Neugraben. Die Fußballhelden des FC Süderelbe aus den 1980er-Jahren schwelgen beim großen Wiedersehen am Kiesbarg in Erinnerungen.
Ralf Kuhnke rief, und viele kamen. Die Idee, seine ehemaligen Mitspieler, die „glorreiche Truppe“ der Jahre 1986 bis 1988, zusammenzutrommeln, trug er lange im Kopf. „Dann habe ich mir gesagt, es sei doch schöner, wenn alle Spieler aus den 1980er-Jahren dabei wären.“ Gesagt, getan. Rund 50 ehemalige Fußballlegenden des FC Süderelbe kamen am Sonnabend an den Kiesbarg. Kuhnke freute sich über die „unfassbare Resonanz“.
Schon früh am Nachmittag gab es Bier, dazu Gegrilltes mit Pommes und Ketchup – den Fußballerschmaus der 1980er-Jahre. Als Deko hatte der Organisator einen herausgeputzten Mercedes-Oldtimer aus den „goldenen Jahren“ des FC Süderelbe vorfahren lassen. Altbekanntes Liedgut wurde an diesem beschwingten Nachmittag ebenso reaktiviert wie Erinnerungen. Wo man auch hinhörte – immer wieder fiel der Name Bernd Enge.
Kaufmann Enge verstarb vor zwei Jahren im Alter von 72 Jahren
Auch der heutige 2. Vorsitzende Klaus Ulbricht schwärmt von der „Enge-Zeit“: „Er hat den Verein wie kein anderer geprägt. Das Renommee, das der FCS heute hat, stammt aus den 1980er-Jahren.“ Der vor zwei Jahren im Alter von 72 Jahren verstorbene Kaufmann Bernd Enge hatte das kleine Neugrabener Fußballwunder mit dem Aufstieg in die Verbandsliga und dem Fast-Aufstieg in die Amateur-Oberliga vor 40 Jahren erst ermöglicht – als Sponsor, Vorstandsmitglied und Trainer. Der spätere HSV-Aufsichtsrat war ein Hans Dampf in allen Fußballgassen.
Bernd Enge war nicht nur ein Mann großer Worte, sondern auch großer Taten. So warb er den Goalgetter Jean „Janni“ Bontoux von Altona 93 ab, nachdem dieser den FC Süderelbe in der Vorsaison im Alleingang abgeschossen hatte. Begründung: „Das wird uns nicht nochmal passieren!“ Zu Enges Ehren lag die Vereinspostille „FCS 49ers“ mit dem Nachruf auf den langjährigen Trainer, Manager, Mäzen, Vorsitzenden und Ehrenpräsidenten im Vereinsheim aus. Noch Jahrzehnte später können seine ehemaligen Schützlinge Sprüche des Machers zitieren: „Wir entscheiden demokratisch, aber ich habe eine Stimme mehr.“ Oder die Anweisung: „Die Abwehr übergibt an der Mittellinie den Ball an die Fußballabteilung.“
Legendäre 1:7-Testspiel-Niederlage gegen den HSV am Rabenstein
Organisator Ralf Kuhnke wechselte als 18-Jähriger zum FC Süderelbe: „Unter Trainer Manfred Rabe habe ich viele tolle Menschen kennengelernt und war als junger Spieler schwer begeistert von der Atmosphäre.“ Gleich zu Beginn seiner Karriere hatte Kuhnke seinen größten Auftritt – am 12. Juni 1986 beim 1:7 gegen den Hamburger SV vor 2400 Zuschauern auf dem Rabenstein. Es war das Ablösespiel für Torjäger Lothar Dittmer, der sich zu Beginn der Saison dem HSV angeschlossen hatte.
Youngster Kuhnke hatte in dieser Partie einen großen Moment, als er auf der linken Außenbahn den vielfachen Nationalspieler Manfred Kaltz düpierte, anschließend Libero Jens Duve und Keeper Uwe Hain umkurvte und den Ehrentreffer erzielte. „Er ist ein Riesentalent“, lobte FC-Coach Rabe den Teenager und prophezeite ihm eine große Karriere. Doch die machten andere. „Tja, ich war immer nur das Talent“, schmunzelt Kuhnke dreieinhalb Jahrzehnte später.
1980 Bezirksliga-Meister mit vielen Spieler aus der Süderelbe-Region
Mit Enge wurde der FC Süderelbe 1980 mit vielen Spieler aus der Süderelbe-Region Bezirksliga-Meister und stieg in die Landesliga auf. Dann wurde Enge zum Großeinkäufer. Er lotste Torjäger wie Ralf Krüger, Alfred Bentrop und Ingo Brussolo an den Opferberg, dazu reichlich Prominenz aus der Verbandsliga, darunter Peter Metz, Bernd Garbe und Jörg Friese. Sein großes Ziel, die Verbandsliga, erreichte er 1985 mit der Meisterschaft in der Landesliga Hammonia.
In selben Jahr stieß der gelernte Krankenpfleger Lothar Dittmer zu den Blau-Weißen, ein dynamischer, kopfballstarker Stürmer, der immer den Weg zum Tor suchte. Nach zwei Jahren wurde der HSV auf Dittmer aufmerksam. Der Stürmer hatte in der Bundesliga einen vielversprechenden Start. „Anfangs lief alles gut“, erinnert sich Dittmer, der heute in der Logistikbranche seinen Lebensunterhalt verdient. „Doch nach dem Ende der Ära Happel hat Manager Magath auf andere Spieler gesetzt, ich wurde nach Homburg verkauft.“ Bei dem Deal stand ihm Bernd Enge zur Seite, der auch Klassen höher kräftig am Spielerkarussell mitdrehte.
