Leon muss sterben“. Seitdem arbeiten die beiden zusammen. Ihre gemeinsame Produktionsfirma „Antikyno“ dreht gerne am Abgrund des menschlichen Gemüts: Tod, irrationale Gewalt und Angstzustände sind wiederkehrende Motive der Werke. Lars Henriks Erstlingswerk war eine Trilogie, die an die Horrorwelt des Autors Howard Philips Lovecraft und dessen fiktiver Gottheit Cthulhu angelehnt ist. Lovecraft-Motive bestimmten auch die Antykino-Theaterproduktion „Shakespeare und der König in Gelb“, die beim letzten „Sommer im Park“ aufgeführt wurde. Just dabei verfestigte sich die Idee, in Harburg ein Kino für abseitige Filme zu eröffnen.

SuedKultur-Chef Heimo Rademaker
SuedKultur-Chef Heimo Rademaker © xl | Lars Hansen

Schon im Jahr zuvor hatte „Antikyno“ für den „Sommer im Park“ die Freilichtbühne bespielt, mit einer Adaption von Sophokles’ „Antigone“. „Der Sommer im Park und wir sind durch Zufall zusammen gekommen“, sagt Lars Henrik. „Nisan und ich hatten die Freilichtbühne entdeckt und wollten unbedingt dort Theater machen. Als wir beim Bezirksamt anfragten, schlug man uns gleich vor, Teil des Sommer-im Park-Festivals zu werden. Das hat geklappt und Spaß gemacht.“

Viele interessante und kreative Harburger kennengelernt

Erst recht klickte es beim zweiten Mal: „Durch den Sommer im Park die Zusammenarbeit hier, haben wir viele interessante und kreative Harburgerinnen und Harburger kennengelernt, vor allem über die Initiative Suedkultur. Und dass uns so viele Leute wegen der Lovecraft-Referenzen ansprechen, wie beim Festival geschehen, hat uns auch überzeugt, dass in Harburg großes Potenzial auch für Underground-Kultur existiert.“

Die Suedkultur gibt das Kompliment zurück: „Das Kino wird eine Bereicherung für den Hamburger Süden“, freut sich Heimo-Rademaker, Sprecher des Kulturschaffenden-Bundes, „darauf können wir uns alle freuen!“

Kino Hamburg: Harburgs neuester Saal hat nur 28 Plätze

Riesig wird das Antikyno-Kino nicht: 28 Plätze haben die Klappsitz-Reihen, die die beiden Filmemacher eigenhändig und gebraucht gekauft aus Brandenburg an der Havel nach Harburg gebracht haben. Der Saal ist – da schließt sich ein Kreis – der alte Theatersaal des Vereins „Arbeiterkultur“, aus dem später die Kulturwerkstatt hervor ging.

Die Eröffnung ist für das vorletzte April-Wochenende geplant: Von Donnerstag 20. bis Sonntag, 23. April wollen Nisan Arikan und Lars Henrik täglich Filme flimmern lassen – an dem Wochenende mit freien Eintritt, danach gegen Obolus. Interessenten aus ganz Norddeutschland haben sich schon angemeldet.