Harburg. Vor 150 Jahren schuf die erste Süderelbbrücke einen neuen Verkehrsweg, der schon bald weiter ausgebaut wurde. Eine Zeitreise.
Es war ein Brückenschlag, dessen Bedeutung weit über Harburg hinaus reichte: Vor 150 Jahren, am 1. Dezember 1872, überquerte erstmals ein Eisenbahnzug die Süderelbe. Und verband damit die Eisenbahnnetze nördlich und südlich des Flusses miteinander. Die 400 Meter lange erste Bahnbrücke war fertiggestellt und zeitgleich eine 300 Meter lange Bahnbrücke über die Norderelbe. „Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur Fähren über die Süderelbe“, sagt Birgit Caumanns von der Geschichtswerkstatt Harburg. „Sämtliche Menschen, Tiere und Waren mussten bei Wind und Wetter, Nebel und Eisgang per Schiff über den Fluss transportiert werden.“
Passanten können die alten Wappen in der S-Bahn-Station Harburg entdecken
Mit dem Eisenbahnkenner Benno Wiesmüller hat Caumanns die Harburger Eisenbahngeschichte zu einem Buch aufgearbeitet. „Es ist kurios: Wir haben in diesem Jahr gleich drei Jubiläen: Vor 175 Jahren, im Mai 1848, erhielt Harburg einen Bahnanschluss und mit dem Hannoverschen Staatsbahnhof am Hafen seinen ersten Bahnhof. Vor 150 Jahren wurden die erste Süderelbbrücke und an ihrer Trasse der zweite Harburger Bahnhof, genannt Venlo-Hamburger Bahnhof, in Betrieb genommen. Vor 125 Jahren eröffnete der heutige Bahnhof Hamburg-Harburg und ersetzte seinen erst 25 Jahre alten Vorgänger aus dem Jahr 1872.“ Alle 25 Jahre ein neuer Bahnhof.
Der Venlo-Hamburger Bahnhof befand sich an der heutigen Hannoverschen Straße, in etwa auf Höhe des Chemieunternehmens Brenntag und der Brachfläche des Bauprojekts Neuländer Quarree und wurde um 1900 abgerissen.
Die Zwillingsbrücken wirkten wie ein einziges Bauwerk
Er geriet schnell in Vergessenheit, während die gleichalte Brücke durch die Zunahme des Eisenbahnverkehrs von Jahr zu Jahr wichtiger wurde. Bald reichten ihre zwei Gleise nicht mehr aus. Von 1908 bis 1911 entstand unmittelbar angrenzend eine zweite zweigleisige Brücke im gleichen Baustil. Mit vier Bögen und linsenförmiger Trägerkonstruktion aus genietetem Stahl sowie imposanten Portalen an beiden Brückenköpfen. So wirkten die Zwillingsbrücken wie ein einziges Bauwerk. In den 1920er Jahren sei die ältere zusätzlich verstärkt worden, sagt Wiesmüller.
Mit dem Bau der ersten Bahnbrücke anno 1872 war das Problem des Personen- und Güterverkehrs zwischen Hamburg und Harburg jedoch nicht gelöst. Im Jahr 1899 wurden noch 84.000 Personen, 44.000 Fuhrwerke und 67.000 Tiere registriert, die sich mit der Dampffähre zwischen den preußischen Städten Wilhelmsburg und Harburg (Anleger Dampfschiffsweg) übersetzen ließen. Im selben Jahr wurde bereits 240 Meter elbabwärts eine weitere Brücke fertig: Die „Neue Elbbrücke Harburg-Wilhelmsburg“ ersetzte die Fährverbindung, die zum Winter 1890 ihren Betrieb einstellte.
Die neue Brücke orientierte sich mit ihren vier Bögen architektonisch an der Bahnüberführung, nur war ihre Stahlkonstruktion viel filigraner. Zunächst als Brücke für Fußgänger und Kutschen erbaut, gesellten sich später Autos, Straßenbahn und Radfahrer hinzu. Heute heißt sie Alte Harburger Elbbrücke und ist längst zum Harburger Wahrzeichen geworden.
Nur wenig erinnert heute noch an die ersten Bahnbrücken über die Süderelbe
Die drei Brücken überstanden den Zweiten Weltkrieg, wurden immer wieder verstärkt und ausgebessert. Doch Mitte der 1970er Jahre erreichten die Zwillingsbrücken ihre bauliche Altersgrenze. Zunächst entstanden 1975/76 auf beiden Seiten der Bahntrassen neue Brückenbauten. 1976/77 wurden die alten Brücken abgerissen und bis 1979 der Neubau komplettiert.
1980 wurde die Überquerung durch den S-Bahnbau sechsgleisig, einige Jahre später kam eine dritte Brücke mit zwei Gütergleisen für die Hafenbahn hinzu. Heute ist das Brückentrio bereits baufällig und wird von 2028 an seinerseits durch einen Neubau ersetzt werden (das Abendblatt berichtete).
Nur wenig erinnert heute noch an die ersten Bahnbrücken über die Süderelbe. Zumindest wurden beim Abriss zwei Wappen gesichert, die die Brückenportale zierten. Aufmerksame Passanten können sie heute in der S-Bahn-Station Harburg entdecken: Sie sind oberhalb der Fahrkartenautomaten im Zwischengeschoss, gegenüber der Rolltreppenanlage zum ZOB, angebracht. Und zeugen dort von einem Meilenstein der Harburger Eisenbahngeschichte.
Das Königreich Hannover wollte Harburg zu einem wichtigen Handelsort ausbauen
Vom ältesten Bahnjubiläum, vom vor 175 Jahren eröffneten ersten Harburger Bahnhof, ist zum Glück mehr übrig geblieben. Der Hannoversche Bahnhof wurde vom Königreich Hannover geschaffen, das seine Stadt Harburg zu einem wichtigen Handelsort ausbauen wollte. Bahnpassagiere stiegen nur 25 Jahre lang an dem Kopfbahnhof mit Kaianschluss im Binnenhafen aus, weil 1872 an der Bahnhof der Venlo-Hamburger Eisenbahn eröffnet wurde.
Der Hafenbahnhof wurde bis Ende der 1990er Jahre als Güterbahnhof genutzt. Inzwischen sind an seiner Stelle Wohnquartiere entstanden. Doch sein Werkstatt- und der Wagenschuppen am Schellerdamm 19–21 blieben erhalten und stehen heute unter Denkmalschutz. Ebenso die letzte erhaltene Drehscheibe zur Umlenkung von Güterwagen im Grünzug Schellerdamm.
„Harburgs Bahnhöfe“: von Birgit Caumanns und Benno Wiesmüller, 159 Seiten mit vielen Abbildungen, Hrsg. Geschichtswerkstatt Harburg, erschienen im August 2022, 18 Euro, ISBN 978-3-943560-09-1.
„Mit der Eisenbahn über die Elbe“: von Benno Wiesmüller und Dierk Lawrenz, 128 Seiten mit rund 160 Abbildungen, EK-Verlag (Eisenbahn Kurier), erschienen im November 2022, 35 Euro, ISBN 978-3-8446-6435-5