Stürmer Lothar Dittmer schaffte es zum großen HSV
Nach einer schweren Verletzung berappelte sich Dittmer wieder und stand kurz vor einem Wechsel zum FC St. Pauli. Doch beim Trainingsspiel im Niendorfer Gehege trat er in ein „Hasenloch“, alle Bänder rissen. Nach der Reha ging es zurück nach Homburg, wo er in den ersten zehn Spielen acht Tore erzielte; nach dem Karriereende bei Waldhof Mannheim heuerte er wieder beim FC Süderelbe an – als Trainer rettet er seinen alten Club nach der Jahrtausendwende vor dem Abstieg aus der Oberliga. Intensiver sind Dittmers Erinnerungen an seine Zeit als Spieler, damals noch am Opferberg: „Wir waren eine Einheit, Jungs aus der Region und keine Söldnertruppe.“
Die Enge-Jahre waren nicht nur sportlich die erfolgreichste Ära der Vereinsgeschichte, sondern auch für die Spieler ein Segen. „Vor dem Training bekam jeder von uns einen 20-Mark-Schein von ihm in die Hand gedrückt“, erinnert sich ein ehemaliger Spieler. Bei einem Kader von bis zu 30 Akteuren sei da ein stolzes Sümmchen zusammengekommen. Woher der Kaufmann das viele Geld hatte, habe damals niemanden interessiert.
Enge-Jahre waren die sportlich erfolgreichste Ära der Vereinsgeschichte
Bald entwickelte sich der FC Süderelbe zur Talentschmiede. Eigengewächs Klaus Ulbricht wechselte im Sommer 1987 zum FC St. Pauli. Derweil kam der spätere Profi Kreso Kovacec aus der A-Jugend von HT 16. Ende des Jahrzehnts scheiterte der FCS in den Aufstiegsspielen zur Amateur-Oberliga – 1989 an TuS Esens und VfB Lübeck, 1990 an TuS Celle und Eintracht Nordhorn. Der damalige Goalgetter Marinus Bester erinnert sich an „tolle Spiele“: „Wären wir 1989 aufgestiegen, wäre alles Chico gewesen, 1990 war Bernd Enge aber schon auf dem Absprung zu Bergedorf 85.“ Das heißt: Die Geldquelle wäre versiegt, die dritte Liga kaum zu halten.
In der Aufstiegsrunde 1989 gelangen zwar zwei Siege gegen Kickers Emden, weil aber die anderen vier Spiele verloren gingen, verpasste Süderelbe den Sprung in die damals dritthöchste Spielklasse. Groß aufgetrumpft beim 5:0 gegen Kickers Emden hatten die die beiden Sturmasse Bester und Kovacec. „In dieser Zeit haben die beiden zusammen alle Gegner abschossen“, erzählt Klaus Ulbricht. Während der frühere Libero, der heute in der Recyclingbranche tätig ist, in Erinnerungen schwelgt, gesellt sich Ex-Spieler Jürgen Kirbach (1982 bis 1985) an den Tisch und wird mit den Worten „da kommt die größte Tretmaschine“ begrüßt. „Ich hatte nun mal den Job, schnelle Spieler langsam zu machen“, kontert Kirbach.
Zwei Teilnahmen an der Aufstiegsrunde zur Amateur-Oberliga
Nach dem verpassten Aufstieg 1990 wechselte Marinus Bester zu Werder Bremen in die Bundesliga, in der er sich immerhin drei Jahre halten konnte. „So wie ich damals in den bezahlten Fußball gekommen bin, ist das heute nicht mehr möglich. Man hat nur eine Chance, wenn man ein Nachwuchszentrum durchlaufen hat“, sagt Bester und berichtet, dass er als Viertligaspieler dank eines überzeugenden Probetrainings bei Kultcoach Otto Rehhagel an der Weser gelandet sei.
Später erzählt Bester amüsiert, wie er als eingefleischter HSVer um ein Haar beim FC St. Pauli gelandet wäre. Manager Jürgen Wähling habe sich auf der Suche nach einem Torjäger bei ihm gemeldet, weil er wusste dass Bester bei Werder hinter Weltklassestürmern wie Wynton Rufer keine Chance hatte. „Nach der Teilnahme am Trainingslager in Schneverdingen habe ich es aufs Mannschaftsfoto geschafft, doch dann sagte Trainer Uli Maslo ab.“ Statt Bester kam der sowjetische Nationalspieler Juri Sawitschew ans Millerntor.
Eingefleischter HSVer Marinus Bester wäre fast beim FC St. Pauli gelandet
Bester wurde an den HSV ausgeliehen, für den er nach seiner Fußballerkarriere 20 Jahre lang in verschiedenen Funktionen tätig war. Unvergessen bei den Fans des FC St. Pauli ist, dass er als Spieler des Lüneburger SK in einem Spiel gegen die Amateure des Kiezclubs beim Torjubel auf dem Sportplatz an der Sternschanze das LSK-Trikot lüftete. Drei Pauli-Fans wollten ihm Bester den Kragen, nachdem sie darunter ein HSV-Shirt erspäht hatten. „Ordner mussten mich beim Gang in die Kabine schützen und drei Polizeiwagen eskortierten mich aus dem Stadion.“